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Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

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Vom Meere kühl, an warme Gestade wehn,
Wenn unter kräft'ger Sonne die Traube reift,
Ach! wo ein goldner Herbst dem armen
Volk' in Gesänge die Seufzer wandelt,
Wenn die Betrübten jetzt ihr Limonenwald,
Und ihr Granatbaum, purpurner Aepfel voll,
Und süßer Wein und Pauck' und Zithar
Zum labyrinthischen Tanze ladet. --
Zu euch vielleicht, ihr Inseln! geräth noch einst
Ein heimathloser Sänger; denn wandern muß
Von Fremden er zu Fremden und die
Erde, die freie, sie muß ja leider
Statt Vaterlands ihm dienen, so lang er lebt,
Und wenn er stirbt -- doch nimmer vergeß ich dich,
So fern ich wandre, schöner Main! und
Deine Gestade, die vielbeglückten.
Gastfreundlich nahmst du, Stolzer! bei dir mich auf
Und heitertest das Auge dem Fremdlinge,
Und still hingleitende Gesänge
Lehrtest du mich und geräuschlos Leben.
Vom Meere kuͤhl, an warme Geſtade wehn,
Wenn unter kraͤft'ger Sonne die Traube reift,
Ach! wo ein goldner Herbſt dem armen
Volk' in Geſaͤnge die Seufzer wandelt,
Wenn die Betruͤbten jetzt ihr Limonenwald,
Und ihr Granatbaum, purpurner Aepfel voll,
Und ſuͤßer Wein und Pauck' und Zithar
Zum labyrinthiſchen Tanze ladet. —
Zu euch vielleicht, ihr Inſeln! geraͤth noch einſt
Ein heimathloſer Saͤnger; denn wandern muß
Von Fremden er zu Fremden und die
Erde, die freie, ſie muß ja leider
Statt Vaterlands ihm dienen, ſo lang er lebt,
Und wenn er ſtirbt — doch nimmer vergeß ich dich,
So fern ich wandre, ſchoͤner Main! und
Deine Geſtade, die vielbegluͤckten.
Gaſtfreundlich nahmſt du, Stolzer! bei dir mich auf
Und heiterteſt das Auge dem Fremdlinge,
Und ſtill hingleitende Geſaͤnge
Lehrteſt du mich und geraͤuſchlos Leben.
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[67/0075] Vom Meere kuͤhl, an warme Geſtade wehn, Wenn unter kraͤft'ger Sonne die Traube reift, Ach! wo ein goldner Herbſt dem armen Volk' in Geſaͤnge die Seufzer wandelt, Wenn die Betruͤbten jetzt ihr Limonenwald, Und ihr Granatbaum, purpurner Aepfel voll, Und ſuͤßer Wein und Pauck' und Zithar Zum labyrinthiſchen Tanze ladet. — Zu euch vielleicht, ihr Inſeln! geraͤth noch einſt Ein heimathloſer Saͤnger; denn wandern muß Von Fremden er zu Fremden und die Erde, die freie, ſie muß ja leider Statt Vaterlands ihm dienen, ſo lang er lebt, Und wenn er ſtirbt — doch nimmer vergeß ich dich, So fern ich wandre, ſchoͤner Main! und Deine Geſtade, die vielbegluͤckten. Gaſtfreundlich nahmſt du, Stolzer! bei dir mich auf Und heiterteſt das Auge dem Fremdlinge, Und ſtill hingleitende Geſaͤnge Lehrteſt du mich und geraͤuſchlos Leben.

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/75>, abgerufen am 27.04.2024.