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Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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erwiderte der Jüngling. Ich muß mich fortmachen, wie Kain, ich habe einen Menschen erschlagen und keine Ruhe mehr auf Erden.

Andree! rief der entsetzte Hörer. Du hast -- --

Das Wort erstarb ihm auf der Zunge; mit entgeistertem Gesicht saß er im Bette da und faltete mechanisch die Hände über der rothgewürfelten Decke. Der Jüngling erzählte mit scharfer Kürze, wie sich Alles zugetragen. Von der Schwester sagte er kein Wort.

Er schloß damit, daß er nun zunächst in einem Kloster Zuflucht suchen wolle und den hochwürdigen Herrn bitte, ihm eine Empfehlung mitzugeben, daß man ihn nicht abwiese wenn er ohne allen Ausweis anklopfte. Dann schwieg, er und wartete mit Ungeduld, was sein Seelsorger dazu sagen würde.

Der aber starrte in tiefen Gedanken vor sich hin. Das geht nicht an, mein Sohn, sagte er endlich mit bekümmerter Miene. Die Gerichte werden deine Auslieferung verlangen, und da du noch keine Weihen erhallen hast, wirst du wieder zurückgebracht werden. Und was können sie dir auch so Schlimmes anthun? Du warst nicht der Angreifer und hast im Finstern zugeschlagen, und die arme Seele des schändlichen Räubers kann dich nicht verklagen vor Gottes Thron. Also mein' ich, du gehst ruhig aufs Amt und machst Anzeige und wartest ab, was das Gericht dazu sagt. Denk', wenn du landflüchtig würdest, was sollt' deine

erwiderte der Jüngling. Ich muß mich fortmachen, wie Kain, ich habe einen Menschen erschlagen und keine Ruhe mehr auf Erden.

Andree! rief der entsetzte Hörer. Du hast — —

Das Wort erstarb ihm auf der Zunge; mit entgeistertem Gesicht saß er im Bette da und faltete mechanisch die Hände über der rothgewürfelten Decke. Der Jüngling erzählte mit scharfer Kürze, wie sich Alles zugetragen. Von der Schwester sagte er kein Wort.

Er schloß damit, daß er nun zunächst in einem Kloster Zuflucht suchen wolle und den hochwürdigen Herrn bitte, ihm eine Empfehlung mitzugeben, daß man ihn nicht abwiese wenn er ohne allen Ausweis anklopfte. Dann schwieg, er und wartete mit Ungeduld, was sein Seelsorger dazu sagen würde.

Der aber starrte in tiefen Gedanken vor sich hin. Das geht nicht an, mein Sohn, sagte er endlich mit bekümmerter Miene. Die Gerichte werden deine Auslieferung verlangen, und da du noch keine Weihen erhallen hast, wirst du wieder zurückgebracht werden. Und was können sie dir auch so Schlimmes anthun? Du warst nicht der Angreifer und hast im Finstern zugeschlagen, und die arme Seele des schändlichen Räubers kann dich nicht verklagen vor Gottes Thron. Also mein' ich, du gehst ruhig aufs Amt und machst Anzeige und wartest ab, was das Gericht dazu sagt. Denk', wenn du landflüchtig würdest, was sollt' deine

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[0073] erwiderte der Jüngling. Ich muß mich fortmachen, wie Kain, ich habe einen Menschen erschlagen und keine Ruhe mehr auf Erden. Andree! rief der entsetzte Hörer. Du hast — — Das Wort erstarb ihm auf der Zunge; mit entgeistertem Gesicht saß er im Bette da und faltete mechanisch die Hände über der rothgewürfelten Decke. Der Jüngling erzählte mit scharfer Kürze, wie sich Alles zugetragen. Von der Schwester sagte er kein Wort. Er schloß damit, daß er nun zunächst in einem Kloster Zuflucht suchen wolle und den hochwürdigen Herrn bitte, ihm eine Empfehlung mitzugeben, daß man ihn nicht abwiese wenn er ohne allen Ausweis anklopfte. Dann schwieg, er und wartete mit Ungeduld, was sein Seelsorger dazu sagen würde. Der aber starrte in tiefen Gedanken vor sich hin. Das geht nicht an, mein Sohn, sagte er endlich mit bekümmerter Miene. Die Gerichte werden deine Auslieferung verlangen, und da du noch keine Weihen erhallen hast, wirst du wieder zurückgebracht werden. Und was können sie dir auch so Schlimmes anthun? Du warst nicht der Angreifer und hast im Finstern zugeschlagen, und die arme Seele des schändlichen Räubers kann dich nicht verklagen vor Gottes Thron. Also mein' ich, du gehst ruhig aufs Amt und machst Anzeige und wartest ab, was das Gericht dazu sagt. Denk', wenn du landflüchtig würdest, was sollt' deine

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:27:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:27:07Z)

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/73>, abgerufen am 28.03.2024.