Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.Die Wanderung. Glückselig Sunvien, meine Mutter! Auch du, der glänzenderen, der Schwester Lombarda drüben gleich, Von hundert Bächen durchflossen! Und Bäume genug, weißblühend und röthlich, Und dunklere, wild, tief grünendes Laub's voll -- Und Alpengebirg auch überschattet, Uraltes, dich; denn nah dem Herde des Hauses Wohnst du, und hörst, wie drinnen Aus silbernen Opferschalen Der Quell rauscht, ausgeschüttet Von reinen Händen, wenn berührt Von warmen Stralen Krystallenes Eis, und umgestürzt Vom leichtanregenden Lichte Der schneeige Gipfel übergießt die Erde Mit reinestem Wasser. Darum ist Dir angeboren die Treue. Schwer verläßt Was nahe dem Ursprung wohnet, den Ort. Und deine Kinder, die Städte Am weithindämmernden See, An Neckars Weiden, am Rheine, Die Wanderung. Gluͤckſelig Sunvien, meine Mutter! Auch du, der glaͤnzenderen, der Schweſter Lombarda druͤben gleich, Von hundert Baͤchen durchfloſſen! Und Baͤume genug, weißbluͤhend und roͤthlich, Und dunklere, wild, tief gruͤnendes Laub's voll — Und Alpengebirg auch uͤberſchattet, Uraltes, dich; denn nah dem Herde des Hauſes Wohnſt du, und hoͤrſt, wie drinnen Aus ſilbernen Opferſchalen Der Quell rauſcht, ausgeſchuͤttet Von reinen Haͤnden, wenn beruͤhrt Von warmen Stralen Kryſtallenes Eis, und umgeſtuͤrzt Vom leichtanregenden Lichte Der ſchneeige Gipfel uͤbergießt die Erde Mit reineſtem Waſſer. Darum iſt Dir angeboren die Treue. Schwer verlaͤßt Was nahe dem Urſprung wohnet, den Ort. Und deine Kinder, die Staͤdte Am weithindaͤmmernden See, An Neckars Weiden, am Rheine, <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0191" n="183"/> <div n="1"> <head><hi rendition="#g">Die Wanderung</hi>.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <l>Gluͤckſelig Sunvien, meine Mutter!</l><lb/> <l>Auch du, der glaͤnzenderen, der Schweſter</l><lb/> <l>Lombarda druͤben gleich,</l><lb/> <l>Von hundert Baͤchen durchfloſſen!</l><lb/> <l>Und Baͤume genug, weißbluͤhend und roͤthlich,</l><lb/> <l>Und dunklere, wild, tief gruͤnendes Laub's voll —</l><lb/> <l>Und Alpengebirg auch uͤberſchattet,</l><lb/> <l>Uraltes, dich; denn nah dem Herde des Hauſes</l><lb/> <l>Wohnſt du, und hoͤrſt, wie drinnen</l><lb/> <l>Aus ſilbernen Opferſchalen</l><lb/> <l>Der Quell rauſcht, ausgeſchuͤttet</l><lb/> <l>Von reinen Haͤnden, wenn beruͤhrt</l><lb/> <l>Von warmen Stralen</l><lb/> <l>Kryſtallenes Eis, und umgeſtuͤrzt</l><lb/> <l>Vom leichtanregenden Lichte</l><lb/> <l>Der ſchneeige Gipfel uͤbergießt die Erde</l><lb/> <l>Mit reineſtem Waſſer. Darum iſt</l><lb/> <l>Dir angeboren die Treue. Schwer verlaͤßt</l><lb/> <l>Was nahe dem Urſprung wohnet, den Ort.</l><lb/> <l>Und deine Kinder, die Staͤdte</l><lb/> <l>Am weithindaͤmmernden See,</l><lb/> <l>An Neckars Weiden, am Rheine,</l><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [183/0191]
Die Wanderung.
Gluͤckſelig Sunvien, meine Mutter!
Auch du, der glaͤnzenderen, der Schweſter
Lombarda druͤben gleich,
Von hundert Baͤchen durchfloſſen!
Und Baͤume genug, weißbluͤhend und roͤthlich,
Und dunklere, wild, tief gruͤnendes Laub's voll —
Und Alpengebirg auch uͤberſchattet,
Uraltes, dich; denn nah dem Herde des Hauſes
Wohnſt du, und hoͤrſt, wie drinnen
Aus ſilbernen Opferſchalen
Der Quell rauſcht, ausgeſchuͤttet
Von reinen Haͤnden, wenn beruͤhrt
Von warmen Stralen
Kryſtallenes Eis, und umgeſtuͤrzt
Vom leichtanregenden Lichte
Der ſchneeige Gipfel uͤbergießt die Erde
Mit reineſtem Waſſer. Darum iſt
Dir angeboren die Treue. Schwer verlaͤßt
Was nahe dem Urſprung wohnet, den Ort.
Und deine Kinder, die Staͤdte
Am weithindaͤmmernden See,
An Neckars Weiden, am Rheine,
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Zitationshilfe: | Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/191>, abgerufen am 05.12.2023. |