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Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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oder seine Gebetlein hersagen zu lassen. Der Bruder war sehr wohl mit ihr zufrieden, da sie sein Haus, die Gemächer nämlich, die noch in wohnbarem Stande waren, geräuschlos in Ordnung hielt. Er hatte sich von je her aufs Beste mit ihr vertragen. Da er ein guter und durch Herzenswallungen nicht leicht zu verwirrender Rechner war, schien es ihm zweckmäßig, daß seine Schwester ledig blieb. Wenn er auf dem Balcon stand, der wie ein Schwalbennest an der grauen Burg mauer klebte, und in seiner Bauerntracht, der rothaufgeschlagenen Lodenjoppe, den breiten, schwarzen Hut mit rother Schnur auf dem Kopf, die gebräunten Hände unter die geschlitzten Hosenträger gesteckt, hinaussah ins weite Land, verweilte sein Blick mit Befriedigung auf den kleinen Klosterthürmen, die hie und da ihr Kreuz aus dem Duft erhoben, und er gedachte gern daran, daß die früheren, adligen Burgherren dort ihre unversorgten Söhne und Töchter untergebracht hatten. Es wäre ihm nicht ungelegen gewesen, wenn seine Schwester ebenfalls vor den Gefahren und Anfechtungen der Welt eine beschauliche Zuflucht gesucht hätte. Da sie aber hiezu keine Lust bezeigte, auch fürs Erste noch im Hause nöthig war, nahm er einstweilen mit dem Abglanz ihres Heiligenscheins, der auch auf ihn herüberstrahlte, vorlieb und war nicht wenig stolz, wenn geistliche Herren, der Schwester wegen, fleißig auf Goyen vorsprachen und bei einem Glase rothen Weins über die Angelegenheiten der Kirche erbauliche Reden führten.

oder seine Gebetlein hersagen zu lassen. Der Bruder war sehr wohl mit ihr zufrieden, da sie sein Haus, die Gemächer nämlich, die noch in wohnbarem Stande waren, geräuschlos in Ordnung hielt. Er hatte sich von je her aufs Beste mit ihr vertragen. Da er ein guter und durch Herzenswallungen nicht leicht zu verwirrender Rechner war, schien es ihm zweckmäßig, daß seine Schwester ledig blieb. Wenn er auf dem Balcon stand, der wie ein Schwalbennest an der grauen Burg mauer klebte, und in seiner Bauerntracht, der rothaufgeschlagenen Lodenjoppe, den breiten, schwarzen Hut mit rother Schnur auf dem Kopf, die gebräunten Hände unter die geschlitzten Hosenträger gesteckt, hinaussah ins weite Land, verweilte sein Blick mit Befriedigung auf den kleinen Klosterthürmen, die hie und da ihr Kreuz aus dem Duft erhoben, und er gedachte gern daran, daß die früheren, adligen Burgherren dort ihre unversorgten Söhne und Töchter untergebracht hatten. Es wäre ihm nicht ungelegen gewesen, wenn seine Schwester ebenfalls vor den Gefahren und Anfechtungen der Welt eine beschauliche Zuflucht gesucht hätte. Da sie aber hiezu keine Lust bezeigte, auch fürs Erste noch im Hause nöthig war, nahm er einstweilen mit dem Abglanz ihres Heiligenscheins, der auch auf ihn herüberstrahlte, vorlieb und war nicht wenig stolz, wenn geistliche Herren, der Schwester wegen, fleißig auf Goyen vorsprachen und bei einem Glase rothen Weins über die Angelegenheiten der Kirche erbauliche Reden führten.

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[0032] oder seine Gebetlein hersagen zu lassen. Der Bruder war sehr wohl mit ihr zufrieden, da sie sein Haus, die Gemächer nämlich, die noch in wohnbarem Stande waren, geräuschlos in Ordnung hielt. Er hatte sich von je her aufs Beste mit ihr vertragen. Da er ein guter und durch Herzenswallungen nicht leicht zu verwirrender Rechner war, schien es ihm zweckmäßig, daß seine Schwester ledig blieb. Wenn er auf dem Balcon stand, der wie ein Schwalbennest an der grauen Burg mauer klebte, und in seiner Bauerntracht, der rothaufgeschlagenen Lodenjoppe, den breiten, schwarzen Hut mit rother Schnur auf dem Kopf, die gebräunten Hände unter die geschlitzten Hosenträger gesteckt, hinaussah ins weite Land, verweilte sein Blick mit Befriedigung auf den kleinen Klosterthürmen, die hie und da ihr Kreuz aus dem Duft erhoben, und er gedachte gern daran, daß die früheren, adligen Burgherren dort ihre unversorgten Söhne und Töchter untergebracht hatten. Es wäre ihm nicht ungelegen gewesen, wenn seine Schwester ebenfalls vor den Gefahren und Anfechtungen der Welt eine beschauliche Zuflucht gesucht hätte. Da sie aber hiezu keine Lust bezeigte, auch fürs Erste noch im Hause nöthig war, nahm er einstweilen mit dem Abglanz ihres Heiligenscheins, der auch auf ihn herüberstrahlte, vorlieb und war nicht wenig stolz, wenn geistliche Herren, der Schwester wegen, fleißig auf Goyen vorsprachen und bei einem Glase rothen Weins über die Angelegenheiten der Kirche erbauliche Reden führten.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:27:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:27:07Z)

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/32>, abgerufen am 25.04.2024.