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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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Gericht sprachen ihn frey; allein er sich selbst
nicht. Er hat sich nie in der Welt ein La-
chen bereitet. Sein Weib starb aus Gram,
mehr über den Gram ihres Mannes, als
über den Verlust ihres einzigen Sohn's. Die-
ser Unglückliche war jetzt in Seelenangst.
Ich soll meinen Gerg sehen, rief er mal
über mal. Er wolte, mein Vater solt' ihm
an die Hand geben, wie er sich gegen seinen
Sohn in der andern Welt führen solte? Gott
helf ihm über, sagte mein Vater. Es ist schwer,
wenn ein Vater seinem Sohn im Himmel
abzubitten hat. -- --

Ich erzählte meinem Vater den Vorgang
zwischen dem Herrn v. G -- und dem Al-
ten. Diese Vorfälle (ich will mir die Ehr'
erweisen, und unsere Trennung mit in diese
Summe bringen) brachten meinen Vater,
der sonst, wie meine Leser wißen, sehr beredt
war, zu einer rührenden Kürze. Ich lag an
seiner Brust. Ob es hier am rechten Ort
steht, kümmert mich nicht; allein ich habe
nie meinem Vater die Hand geküßt. Küße
für Weiber pflegt' er zu sagen. -- -- --

Hier, fing er an, eine versiegelte Schrift!
Oeffne sie nicht eher, als wenn du in der
größten Noth
bist. Ich wolt' ihn dieser ver-

siegel-

Gericht ſprachen ihn frey; allein er ſich ſelbſt
nicht. Er hat ſich nie in der Welt ein La-
chen bereitet. Sein Weib ſtarb aus Gram,
mehr uͤber den Gram ihres Mannes, als
uͤber den Verluſt ihres einzigen Sohn’s. Die-
ſer Ungluͤckliche war jetzt in Seelenangſt.
Ich ſoll meinen Gerg ſehen, rief er mal
uͤber mal. Er wolte, mein Vater ſolt’ ihm
an die Hand geben, wie er ſich gegen ſeinen
Sohn in der andern Welt fuͤhren ſolte? Gott
helf ihm uͤber, ſagte mein Vater. Es iſt ſchwer,
wenn ein Vater ſeinem Sohn im Himmel
abzubitten hat. — —

Ich erzaͤhlte meinem Vater den Vorgang
zwiſchen dem Herrn v. G — und dem Al-
ten. Dieſe Vorfaͤlle (ich will mir die Ehr’
erweiſen, und unſere Trennung mit in dieſe
Summe bringen) brachten meinen Vater,
der ſonſt, wie meine Leſer wißen, ſehr beredt
war, zu einer ruͤhrenden Kuͤrze. Ich lag an
ſeiner Bruſt. Ob es hier am rechten Ort
ſteht, kuͤmmert mich nicht; allein ich habe
nie meinem Vater die Hand gekuͤßt. Kuͤße
fuͤr Weiber pflegt’ er zu ſagen. — — —

Hier, fing er an, eine verſiegelte Schrift!
Oeffne ſie nicht eher, als wenn du in der
groͤßten Noth
biſt. Ich wolt’ ihn dieſer ver-

ſiegel-
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[524/0540] Gericht ſprachen ihn frey; allein er ſich ſelbſt nicht. Er hat ſich nie in der Welt ein La- chen bereitet. Sein Weib ſtarb aus Gram, mehr uͤber den Gram ihres Mannes, als uͤber den Verluſt ihres einzigen Sohn’s. Die- ſer Ungluͤckliche war jetzt in Seelenangſt. Ich ſoll meinen Gerg ſehen, rief er mal uͤber mal. Er wolte, mein Vater ſolt’ ihm an die Hand geben, wie er ſich gegen ſeinen Sohn in der andern Welt fuͤhren ſolte? Gott helf ihm uͤber, ſagte mein Vater. Es iſt ſchwer, wenn ein Vater ſeinem Sohn im Himmel abzubitten hat. — — Ich erzaͤhlte meinem Vater den Vorgang zwiſchen dem Herrn v. G — und dem Al- ten. Dieſe Vorfaͤlle (ich will mir die Ehr’ erweiſen, und unſere Trennung mit in dieſe Summe bringen) brachten meinen Vater, der ſonſt, wie meine Leſer wißen, ſehr beredt war, zu einer ruͤhrenden Kuͤrze. Ich lag an ſeiner Bruſt. Ob es hier am rechten Ort ſteht, kuͤmmert mich nicht; allein ich habe nie meinem Vater die Hand gekuͤßt. Kuͤße fuͤr Weiber pflegt’ er zu ſagen. — — — Hier, fing er an, eine verſiegelte Schrift! Oeffne ſie nicht eher, als wenn du in der groͤßten Noth biſt. Ich wolt’ ihn dieſer ver- ſiegel-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 524. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/540>, abgerufen am 16.04.2024.