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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.

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Vom Wasser.
dürre, ungleich, zerrissen; überhängende Bäume, deren Wurzeln entblößt und heraus-
geworfen sind, drohen mit jedem Augenblick den Fall. Abgerissene Blätter und ihrer
Heimat entführte Pflanzen treiben zerstreut in der wirbelnden Fluth umher. Das
Bette trägt überall Spuren von der Verwüstung des Tyrannen, der in seinem Schoße
nicht rasten kann, der, wo sie fehlen, sich neue Gegenstände seiner Wut sucht,
der Sand, Schutt, Steine, Felsenstücke und Baumäste zusammentreibt, um dar-
an seine Wellen stürmen zu lassen. Von dem wilden Getöse bebt die Einöde umher;
denn das Wild ist verscheucht, und nur mit Schaudern schleicht der einsame Wan-
derer durch das Labyrinth schattenreicher Gebüsche herbey.

Allein außer den gewöhnlichen Waldströmen kann ein Wasser in einer freyen
Gegend sich befinden, und noch immer den Charakter des Stroms beybehalten.
Denn die Gegenwart, oder die Abwesenheit einer waldigten Umschließung kann keine
wesentliche Veränderung in seinem Charakter hervorbringen, der in der Menge sei-
nes Wassers, in der Schnelligkeit und dem Ungestüm seines Laufs besteht. Diese
Eigenschaften machen es zum Strom, die Verzierung seiner Gegend mag seyn wie
sie will.

Ströme bilden sich in Gegenden, wo der Boden starke Ungleichheiten, Absä-
tze und mannichfaltige Hindernisse hat, die sich dem Lauf des Wassers entgegen stel-
len. Sie machen einen Theil der Wildniß aus, aber einer Wildniß, die von der
Wüste wohl zu unterscheiden ist, die nicht Furcht oder Schrecken wie diese, sondern
Verwunderung und Anstaunen hervorbringt. Ströme gehören daher weder zur an-
genehmen, noch zur melancholischen Gegend; sie sind ein Eigenthum feyerlicher und
vornehmlich romantischer Reviere. Wo diese in ausgedehnten Parks eine Stelle
erhalten, da werden auch Ströme ihre Wirkungen verbreiten können. Sie tragen
nicht allein sehr viel zur Bestimmung des Charakters des Romantischen bey; sie die-
nen auch, nach einer Folge zierlicher, angenehmer und ruhiger Scenen, zur Hervor-
bringung eines starken Contrastes.

Die Schnelligkeit und das Getöse der Ströme erregen Empfindungen des Er-
habenen; selbst ihre Verwüstungen führen auf die Vorstellung von Stärke und Ge-
walt zurück. Allein die seltsamen Bewegungen des Wassers, das Vordrängen,
das Zurückprallen, die Strudel, die Aufschäumung der empörten Wellen, die Un-
regelmäßigkeit des Laufs, das Verschwinden und Wiederhervorkommen, die Gestalten
hervorragender Felsen und der Ufer, die Zwischenspiele des Sonnenlichts und andere

Zufällig-
II Band. O

Vom Waſſer.
duͤrre, ungleich, zerriſſen; uͤberhaͤngende Baͤume, deren Wurzeln entbloͤßt und heraus-
geworfen ſind, drohen mit jedem Augenblick den Fall. Abgeriſſene Blaͤtter und ihrer
Heimat entfuͤhrte Pflanzen treiben zerſtreut in der wirbelnden Fluth umher. Das
Bette traͤgt uͤberall Spuren von der Verwuͤſtung des Tyrannen, der in ſeinem Schoße
nicht raſten kann, der, wo ſie fehlen, ſich neue Gegenſtaͤnde ſeiner Wut ſucht,
der Sand, Schutt, Steine, Felſenſtuͤcke und Baumaͤſte zuſammentreibt, um dar-
an ſeine Wellen ſtuͤrmen zu laſſen. Von dem wilden Getoͤſe bebt die Einoͤde umher;
denn das Wild iſt verſcheucht, und nur mit Schaudern ſchleicht der einſame Wan-
derer durch das Labyrinth ſchattenreicher Gebuͤſche herbey.

Allein außer den gewoͤhnlichen Waldſtroͤmen kann ein Waſſer in einer freyen
Gegend ſich befinden, und noch immer den Charakter des Stroms beybehalten.
Denn die Gegenwart, oder die Abweſenheit einer waldigten Umſchließung kann keine
weſentliche Veraͤnderung in ſeinem Charakter hervorbringen, der in der Menge ſei-
nes Waſſers, in der Schnelligkeit und dem Ungeſtuͤm ſeines Laufs beſteht. Dieſe
Eigenſchaften machen es zum Strom, die Verzierung ſeiner Gegend mag ſeyn wie
ſie will.

Stroͤme bilden ſich in Gegenden, wo der Boden ſtarke Ungleichheiten, Abſaͤ-
tze und mannichfaltige Hinderniſſe hat, die ſich dem Lauf des Waſſers entgegen ſtel-
len. Sie machen einen Theil der Wildniß aus, aber einer Wildniß, die von der
Wuͤſte wohl zu unterſcheiden iſt, die nicht Furcht oder Schrecken wie dieſe, ſondern
Verwunderung und Anſtaunen hervorbringt. Stroͤme gehoͤren daher weder zur an-
genehmen, noch zur melancholiſchen Gegend; ſie ſind ein Eigenthum feyerlicher und
vornehmlich romantiſcher Reviere. Wo dieſe in ausgedehnten Parks eine Stelle
erhalten, da werden auch Stroͤme ihre Wirkungen verbreiten koͤnnen. Sie tragen
nicht allein ſehr viel zur Beſtimmung des Charakters des Romantiſchen bey; ſie die-
nen auch, nach einer Folge zierlicher, angenehmer und ruhiger Scenen, zur Hervor-
bringung eines ſtarken Contraſtes.

Die Schnelligkeit und das Getoͤſe der Stroͤme erregen Empfindungen des Er-
habenen; ſelbſt ihre Verwuͤſtungen fuͤhren auf die Vorſtellung von Staͤrke und Ge-
walt zuruͤck. Allein die ſeltſamen Bewegungen des Waſſers, das Vordraͤngen,
das Zuruͤckprallen, die Strudel, die Aufſchaͤumung der empoͤrten Wellen, die Un-
regelmaͤßigkeit des Laufs, das Verſchwinden und Wiederhervorkommen, die Geſtalten
hervorragender Felſen und der Ufer, die Zwiſchenſpiele des Sonnenlichts und andere

Zufaͤllig-
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[105/0109] Vom Waſſer. duͤrre, ungleich, zerriſſen; uͤberhaͤngende Baͤume, deren Wurzeln entbloͤßt und heraus- geworfen ſind, drohen mit jedem Augenblick den Fall. Abgeriſſene Blaͤtter und ihrer Heimat entfuͤhrte Pflanzen treiben zerſtreut in der wirbelnden Fluth umher. Das Bette traͤgt uͤberall Spuren von der Verwuͤſtung des Tyrannen, der in ſeinem Schoße nicht raſten kann, der, wo ſie fehlen, ſich neue Gegenſtaͤnde ſeiner Wut ſucht, der Sand, Schutt, Steine, Felſenſtuͤcke und Baumaͤſte zuſammentreibt, um dar- an ſeine Wellen ſtuͤrmen zu laſſen. Von dem wilden Getoͤſe bebt die Einoͤde umher; denn das Wild iſt verſcheucht, und nur mit Schaudern ſchleicht der einſame Wan- derer durch das Labyrinth ſchattenreicher Gebuͤſche herbey. Allein außer den gewoͤhnlichen Waldſtroͤmen kann ein Waſſer in einer freyen Gegend ſich befinden, und noch immer den Charakter des Stroms beybehalten. Denn die Gegenwart, oder die Abweſenheit einer waldigten Umſchließung kann keine weſentliche Veraͤnderung in ſeinem Charakter hervorbringen, der in der Menge ſei- nes Waſſers, in der Schnelligkeit und dem Ungeſtuͤm ſeines Laufs beſteht. Dieſe Eigenſchaften machen es zum Strom, die Verzierung ſeiner Gegend mag ſeyn wie ſie will. Stroͤme bilden ſich in Gegenden, wo der Boden ſtarke Ungleichheiten, Abſaͤ- tze und mannichfaltige Hinderniſſe hat, die ſich dem Lauf des Waſſers entgegen ſtel- len. Sie machen einen Theil der Wildniß aus, aber einer Wildniß, die von der Wuͤſte wohl zu unterſcheiden iſt, die nicht Furcht oder Schrecken wie dieſe, ſondern Verwunderung und Anſtaunen hervorbringt. Stroͤme gehoͤren daher weder zur an- genehmen, noch zur melancholiſchen Gegend; ſie ſind ein Eigenthum feyerlicher und vornehmlich romantiſcher Reviere. Wo dieſe in ausgedehnten Parks eine Stelle erhalten, da werden auch Stroͤme ihre Wirkungen verbreiten koͤnnen. Sie tragen nicht allein ſehr viel zur Beſtimmung des Charakters des Romantiſchen bey; ſie die- nen auch, nach einer Folge zierlicher, angenehmer und ruhiger Scenen, zur Hervor- bringung eines ſtarken Contraſtes. Die Schnelligkeit und das Getoͤſe der Stroͤme erregen Empfindungen des Er- habenen; ſelbſt ihre Verwuͤſtungen fuͤhren auf die Vorſtellung von Staͤrke und Ge- walt zuruͤck. Allein die ſeltſamen Bewegungen des Waſſers, das Vordraͤngen, das Zuruͤckprallen, die Strudel, die Aufſchaͤumung der empoͤrten Wellen, die Un- regelmaͤßigkeit des Laufs, das Verſchwinden und Wiederhervorkommen, die Geſtalten hervorragender Felſen und der Ufer, die Zwiſchenſpiele des Sonnenlichts und andere Zufaͤllig- II Band. O

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/109>, abgerufen am 28.04.2024.