Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

warte er, daß sie in den Boden versinken möchte, wie ein Spukbild, oder er selber aus einem Traum erwachen. Sie hatte sich's wohl spaßhaft gedacht, ihn zu necken, wenn sie ihn wirklich in der Kutte sähe. Jetzt war ihr das Weinen näher als das Lachen.

Andree, sagte sie endlich, du schaust mich so wild an. Hab' ich's ungeschickt gemacht, daß ich selber gekommen bin? Da ist auch die Rosel; sagst du ihr nicht einmal "grüß' Gott"? Der Franz hat uns gefahren; morgen wollen wir wieder heim, es ist so wüst und traurig hier herum, wie hast du's nur ausgehalten? Freilich, man sieht dir's auch an, ganz hager und blaß bist du worden, als hältst du schon einmal unterm Rasen gelegen. Aber es wird schon wieder werden, die Luft ist hier so herb, du mußt nun wieder nach Meran kommen, der Zehnuhrmesser will's auch dem Herrn Prior schreiben, das Jahr ist ja noch lang nicht um, und dann wohnst du in unserm Häusel droben, denn du weißt noch nicht, Andree, die Mutter ist todt.

Während sie sprach, hatte sich ihre Beklommenheit wieder gelös't und ihre Züge erheitert, daß es wunderlich war, wie sie das Letzte, die Todesnachricht, fast mit lachendem Munde vorbrachte. Er schien sich ebenfalls gesammelt zu haben, und sagte jetzt mit seinem alten Ton: Ich danke dir, Moidi, daß du selbst gekommen bist, und dir auch, Rosine. Aber daß die Mutter todt ist, ändert die Sache nicht, und heim-

warte er, daß sie in den Boden versinken möchte, wie ein Spukbild, oder er selber aus einem Traum erwachen. Sie hatte sich's wohl spaßhaft gedacht, ihn zu necken, wenn sie ihn wirklich in der Kutte sähe. Jetzt war ihr das Weinen näher als das Lachen.

Andree, sagte sie endlich, du schaust mich so wild an. Hab' ich's ungeschickt gemacht, daß ich selber gekommen bin? Da ist auch die Rosel; sagst du ihr nicht einmal „grüß' Gott“? Der Franz hat uns gefahren; morgen wollen wir wieder heim, es ist so wüst und traurig hier herum, wie hast du's nur ausgehalten? Freilich, man sieht dir's auch an, ganz hager und blaß bist du worden, als hältst du schon einmal unterm Rasen gelegen. Aber es wird schon wieder werden, die Luft ist hier so herb, du mußt nun wieder nach Meran kommen, der Zehnuhrmesser will's auch dem Herrn Prior schreiben, das Jahr ist ja noch lang nicht um, und dann wohnst du in unserm Häusel droben, denn du weißt noch nicht, Andree, die Mutter ist todt.

Während sie sprach, hatte sich ihre Beklommenheit wieder gelös't und ihre Züge erheitert, daß es wunderlich war, wie sie das Letzte, die Todesnachricht, fast mit lachendem Munde vorbrachte. Er schien sich ebenfalls gesammelt zu haben, und sagte jetzt mit seinem alten Ton: Ich danke dir, Moidi, daß du selbst gekommen bist, und dir auch, Rosine. Aber daß die Mutter todt ist, ändert die Sache nicht, und heim-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0090"/>
warte er, daß sie in den Boden versinken möchte, wie ein Spukbild,     oder er selber aus einem Traum erwachen. Sie hatte sich's wohl spaßhaft gedacht, ihn zu necken,     wenn sie ihn wirklich in der Kutte sähe. Jetzt war ihr das Weinen näher als das Lachen.</p><lb/>
        <p>Andree, sagte sie endlich, du schaust mich so wild an. Hab' ich's ungeschickt gemacht, daß ich     selber gekommen bin? Da ist auch die Rosel; sagst du ihr nicht einmal &#x201E;grüß' Gott&#x201C;? Der Franz     hat uns gefahren; morgen wollen wir wieder heim, es ist so wüst und traurig hier herum, wie hast     du's nur ausgehalten? Freilich, man sieht dir's auch an, ganz hager und blaß bist du worden, als     hältst du schon einmal unterm Rasen gelegen. Aber es wird schon wieder werden, die Luft ist hier     so herb, du mußt nun wieder nach Meran kommen, der Zehnuhrmesser will's auch dem Herrn Prior     schreiben, das Jahr ist ja noch lang nicht um, und dann wohnst du in unserm Häusel droben, denn     du weißt noch nicht, Andree, die Mutter ist todt.</p><lb/>
        <p>Während sie sprach, hatte sich ihre Beklommenheit wieder gelös't und ihre Züge erheitert, daß     es wunderlich war, wie sie das Letzte, die Todesnachricht, fast mit lachendem Munde vorbrachte.     Er schien sich ebenfalls gesammelt zu haben, und sagte jetzt mit seinem alten Ton: Ich danke     dir, Moidi, daß du selbst gekommen bist, und dir auch, Rosine. Aber daß die Mutter todt ist,     ändert die Sache nicht, und heim-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0090] warte er, daß sie in den Boden versinken möchte, wie ein Spukbild, oder er selber aus einem Traum erwachen. Sie hatte sich's wohl spaßhaft gedacht, ihn zu necken, wenn sie ihn wirklich in der Kutte sähe. Jetzt war ihr das Weinen näher als das Lachen. Andree, sagte sie endlich, du schaust mich so wild an. Hab' ich's ungeschickt gemacht, daß ich selber gekommen bin? Da ist auch die Rosel; sagst du ihr nicht einmal „grüß' Gott“? Der Franz hat uns gefahren; morgen wollen wir wieder heim, es ist so wüst und traurig hier herum, wie hast du's nur ausgehalten? Freilich, man sieht dir's auch an, ganz hager und blaß bist du worden, als hältst du schon einmal unterm Rasen gelegen. Aber es wird schon wieder werden, die Luft ist hier so herb, du mußt nun wieder nach Meran kommen, der Zehnuhrmesser will's auch dem Herrn Prior schreiben, das Jahr ist ja noch lang nicht um, und dann wohnst du in unserm Häusel droben, denn du weißt noch nicht, Andree, die Mutter ist todt. Während sie sprach, hatte sich ihre Beklommenheit wieder gelös't und ihre Züge erheitert, daß es wunderlich war, wie sie das Letzte, die Todesnachricht, fast mit lachendem Munde vorbrachte. Er schien sich ebenfalls gesammelt zu haben, und sagte jetzt mit seinem alten Ton: Ich danke dir, Moidi, daß du selbst gekommen bist, und dir auch, Rosine. Aber daß die Mutter todt ist, ändert die Sache nicht, und heim-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:27:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:27:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/90
Zitationshilfe: Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/90>, abgerufen am 24.04.2024.