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Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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heirathete, blieb sie ganz kalt und gab nicht das geringste Zeichen von Herzweh. Die ganze Vergangenheit bis zur Stunde, wo der Knabe auf die Welt kam, war aus ihrem Gedächtnisse wie weggewischt, und auch von dem geheimnißvollen namenlosen Vater sprach sie nie, schien auch keinen Versuch zu machen, ihm Kunde von sich und dem Kinde zu geben.

Da geschah es, daß erst ihre Eltern und dann die Brüder, Einer nach dem Andern, im Lauf eines Jahres hingerafft wurden von einer Seuche, die viele Opfer in diesen Thälern forderte. Nun war auf Einen Schlag das Schicksal der schwarzen Moidi verwandelt. Denn wenn sie bei Lebzeiten der Geschwister zwar immerhin keine Armuth zu fürchten hatte, so war sie jetzt durch den Alleinbesitz des Hauses und der ansehnlichen Weingüter zu einer reichen Partie gewordene; Schade nur, daß die Mitgift ihrer dunklen Haut und der noch dunkleren ersten Liebschaft manchen Wählerischen abschrecken mußte.

Aber der praktische Trieb, der hier im Volke mächtig ist, kam ihr dennoch zu Hülfe; ja sie hatte nicht einmal nöthig, bei dem Freier, der sich ihr antrug, auch ihrerseits ein Auge zuzudrücken. Es war ein ganz schmucker Bauernsohn aus dem Dorfe Tirol, das unfern der berühmten Beste gleichen Namens am Ende des Küchelberges liegt, wo die Wand der Muttspitze steil in die Höhe steigt. Sein Vater hätte ihm' zugeredet, und obwohl der Sohn nicht von den schnell-

heirathete, blieb sie ganz kalt und gab nicht das geringste Zeichen von Herzweh. Die ganze Vergangenheit bis zur Stunde, wo der Knabe auf die Welt kam, war aus ihrem Gedächtnisse wie weggewischt, und auch von dem geheimnißvollen namenlosen Vater sprach sie nie, schien auch keinen Versuch zu machen, ihm Kunde von sich und dem Kinde zu geben.

Da geschah es, daß erst ihre Eltern und dann die Brüder, Einer nach dem Andern, im Lauf eines Jahres hingerafft wurden von einer Seuche, die viele Opfer in diesen Thälern forderte. Nun war auf Einen Schlag das Schicksal der schwarzen Moidi verwandelt. Denn wenn sie bei Lebzeiten der Geschwister zwar immerhin keine Armuth zu fürchten hatte, so war sie jetzt durch den Alleinbesitz des Hauses und der ansehnlichen Weingüter zu einer reichen Partie gewordene; Schade nur, daß die Mitgift ihrer dunklen Haut und der noch dunkleren ersten Liebschaft manchen Wählerischen abschrecken mußte.

Aber der praktische Trieb, der hier im Volke mächtig ist, kam ihr dennoch zu Hülfe; ja sie hatte nicht einmal nöthig, bei dem Freier, der sich ihr antrug, auch ihrerseits ein Auge zuzudrücken. Es war ein ganz schmucker Bauernsohn aus dem Dorfe Tirol, das unfern der berühmten Beste gleichen Namens am Ende des Küchelberges liegt, wo die Wand der Muttspitze steil in die Höhe steigt. Sein Vater hätte ihm' zugeredet, und obwohl der Sohn nicht von den schnell-

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[0040] heirathete, blieb sie ganz kalt und gab nicht das geringste Zeichen von Herzweh. Die ganze Vergangenheit bis zur Stunde, wo der Knabe auf die Welt kam, war aus ihrem Gedächtnisse wie weggewischt, und auch von dem geheimnißvollen namenlosen Vater sprach sie nie, schien auch keinen Versuch zu machen, ihm Kunde von sich und dem Kinde zu geben. Da geschah es, daß erst ihre Eltern und dann die Brüder, Einer nach dem Andern, im Lauf eines Jahres hingerafft wurden von einer Seuche, die viele Opfer in diesen Thälern forderte. Nun war auf Einen Schlag das Schicksal der schwarzen Moidi verwandelt. Denn wenn sie bei Lebzeiten der Geschwister zwar immerhin keine Armuth zu fürchten hatte, so war sie jetzt durch den Alleinbesitz des Hauses und der ansehnlichen Weingüter zu einer reichen Partie gewordene; Schade nur, daß die Mitgift ihrer dunklen Haut und der noch dunkleren ersten Liebschaft manchen Wählerischen abschrecken mußte. Aber der praktische Trieb, der hier im Volke mächtig ist, kam ihr dennoch zu Hülfe; ja sie hatte nicht einmal nöthig, bei dem Freier, der sich ihr antrug, auch ihrerseits ein Auge zuzudrücken. Es war ein ganz schmucker Bauernsohn aus dem Dorfe Tirol, das unfern der berühmten Beste gleichen Namens am Ende des Küchelberges liegt, wo die Wand der Muttspitze steil in die Höhe steigt. Sein Vater hätte ihm' zugeredet, und obwohl der Sohn nicht von den schnell-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:27:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:27:07Z)

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/40>, abgerufen am 28.03.2024.