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Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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scheiden -- hinkte mühsam am Arme seines Kameraden hin. Das Thier mochte sich mit seinen scharfen Hörnern zur Wehr gesetzt haben. Sie sprachen im Gehen von ihrer Unthat, der Hinkende lachte eben mit einer Stimme, die dem Rächer vom Morgen her nur zu gut bekannt war. Aber das Lachen ward jählings zu einem Schrei des Entsetzens. Denn von einem wüthenden Schlag der Hellebarde getroffen, stürzte der Elende in die Kniee und winselte um Pardon. Ein neuer Stoß streckte ihn stumm zu Boden. Sein Geselle, der ihm beispringen wollte, wurde von zwei stählernen Fäusten gepackt, ein wildes Ringen begann in der Finsterniß, keiner sprach ein Wort, nur die Zähne der erbitterten Gegner knirschten, und sie starrten einander dicht ins Weiße der Augen. Da ersah der Soldat seinen Vortheil und drängte den Feind an den Rand des Grabens, daß ihm der Fuß auf dem schlüpfrigen Boden ausglitt und er rücklings niedertaumelte. Ehe er sich wieder aufgerafft hatte, war der Weißrock entsprungen, und Andrer stand einsam neben dem regungslos daliegenden Welschen, der auf alles Rufen und Rütteln kein Lebenszeichen mehr von sich gab.

Er ist hin! sagte der Bursch laut für sich, da ihm die leblose Masse wieder aus den Armen glitt. Bei dem Ton seiner eigenen Worte schauderte er unwillkürlich zusammen. Sein ganzes elendes Leben stand ihm plötzlich vor der Seele.

scheiden — hinkte mühsam am Arme seines Kameraden hin. Das Thier mochte sich mit seinen scharfen Hörnern zur Wehr gesetzt haben. Sie sprachen im Gehen von ihrer Unthat, der Hinkende lachte eben mit einer Stimme, die dem Rächer vom Morgen her nur zu gut bekannt war. Aber das Lachen ward jählings zu einem Schrei des Entsetzens. Denn von einem wüthenden Schlag der Hellebarde getroffen, stürzte der Elende in die Kniee und winselte um Pardon. Ein neuer Stoß streckte ihn stumm zu Boden. Sein Geselle, der ihm beispringen wollte, wurde von zwei stählernen Fäusten gepackt, ein wildes Ringen begann in der Finsterniß, keiner sprach ein Wort, nur die Zähne der erbitterten Gegner knirschten, und sie starrten einander dicht ins Weiße der Augen. Da ersah der Soldat seinen Vortheil und drängte den Feind an den Rand des Grabens, daß ihm der Fuß auf dem schlüpfrigen Boden ausglitt und er rücklings niedertaumelte. Ehe er sich wieder aufgerafft hatte, war der Weißrock entsprungen, und Andrer stand einsam neben dem regungslos daliegenden Welschen, der auf alles Rufen und Rütteln kein Lebenszeichen mehr von sich gab.

Er ist hin! sagte der Bursch laut für sich, da ihm die leblose Masse wieder aus den Armen glitt. Bei dem Ton seiner eigenen Worte schauderte er unwillkürlich zusammen. Sein ganzes elendes Leben stand ihm plötzlich vor der Seele.

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[0062] scheiden — hinkte mühsam am Arme seines Kameraden hin. Das Thier mochte sich mit seinen scharfen Hörnern zur Wehr gesetzt haben. Sie sprachen im Gehen von ihrer Unthat, der Hinkende lachte eben mit einer Stimme, die dem Rächer vom Morgen her nur zu gut bekannt war. Aber das Lachen ward jählings zu einem Schrei des Entsetzens. Denn von einem wüthenden Schlag der Hellebarde getroffen, stürzte der Elende in die Kniee und winselte um Pardon. Ein neuer Stoß streckte ihn stumm zu Boden. Sein Geselle, der ihm beispringen wollte, wurde von zwei stählernen Fäusten gepackt, ein wildes Ringen begann in der Finsterniß, keiner sprach ein Wort, nur die Zähne der erbitterten Gegner knirschten, und sie starrten einander dicht ins Weiße der Augen. Da ersah der Soldat seinen Vortheil und drängte den Feind an den Rand des Grabens, daß ihm der Fuß auf dem schlüpfrigen Boden ausglitt und er rücklings niedertaumelte. Ehe er sich wieder aufgerafft hatte, war der Weißrock entsprungen, und Andrer stand einsam neben dem regungslos daliegenden Welschen, der auf alles Rufen und Rütteln kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Er ist hin! sagte der Bursch laut für sich, da ihm die leblose Masse wieder aus den Armen glitt. Bei dem Ton seiner eigenen Worte schauderte er unwillkürlich zusammen. Sein ganzes elendes Leben stand ihm plötzlich vor der Seele.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:27:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:27:07Z)

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/62>, abgerufen am 25.04.2024.