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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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einmal währte einen ganzen Tag. -- Gret-
chen hatte mir den mündlichen Bescheid ab-
gegeben: "Wenn er nicht vor dem Haar einer
Todten zurück bebt, kann er eine Haarlocke
nehmen." Die Empfindung, mit der ich mir
dies Geschenk nahm, ist unbeschreiblich! --
O! du mir theur und werthes Geschenk, wie
noch angenehmer wärst du mir aus Min-
chens Hand gewesen, die kalt ist und kalt
bleibt, obgleich sie dein Freund, dein Mann,
an brennenden Lippen anzünden will. All'
ihre Sachen nannt' ich mittelbar, diese Haar-
locke war was unmittelbares. Sie war ein
Stück von Minen selbst, das einzige, was
Menschen unmittelbar mit Anstand von ein-
ander nehmen können -- Dies war mit ein
Hauptstück für mich, ins Grab -- --

Der Tag, den wir mit Minen, eigent-
lich mit ihrer Hälfte, mit weniger als ihrer
Hälfte, zusammen waren, wie kurz war er!
Eh' er sich neigte, schien es mit meiner Fas-
sung auch zum Ende zu gehen! Bis dahin hatt'
ich mich gut gehalten, wie der Prediger sagte.
Er legt' es nach verschiedenen Methoden mit
mir an; allein keine einzige hielt Stich. --
Wir hatten ein tiefes und ein hohes über die
Gleichmüthigkeit gesprochen -- Der gute

Pa-

einmal waͤhrte einen ganzen Tag. — Gret-
chen hatte mir den muͤndlichen Beſcheid ab-
gegeben: „Wenn er nicht vor dem Haar einer
Todten zuruͤck bebt, kann er eine Haarlocke
nehmen.“ Die Empfindung, mit der ich mir
dies Geſchenk nahm, iſt unbeſchreiblich! —
O! du mir theur und werthes Geſchenk, wie
noch angenehmer waͤrſt du mir aus Min-
chens Hand geweſen, die kalt iſt und kalt
bleibt, obgleich ſie dein Freund, dein Mann,
an brennenden Lippen anzuͤnden will. All’
ihre Sachen nannt’ ich mittelbar, dieſe Haar-
locke war was unmittelbares. Sie war ein
Stuͤck von Minen ſelbſt, das einzige, was
Menſchen unmittelbar mit Anſtand von ein-
ander nehmen koͤnnen — Dies war mit ein
Hauptſtuͤck fuͤr mich, ins Grab — —

Der Tag, den wir mit Minen, eigent-
lich mit ihrer Haͤlfte, mit weniger als ihrer
Haͤlfte, zuſammen waren, wie kurz war er!
Eh’ er ſich neigte, ſchien es mit meiner Faſ-
ſung auch zum Ende zu gehen! Bis dahin hatt’
ich mich gut gehalten, wie der Prediger ſagte.
Er legt’ es nach verſchiedenen Methoden mit
mir an; allein keine einzige hielt Stich. —
Wir hatten ein tiefes und ein hohes uͤber die
Gleichmuͤthigkeit geſprochen — Der gute

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[620/0632] einmal waͤhrte einen ganzen Tag. — Gret- chen hatte mir den muͤndlichen Beſcheid ab- gegeben: „Wenn er nicht vor dem Haar einer Todten zuruͤck bebt, kann er eine Haarlocke nehmen.“ Die Empfindung, mit der ich mir dies Geſchenk nahm, iſt unbeſchreiblich! — O! du mir theur und werthes Geſchenk, wie noch angenehmer waͤrſt du mir aus Min- chens Hand geweſen, die kalt iſt und kalt bleibt, obgleich ſie dein Freund, dein Mann, an brennenden Lippen anzuͤnden will. All’ ihre Sachen nannt’ ich mittelbar, dieſe Haar- locke war was unmittelbares. Sie war ein Stuͤck von Minen ſelbſt, das einzige, was Menſchen unmittelbar mit Anſtand von ein- ander nehmen koͤnnen — Dies war mit ein Hauptſtuͤck fuͤr mich, ins Grab — — Der Tag, den wir mit Minen, eigent- lich mit ihrer Haͤlfte, mit weniger als ihrer Haͤlfte, zuſammen waren, wie kurz war er! Eh’ er ſich neigte, ſchien es mit meiner Faſ- ſung auch zum Ende zu gehen! Bis dahin hatt’ ich mich gut gehalten, wie der Prediger ſagte. Er legt’ es nach verſchiedenen Methoden mit mir an; allein keine einzige hielt Stich. — Wir hatten ein tiefes und ein hohes uͤber die Gleichmuͤthigkeit geſprochen — Der gute Pa-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 620. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/632>, abgerufen am 16.04.2024.