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Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

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Ich kann an Jugend heute nur, und nur
An Jugend denken.

Sieh! ein heitrer Tag
Ists eben auch. Seit frühem Morgen sitz' ich
Am lieben Fenster, und es wehn die Lüfte,
Die zärtlichen, herein, mir blickt das Licht
Durch meine Bäume, die zu nahe mir
Gewachsen sind, und mählig mit den Blüthen
Das ferne Land verhüllen, daß ich mich
Bescheiden muß, und hie und da noch kaum
Hinaus mich find' aus diesem freundlichen
Gefängniß! und es fliegen über ihnen
Die Schwalben und die Lerchen, und es singen
Die Stunde durch genug die Nachtigallen,
Und wie sie heißen, all die Lieblinge
Der schönen Jahrszeit; eigne Namen möcht'
Ich ihnen geben, und den Blumen auch,
Den stillen, die aus dunklem Beete duften,
Zu mir herauf wie junge Sterne glänzend.
Und wie es lebt und glücklich ist im Wachsthum,
Und seiner Reise sich entgegen freut!
Es findet jedes seine Stelle doch,
Sein Haus, die Speise, die das Herz ihm sättigt,
Und jedes segnest du mit eignem Segen,

Ich kann an Jugend heute nur, und nur
An Jugend denken.

Sieh! ein heitrer Tag
Iſts eben auch. Seit fruͤhem Morgen ſitz' ich
Am lieben Fenſter, und es wehn die Luͤfte,
Die zaͤrtlichen, herein, mir blickt das Licht
Durch meine Baͤume, die zu nahe mir
Gewachſen ſind, und maͤhlig mit den Bluͤthen
Das ferne Land verhuͤllen, daß ich mich
Beſcheiden muß, und hie und da noch kaum
Hinaus mich find' aus dieſem freundlichen
Gefaͤngniß! und es fliegen uͤber ihnen
Die Schwalben und die Lerchen, und es ſingen
Die Stunde durch genug die Nachtigallen,
Und wie ſie heißen, all die Lieblinge
Der ſchoͤnen Jahrszeit; eigne Namen moͤcht'
Ich ihnen geben, und den Blumen auch,
Den ſtillen, die aus dunklem Beete duften,
Zu mir herauf wie junge Sterne glaͤnzend.
Und wie es lebt und gluͤcklich iſt im Wachsthum,
Und ſeiner Reiſe ſich entgegen freut!
Es findet jedes ſeine Stelle doch,
Sein Haus, die Speiſe, die das Herz ihm ſaͤttigt,
Und jedes ſegneſt du mit eignem Segen,
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[101/0109] Ich kann an Jugend heute nur, und nur An Jugend denken. Sieh! ein heitrer Tag Iſts eben auch. Seit fruͤhem Morgen ſitz' ich Am lieben Fenſter, und es wehn die Luͤfte, Die zaͤrtlichen, herein, mir blickt das Licht Durch meine Baͤume, die zu nahe mir Gewachſen ſind, und maͤhlig mit den Bluͤthen Das ferne Land verhuͤllen, daß ich mich Beſcheiden muß, und hie und da noch kaum Hinaus mich find' aus dieſem freundlichen Gefaͤngniß! und es fliegen uͤber ihnen Die Schwalben und die Lerchen, und es ſingen Die Stunde durch genug die Nachtigallen, Und wie ſie heißen, all die Lieblinge Der ſchoͤnen Jahrszeit; eigne Namen moͤcht' Ich ihnen geben, und den Blumen auch, Den ſtillen, die aus dunklem Beete duften, Zu mir herauf wie junge Sterne glaͤnzend. Und wie es lebt und gluͤcklich iſt im Wachsthum, Und ſeiner Reiſe ſich entgegen freut! Es findet jedes ſeine Stelle doch, Sein Haus, die Speiſe, die das Herz ihm ſaͤttigt, Und jedes ſegneſt du mit eignem Segen,

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/109>, abgerufen am 29.04.2024.