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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817.

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heftig aufreissen und hineintreten hörte. Manch¬
mal blieb er lange weg, dann kam er öfter hin¬
tereinander. Jahre lang dauerte das, und nicht
gewöhnen konnte ich mich an den unheimlichen
Spuk, nicht bleicher wurde in mir das Bild des
grausigen Sandmanns. Sein Umgang mit dem
Vater fing an meine Fantasie immer mehr und
mehr zu beschäftigen: den Vater darum zu befra¬
gen hielt mich eine unüberwindliche Scheu zurück,
aber selbst -- selbst das Geheimniß zu erforschen,
den fabelhaften Sandmann zu sehen, dazu keimte
mit den Jahren immer mehr die Lust in mir
empor. Der Sandmann hatte mich auf die Bahn
des Wunderbaren, Abenteuerlichen gebracht, das
so schon leicht im kindlichen Gemüth sich einnistet.
Nichts war mir lieber, als schauerliche Geschich¬
ten von Kobolten, Hexen, Däumlingen u. s. w.
zu hören oder zu lesen; aber obenan stand im¬
mer der Sandmann, den ich in den seltsamsten,
abscheulichsten Gestalten überall auf Tische, Schrän¬
ke und Wände mit Kreide, Kohle, hinzeichnete.
Als ich zehn Jahre alt geworden, wies mich die

heftig aufreiſſen und hineintreten hoͤrte. Manch¬
mal blieb er lange weg, dann kam er oͤfter hin¬
tereinander. Jahre lang dauerte das, und nicht
gewoͤhnen konnte ich mich an den unheimlichen
Spuk, nicht bleicher wurde in mir das Bild des
grauſigen Sandmanns. Sein Umgang mit dem
Vater fing an meine Fantaſie immer mehr und
mehr zu beſchaͤftigen: den Vater darum zu befra¬
gen hielt mich eine unuͤberwindliche Scheu zuruͤck,
aber ſelbſt — ſelbſt das Geheimniß zu erforſchen,
den fabelhaften Sandmann zu ſehen, dazu keimte
mit den Jahren immer mehr die Luſt in mir
empor. Der Sandmann hatte mich auf die Bahn
des Wunderbaren, Abenteuerlichen gebracht, das
ſo ſchon leicht im kindlichen Gemuͤth ſich einniſtet.
Nichts war mir lieber, als ſchauerliche Geſchich¬
ten von Kobolten, Hexen, Daͤumlingen u. ſ. w.
zu hoͤren oder zu leſen; aber obenan ſtand im¬
mer der Sandmann, den ich in den ſeltſamſten,
abſcheulichſten Geſtalten uͤberall auf Tiſche, Schraͤn¬
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Als ich zehn Jahre alt geworden, wies mich die

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[7/0015] heftig aufreiſſen und hineintreten hoͤrte. Manch¬ mal blieb er lange weg, dann kam er oͤfter hin¬ tereinander. Jahre lang dauerte das, und nicht gewoͤhnen konnte ich mich an den unheimlichen Spuk, nicht bleicher wurde in mir das Bild des grauſigen Sandmanns. Sein Umgang mit dem Vater fing an meine Fantaſie immer mehr und mehr zu beſchaͤftigen: den Vater darum zu befra¬ gen hielt mich eine unuͤberwindliche Scheu zuruͤck, aber ſelbſt — ſelbſt das Geheimniß zu erforſchen, den fabelhaften Sandmann zu ſehen, dazu keimte mit den Jahren immer mehr die Luſt in mir empor. Der Sandmann hatte mich auf die Bahn des Wunderbaren, Abenteuerlichen gebracht, das ſo ſchon leicht im kindlichen Gemuͤth ſich einniſtet. Nichts war mir lieber, als ſchauerliche Geſchich¬ ten von Kobolten, Hexen, Daͤumlingen u. ſ. w. zu hoͤren oder zu leſen; aber obenan ſtand im¬ mer der Sandmann, den ich in den ſeltſamſten, abſcheulichſten Geſtalten uͤberall auf Tiſche, Schraͤn¬ ke und Waͤnde mit Kreide, Kohle, hinzeichnete. Als ich zehn Jahre alt geworden, wies mich die

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/15>, abgerufen am 29.03.2024.