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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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Fünfter Abschnitt. Gärten oder Scenen

Er steht auf einer Anhöhe, von welcher man die aufgehende Sonne den Horizont
heraufsteigen sieht. Die Vorhalle dieses Tempels ist mit Gitterwerk verwahrt, und
dient einer Menge Gesangvögel zum Aufenthalt. Ein daneben gelegenes Kabinet,
das die Zelle des Tempels einnimmt, gewährt durch die nach der Vorhalle ebenfalls
mit Gittern verschlossene Thüre den Genuß jener melodischen Nachbarschaft. Der
über dem Kabinet besindliche Raum unter dem Dache ist zu einem sichern Aufent-
halt bey ungestümem Wetter für die hier versammelten Vögel bestimmt. Ein an-
genehmer Hayn, der sich hinter dem Tempel ausbreitet, führt durch verschiedene
schlängelnde Wege zu diesem dem Morgen geheiligten Monument.

Die Gebäude, die noch das Ansehen der Vollkommenheit haben, vertragen
in einer Morgenscene einen lebhaften Anstrich; selbst das völlige Weiße ist hier schick-
lich, indem es die Erleuchtung noch mehr erhebt. Auch die Kupeln, die kleinen
Thürme und übrigen Spitzen dieser Gebäude können eine solche Stellung erlangen,
daß sie von dem glänzenden Strahl, den sie empfangen, über den anliegenden Auf-
tritt einen verschönernden Schimmer ausstreuen. Die starken Kontraste von Licht
und Schatten, die vornehmlich durch die Höhen der Gegenstände, durch Berge, Fels-
spitzen, Waldgipfel und Gebäude veranlaßt werden, machen überhaupt eine vorzüg-
liche Schönheit der Landschaft in den Stunden des Morgens aus.

II.
Mittagsgarten oder Mittagsscene.

Der Mittag hat gegen die übrigen Abschnitte des Tages die wenigste Anmuth.
Die über unferm Haupt stehende Sonne erfüllt alles mit einem Glanz, der
das Auge blendet, und mit einem Feuer, das alle Munterkeit der thierischen Schö-
pfung verzehrt. Die dampfende Hitze der Luft scheint selbst die Kräfte des Geistes
zu ersticken; mit Mühe erhebt er sich zu Arbeiten, die ihm sonst leicht und erfreulich
sind. Alles wird in eine matte Unthätigkeit versenkt. Die Blumen und Pflanzen
lassen entkräftet ihre Häupter sinken; die Thiere strecken sich an Sümpfen und Ge-
wässern hin, und vergessen ihre Weide; die befiederten Sänger lassen ihre melodischen
Lieder verstummen, und hangen träumend an laubreichen Zweigen; die Luft ist stille,
das Wasser scheint in einen Spiegel gegossen, und unbewegt ruhen darauf die Schat-
ten der Bäume. Dies sind die Stunden, wo Erquickung und Ruhe Bedürfniß
der Natur werden.

Das
Fuͤnfter Abſchnitt. Gaͤrten oder Scenen

Er ſteht auf einer Anhoͤhe, von welcher man die aufgehende Sonne den Horizont
heraufſteigen ſieht. Die Vorhalle dieſes Tempels iſt mit Gitterwerk verwahrt, und
dient einer Menge Geſangvoͤgel zum Aufenthalt. Ein daneben gelegenes Kabinet,
das die Zelle des Tempels einnimmt, gewaͤhrt durch die nach der Vorhalle ebenfalls
mit Gittern verſchloſſene Thuͤre den Genuß jener melodiſchen Nachbarſchaft. Der
uͤber dem Kabinet beſindliche Raum unter dem Dache iſt zu einem ſichern Aufent-
halt bey ungeſtuͤmem Wetter fuͤr die hier verſammelten Voͤgel beſtimmt. Ein an-
genehmer Hayn, der ſich hinter dem Tempel ausbreitet, fuͤhrt durch verſchiedene
ſchlaͤngelnde Wege zu dieſem dem Morgen geheiligten Monument.

Die Gebaͤude, die noch das Anſehen der Vollkommenheit haben, vertragen
in einer Morgenſcene einen lebhaften Anſtrich; ſelbſt das voͤllige Weiße iſt hier ſchick-
lich, indem es die Erleuchtung noch mehr erhebt. Auch die Kupeln, die kleinen
Thuͤrme und uͤbrigen Spitzen dieſer Gebaͤude koͤnnen eine ſolche Stellung erlangen,
daß ſie von dem glaͤnzenden Strahl, den ſie empfangen, uͤber den anliegenden Auf-
tritt einen verſchoͤnernden Schimmer ausſtreuen. Die ſtarken Kontraſte von Licht
und Schatten, die vornehmlich durch die Hoͤhen der Gegenſtaͤnde, durch Berge, Fels-
ſpitzen, Waldgipfel und Gebaͤude veranlaßt werden, machen uͤberhaupt eine vorzuͤg-
liche Schoͤnheit der Landſchaft in den Stunden des Morgens aus.

II.
Mittagsgarten oder Mittagsſcene.

Der Mittag hat gegen die uͤbrigen Abſchnitte des Tages die wenigſte Anmuth.
Die uͤber unferm Haupt ſtehende Sonne erfuͤllt alles mit einem Glanz, der
das Auge blendet, und mit einem Feuer, das alle Munterkeit der thieriſchen Schoͤ-
pfung verzehrt. Die dampfende Hitze der Luft ſcheint ſelbſt die Kraͤfte des Geiſtes
zu erſticken; mit Muͤhe erhebt er ſich zu Arbeiten, die ihm ſonſt leicht und erfreulich
ſind. Alles wird in eine matte Unthaͤtigkeit verſenkt. Die Blumen und Pflanzen
laſſen entkraͤftet ihre Haͤupter ſinken; die Thiere ſtrecken ſich an Suͤmpfen und Ge-
waͤſſern hin, und vergeſſen ihre Weide; die befiederten Saͤnger laſſen ihre melodiſchen
Lieder verſtummen, und hangen traͤumend an laubreichen Zweigen; die Luft iſt ſtille,
das Waſſer ſcheint in einen Spiegel gegoſſen, und unbewegt ruhen darauf die Schat-
ten der Baͤume. Dies ſind die Stunden, wo Erquickung und Ruhe Beduͤrfniß
der Natur werden.

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[10/0018] Fuͤnfter Abſchnitt. Gaͤrten oder Scenen Er ſteht auf einer Anhoͤhe, von welcher man die aufgehende Sonne den Horizont heraufſteigen ſieht. Die Vorhalle dieſes Tempels iſt mit Gitterwerk verwahrt, und dient einer Menge Geſangvoͤgel zum Aufenthalt. Ein daneben gelegenes Kabinet, das die Zelle des Tempels einnimmt, gewaͤhrt durch die nach der Vorhalle ebenfalls mit Gittern verſchloſſene Thuͤre den Genuß jener melodiſchen Nachbarſchaft. Der uͤber dem Kabinet beſindliche Raum unter dem Dache iſt zu einem ſichern Aufent- halt bey ungeſtuͤmem Wetter fuͤr die hier verſammelten Voͤgel beſtimmt. Ein an- genehmer Hayn, der ſich hinter dem Tempel ausbreitet, fuͤhrt durch verſchiedene ſchlaͤngelnde Wege zu dieſem dem Morgen geheiligten Monument. Die Gebaͤude, die noch das Anſehen der Vollkommenheit haben, vertragen in einer Morgenſcene einen lebhaften Anſtrich; ſelbſt das voͤllige Weiße iſt hier ſchick- lich, indem es die Erleuchtung noch mehr erhebt. Auch die Kupeln, die kleinen Thuͤrme und uͤbrigen Spitzen dieſer Gebaͤude koͤnnen eine ſolche Stellung erlangen, daß ſie von dem glaͤnzenden Strahl, den ſie empfangen, uͤber den anliegenden Auf- tritt einen verſchoͤnernden Schimmer ausſtreuen. Die ſtarken Kontraſte von Licht und Schatten, die vornehmlich durch die Hoͤhen der Gegenſtaͤnde, durch Berge, Fels- ſpitzen, Waldgipfel und Gebaͤude veranlaßt werden, machen uͤberhaupt eine vorzuͤg- liche Schoͤnheit der Landſchaft in den Stunden des Morgens aus. II. Mittagsgarten oder Mittagsſcene. Der Mittag hat gegen die uͤbrigen Abſchnitte des Tages die wenigſte Anmuth. Die uͤber unferm Haupt ſtehende Sonne erfuͤllt alles mit einem Glanz, der das Auge blendet, und mit einem Feuer, das alle Munterkeit der thieriſchen Schoͤ- pfung verzehrt. Die dampfende Hitze der Luft ſcheint ſelbſt die Kraͤfte des Geiſtes zu erſticken; mit Muͤhe erhebt er ſich zu Arbeiten, die ihm ſonſt leicht und erfreulich ſind. Alles wird in eine matte Unthaͤtigkeit verſenkt. Die Blumen und Pflanzen laſſen entkraͤftet ihre Haͤupter ſinken; die Thiere ſtrecken ſich an Suͤmpfen und Ge- waͤſſern hin, und vergeſſen ihre Weide; die befiederten Saͤnger laſſen ihre melodiſchen Lieder verſtummen, und hangen traͤumend an laubreichen Zweigen; die Luft iſt ſtille, das Waſſer ſcheint in einen Spiegel gegoſſen, und unbewegt ruhen darauf die Schat- ten der Baͤume. Dies ſind die Stunden, wo Erquickung und Ruhe Beduͤrfniß der Natur werden. Das

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/18>, abgerufen am 24.04.2024.