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Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Sie gehorchte willig und trat lachend in der winterlichen Vermummung wieder zu ihm hinaus. Das Schweigen ringsum, der fremde Ort, die nächttiche Oede über den Bergen, der Bruder ihr gegenüber in der Kapuzinerkutte, Alles kam ihr abenteuerlich vor und weckte ihre alte Lachlust. Sie zog einen Zipfel des faltigen Mantels über den Kopf. Jetzt bin ich deine Kapuzinerin, sagte sie und nickte ihm muthwillig zu. Er faßte ihre Hand und ging schweigend mit ihr durch den Hof. Die Pferde im Stalle rührsten sich, das Federvieh sträubte die Flügel, ein junger Hahn krähte voreilig den Morgen an. Die Menschen aber in den niedrigen Hütten schliefen noch, bis auf eine arme junge Seele, die in Schmerzen durch das trübe Fenster in den Hof starrte und sich mit schweren Seufzern, glühend und fröstelnd wieder zu Bett legte, um den Tag heranzuwachen.

Die Sonne stand aber schon hoch, und noch waren die Geschwister nicht zurück. Der Hirzerfranz saß mit gerunzelter Stirn im Schenkzimmer hinter der Flasche, lief alle Augenblicke auf die Straße hinaus, ob von seiner Braut noch immer nichts zu erspähen sei, und schirrte endlich die Pferde wieder ab, mit drohenden Flüchen gegen den Andree. Die Rosel sprach kein Wort, es war ihr zum Sterben traurig ums Herz; es mochte nun geschehen was da wollte, für sie war es mit aller Freude und Hoffnung vorbei.

Sie gehorchte willig und trat lachend in der winterlichen Vermummung wieder zu ihm hinaus. Das Schweigen ringsum, der fremde Ort, die nächttiche Oede über den Bergen, der Bruder ihr gegenüber in der Kapuzinerkutte, Alles kam ihr abenteuerlich vor und weckte ihre alte Lachlust. Sie zog einen Zipfel des faltigen Mantels über den Kopf. Jetzt bin ich deine Kapuzinerin, sagte sie und nickte ihm muthwillig zu. Er faßte ihre Hand und ging schweigend mit ihr durch den Hof. Die Pferde im Stalle rührsten sich, das Federvieh sträubte die Flügel, ein junger Hahn krähte voreilig den Morgen an. Die Menschen aber in den niedrigen Hütten schliefen noch, bis auf eine arme junge Seele, die in Schmerzen durch das trübe Fenster in den Hof starrte und sich mit schweren Seufzern, glühend und fröstelnd wieder zu Bett legte, um den Tag heranzuwachen.

Die Sonne stand aber schon hoch, und noch waren die Geschwister nicht zurück. Der Hirzerfranz saß mit gerunzelter Stirn im Schenkzimmer hinter der Flasche, lief alle Augenblicke auf die Straße hinaus, ob von seiner Braut noch immer nichts zu erspähen sei, und schirrte endlich die Pferde wieder ab, mit drohenden Flüchen gegen den Andree. Die Rosel sprach kein Wort, es war ihr zum Sterben traurig ums Herz; es mochte nun geschehen was da wollte, für sie war es mit aller Freude und Hoffnung vorbei.

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[0099] Sie gehorchte willig und trat lachend in der winterlichen Vermummung wieder zu ihm hinaus. Das Schweigen ringsum, der fremde Ort, die nächttiche Oede über den Bergen, der Bruder ihr gegenüber in der Kapuzinerkutte, Alles kam ihr abenteuerlich vor und weckte ihre alte Lachlust. Sie zog einen Zipfel des faltigen Mantels über den Kopf. Jetzt bin ich deine Kapuzinerin, sagte sie und nickte ihm muthwillig zu. Er faßte ihre Hand und ging schweigend mit ihr durch den Hof. Die Pferde im Stalle rührsten sich, das Federvieh sträubte die Flügel, ein junger Hahn krähte voreilig den Morgen an. Die Menschen aber in den niedrigen Hütten schliefen noch, bis auf eine arme junge Seele, die in Schmerzen durch das trübe Fenster in den Hof starrte und sich mit schweren Seufzern, glühend und fröstelnd wieder zu Bett legte, um den Tag heranzuwachen. Die Sonne stand aber schon hoch, und noch waren die Geschwister nicht zurück. Der Hirzerfranz saß mit gerunzelter Stirn im Schenkzimmer hinter der Flasche, lief alle Augenblicke auf die Straße hinaus, ob von seiner Braut noch immer nichts zu erspähen sei, und schirrte endlich die Pferde wieder ab, mit drohenden Flüchen gegen den Andree. Die Rosel sprach kein Wort, es war ihr zum Sterben traurig ums Herz; es mochte nun geschehen was da wollte, für sie war es mit aller Freude und Hoffnung vorbei.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:27:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:27:07Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/99>, abgerufen am 24.04.2024.