Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817.

Bild:
<< vorherige Seite

forschlichen Geheimnisse, von denen wir umgeben,
welche uns mit einer Gewalt ergreift, an der wir
den über uns herrschenden, uns selbst bedingenden
Geist erkennen." "Ach!" fuhr Lelio fort, "die
Erkenntniß, von der du sprichst! -- Ach das ist
ja eben die entsetzlichste Folge unserer Entartung
nach dem Sündenfall, daß diese Erkenntniß uns
fehlt!" "Viele," unterbrach Franz den Freund,
"viele sind berufen und wenige auserwählt! Glaubst
Du denn nicht, daß das Erkennen, das bei¬
nahe noch schönere Ahnen der Wunder unseres
Lebens manchem verliehen ist, wie ein besonderer
Sinn? Um nur gleich aus der dunklen Region, in
die wir uns verlieren könnten, herauf zu springen
in den heitren Augenblick, werf' ich Euch das skurrile
Gleichniß hin, daß Menschen, denen die Seher¬
gabe, das Wunderbare zu schauen, mir wohl wie
die Fledermäuse bedünken wollen, an denen der ge¬
lehrte Anatom Spalanzani einen vortrefflichen
sechsten Sinn entdeckte, der als schalkhafter Stell¬
vertreter nicht allein alles, sondern viel mehr aus¬

forſchlichen Geheimniſſe, von denen wir umgeben,
welche uns mit einer Gewalt ergreift, an der wir
den uͤber uns herrſchenden, uns ſelbſt bedingenden
Geiſt erkennen.“ „Ach!“ fuhr Lelio fort, „die
Erkenntniß, von der du ſprichſt! — Ach das iſt
ja eben die entſetzlichſte Folge unſerer Entartung
nach dem Suͤndenfall, daß dieſe Erkenntniß uns
fehlt!“ „Viele,“ unterbrach Franz den Freund,
„viele ſind berufen und wenige auserwaͤhlt! Glaubſt
Du denn nicht, daß das Erkennen, das bei¬
nahe noch ſchoͤnere Ahnen der Wunder unſeres
Lebens manchem verliehen iſt, wie ein beſonderer
Sinn? Um nur gleich aus der dunklen Region, in
die wir uns verlieren koͤnnten, herauf zu ſpringen
in den heitren Augenblick, werf' ich Euch das ſkurrile
Gleichniß hin, daß Menſchen, denen die Seher¬
gabe, das Wunderbare zu ſchauen, mir wohl wie
die Fledermaͤuſe beduͤnken wollen, an denen der ge¬
lehrte Anatom Spalanzani einen vortrefflichen
ſechsten Sinn entdeckte, der als ſchalkhafter Stell¬
vertreter nicht allein alles, ſondern viel mehr aus¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0010" n="2"/>
for&#x017F;chlichen Geheimni&#x017F;&#x017F;e, von denen wir umgeben,<lb/>
welche uns mit einer Gewalt ergreift, an der wir<lb/>
den u&#x0364;ber uns herr&#x017F;chenden, uns &#x017F;elb&#x017F;t bedingenden<lb/>
Gei&#x017F;t erkennen.&#x201C; &#x201E;Ach!&#x201C; fuhr <hi rendition="#g">Lelio</hi> fort, &#x201E;die<lb/>
Erkenntniß, von der du &#x017F;prich&#x017F;t! &#x2014; Ach das i&#x017F;t<lb/>
ja eben die ent&#x017F;etzlich&#x017F;te Folge un&#x017F;erer Entartung<lb/>
nach dem Su&#x0364;ndenfall, daß die&#x017F;e Erkenntniß uns<lb/>
fehlt!&#x201C; &#x201E;Viele,&#x201C; unterbrach <hi rendition="#g">Franz</hi> den Freund,<lb/>
&#x201E;viele &#x017F;ind berufen und wenige auserwa&#x0364;hlt! Glaub&#x017F;t<lb/>
Du denn nicht, daß das Erkennen, das bei¬<lb/>
nahe noch &#x017F;cho&#x0364;nere Ahnen der Wunder un&#x017F;eres<lb/>
Lebens manchem verliehen i&#x017F;t, wie ein be&#x017F;onderer<lb/>
Sinn? Um nur gleich aus der dunklen Region, in<lb/>
die wir uns verlieren ko&#x0364;nnten, herauf zu &#x017F;pringen<lb/>
in den heitren Augenblick, werf' ich Euch das &#x017F;kurrile<lb/>
Gleichniß hin, daß Men&#x017F;chen, denen die Seher¬<lb/>
gabe, das Wunderbare zu &#x017F;chauen, mir wohl wie<lb/>
die Flederma&#x0364;u&#x017F;e bedu&#x0364;nken wollen, an denen der ge¬<lb/>
lehrte Anatom Spalanzani einen vortrefflichen<lb/>
&#x017F;echsten Sinn entdeckte, der als &#x017F;chalkhafter Stell¬<lb/>
vertreter nicht allein alles, &#x017F;ondern viel mehr aus¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2/0010] forſchlichen Geheimniſſe, von denen wir umgeben, welche uns mit einer Gewalt ergreift, an der wir den uͤber uns herrſchenden, uns ſelbſt bedingenden Geiſt erkennen.“ „Ach!“ fuhr Lelio fort, „die Erkenntniß, von der du ſprichſt! — Ach das iſt ja eben die entſetzlichſte Folge unſerer Entartung nach dem Suͤndenfall, daß dieſe Erkenntniß uns fehlt!“ „Viele,“ unterbrach Franz den Freund, „viele ſind berufen und wenige auserwaͤhlt! Glaubſt Du denn nicht, daß das Erkennen, das bei¬ nahe noch ſchoͤnere Ahnen der Wunder unſeres Lebens manchem verliehen iſt, wie ein beſonderer Sinn? Um nur gleich aus der dunklen Region, in die wir uns verlieren koͤnnten, herauf zu ſpringen in den heitren Augenblick, werf' ich Euch das ſkurrile Gleichniß hin, daß Menſchen, denen die Seher¬ gabe, das Wunderbare zu ſchauen, mir wohl wie die Fledermaͤuſe beduͤnken wollen, an denen der ge¬ lehrte Anatom Spalanzani einen vortrefflichen ſechsten Sinn entdeckte, der als ſchalkhafter Stell¬ vertreter nicht allein alles, ſondern viel mehr aus¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/10
Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/10>, abgerufen am 19.04.2024.