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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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O des schönen Baums im Garten
Gottes
! schreibt sie noch in ihrem vorletzten
Briefe. Nach ihrem Ableben fühl ich
keinen Schlag mehr der herrlichen Na-
tur, wovon sonst meine Seele genas!
Sie elektrisirt mich nicht weiter. Sie ist
mir nicht greiflich. Sie sitzt mir nicht
mehr, daß ich sie mahlen kann! Keine
Tulpe öfnet mir ihren keuschen Busen,
den sie zuschnürt, wenn der Abend sich
Freyheiten herausnehmen will. Die Rose
lockt mich nicht wonniglich in die Abend-
kühle. Wenn ich sonst in den Wind sa-
he, war mir, als hätt' ich mich mit kal-
tem Wasser erfrischt, jetzt wird mir warm
ums Herz, wenn ich ihn sehe! Er macht
mir Hitze. Da seh ich die Saat, die sich
krümmet, wie das Alter, und sage nicht:
sey gesegnet im Namen des Herrn! und
dem Baume wünsch ich nicht Glück zur
Erziehung seiner neugebohrnen Früh-
lings Spröslinge, die ich sonst so gern
mit einer Hand voll Wasser zu taufen
pflegte! -- Ich verstehe die Linde nicht
mehr, wenn sie in der Gegend den Prie-
ster vorstellet, wenn sie sich ehrfurchts-
voll neiget, das kleine Gesträuch segnet

und

O des ſchoͤnen Baums im Garten
Gottes
! ſchreibt ſie noch in ihrem vorletzten
Briefe. Nach ihrem Ableben fuͤhl ich
keinen Schlag mehr der herrlichen Na-
tur, wovon ſonſt meine Seele genas!
Sie elektriſirt mich nicht weiter. Sie iſt
mir nicht greiflich. Sie ſitzt mir nicht
mehr, daß ich ſie mahlen kann! Keine
Tulpe oͤfnet mir ihren keuſchen Buſen,
den ſie zuſchnuͤrt, wenn der Abend ſich
Freyheiten herausnehmen will. Die Roſe
lockt mich nicht wonniglich in die Abend-
kuͤhle. Wenn ich ſonſt in den Wind ſa-
he, war mir, als haͤtt’ ich mich mit kal-
tem Waſſer erfriſcht, jetzt wird mir warm
ums Herz, wenn ich ihn ſehe! Er macht
mir Hitze. Da ſeh ich die Saat, die ſich
kruͤmmet, wie das Alter, und ſage nicht:
ſey geſegnet im Namen des Herrn! und
dem Baume wuͤnſch ich nicht Gluͤck zur
Erziehung ſeiner neugebohrnen Fruͤh-
lings Sproͤslinge, die ich ſonſt ſo gern
mit einer Hand voll Waſſer zu taufen
pflegte! — Ich verſtehe die Linde nicht
mehr, wenn ſie in der Gegend den Prie-
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voll neiget, das kleine Geſtraͤuch ſegnet

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[42/0048] O des ſchoͤnen Baums im Garten Gottes! ſchreibt ſie noch in ihrem vorletzten Briefe. Nach ihrem Ableben fuͤhl ich keinen Schlag mehr der herrlichen Na- tur, wovon ſonſt meine Seele genas! Sie elektriſirt mich nicht weiter. Sie iſt mir nicht greiflich. Sie ſitzt mir nicht mehr, daß ich ſie mahlen kann! Keine Tulpe oͤfnet mir ihren keuſchen Buſen, den ſie zuſchnuͤrt, wenn der Abend ſich Freyheiten herausnehmen will. Die Roſe lockt mich nicht wonniglich in die Abend- kuͤhle. Wenn ich ſonſt in den Wind ſa- he, war mir, als haͤtt’ ich mich mit kal- tem Waſſer erfriſcht, jetzt wird mir warm ums Herz, wenn ich ihn ſehe! Er macht mir Hitze. Da ſeh ich die Saat, die ſich kruͤmmet, wie das Alter, und ſage nicht: ſey geſegnet im Namen des Herrn! und dem Baume wuͤnſch ich nicht Gluͤck zur Erziehung ſeiner neugebohrnen Fruͤh- lings Sproͤslinge, die ich ſonſt ſo gern mit einer Hand voll Waſſer zu taufen pflegte! — Ich verſtehe die Linde nicht mehr, wenn ſie in der Gegend den Prie- ſter vorſtellet, wenn ſie ſich ehrfurchts- voll neiget, das kleine Geſtraͤuch ſegnet und

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/48>, abgerufen am 29.03.2024.