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Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. [Bd. 1]. Leipzig, 1695.

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Vermischte Gedichte.
Der Tellus grünen rock mit frischem rosen-schnee
Und weissen liljen aus. Hier wächset fetter klee
Auff Heyblens marmor-brust; Dort bücken die narcissen
Sich zu den tulpen hin/ einander recht zu küssen.
Hier schmeltzt das thränen-saltz vom rauchen hyacinth/
Wo die cryst[a]llen-bach aus hellen klippen rinnt/
Voll lust sein herbes leid darinnen zu bespiegeln.
Indessen feuchtet dort mit den bethauten flügeln
Der zucker-süsse west die wiese/ die fast lechst.
Das weiß-beperlte graß/ das in den thälern wächst/
Bekräntzt der sternen-thau. Die wälder werden düstern
Nun sich der wurtzeln-safft den ästen will verschwistern/
Das laute flügel-volck/ das stumme wasser-heer/
Ja selbst der kluge mensch/ und was lufft/ erd' und meer
Beseeltes in sich hat/ wird gleichsam jung und rege/
Gereitzet durch den geist der Göttin/ derer wege
Durch alle grentzen gehn/ die die natur gesetzt/
Ich meyne Venus dich: du werdest gleich geschätzt
Von andern/ die noch nicht dein feuer recht erkennet/
Die deine krafft nicht rührt/ noch deine flamme brennet/
So/ wie es ihnen dünckt. Verzeihe mir nur hier
Du Gnidus-königin/ daß ich diß schlechte dir/
Auff dein bekräntzt altar mit ungewaschner lippe
Im gläser-hellen qvell des pferde-beins Enippe
Zu opffern mich erkühn. O milde geberin
Der viel beredsamkeit/ nimm diß mein deutschen hin.
Gib/ daß ein lauter schwan von deinem es mir zeige/
Wie ich dich singen soll. Laß meine lorbeer-zweige
Bey deinen myrthen blühn. Ich spanne nun hierauff
Die seegel in dein lob/ gib/ daß nach guten lauff
Die seuchte muschel mag die stillen ufer lesen.
Bald erstlich aber fällt/ durch wen du seyst genesen/
Ein eyfer kummer vor. Die meisten sind gesinnt/
Du seyest Jupiters und der Dianen kind.
Viel dürffen dir wohl gar dein vater streitig machen/
Und sagen/ daß du nur (wer will des wahns nicht lachen)
Cambysens kinds kind seyst. In warheit/ welcher glaubt
Solch abergläubisch ding/ dem ist sein neblicht haupt
Von wahnwitz angefüllt. Denn wer hat ie vernommen/
Daß von der tauben sey ein starcker adler kommen?
Kein bock hat noch wohl nicht ein pferd zur welt gebracht/
Kein käfer einen straus. Und aus der finstern nacht
Entspringt kein sonnen-licht. Die meisten aber sagen/
Der himmel habe dich in seinen schooß getragen/

Al[s]

Vermiſchte Gedichte.
Der Tellus gruͤnen rock mit friſchem roſen-ſchnee
Und weiſſen liljen aus. Hier waͤchſet fetter klee
Auff Heyblens marmor-bruſt; Dort buͤcken die narciſſen
Sich zu den tulpen hin/ einander recht zu kuͤſſen.
Hier ſchmeltzt das thraͤnen-ſaltz vom rauchen hyacinth/
Wo die cryſt[a]llen-bach aus hellen klippen rinnt/
Voll luſt ſein herbes leid darinnen zu beſpiegeln.
Indeſſen feuchtet dort mit den bethauten fluͤgeln
Der zucker-ſuͤſſe weſt die wieſe/ die faſt lechſt.
Das weiß-beperlte graß/ das in den thaͤlern waͤchſt/
Bekraͤntzt der ſternen-thau. Die waͤlder werden duͤſtern
Nun ſich der wurtzeln-ſafft den aͤſten will verſchwiſtern/
Das laute fluͤgel-volck/ das ſtumme waſſer-heer/
Ja ſelbſt der kluge menſch/ und was lufft/ erd’ und meer
Beſeeltes in ſich hat/ wird gleichſam jung und rege/
Gereitzet durch den geiſt der Goͤttin/ derer wege
Durch alle grentzen gehn/ die die natur geſetzt/
Ich meyne Venus dich: du werdeſt gleich geſchaͤtzt
Von andern/ die noch nicht dein feuer recht erkennet/
Die deine krafft nicht ruͤhrt/ noch deine flamme brennet/
So/ wie es ihnen duͤnckt. Verzeihe mir nur hier
Du Gnidus-koͤnigin/ daß ich diß ſchlechte dir/
Auff dein bekraͤntzt altar mit ungewaſchner lippe
Im glaͤſer-hellen qvell des pferde-beins Enippe
Zu opffern mich erkuͤhn. O milde geberin
Der viel beredſamkeit/ nimm diß mein deutſchen hin.
Gib/ daß ein lauter ſchwan von deinem es mir zeige/
Wie ich dich ſingen ſoll. Laß meine lorbeer-zweige
Bey deinen myrthen bluͤhn. Ich ſpanne nun hierauff
Die ſeegel in dein lob/ gib/ daß nach guten lauff
Die ſeuchte muſchel mag die ſtillen ufer leſen.
Bald erſtlich aber faͤllt/ durch wen du ſeyſt geneſen/
Ein eyfer kummer vor. Die meiſten ſind geſinnt/
Du ſeyeſt Jupiters und der Dianen kind.
Viel duͤrffen dir wohl gar dein vater ſtreitig machen/
Und ſagen/ daß du nur (wer will des wahns nicht lachen)
Cambyſens kinds kind ſeyſt. In warheit/ welcher glaubt
Solch aberglaͤubiſch ding/ dem iſt ſein neblicht haupt
Von wahnwitz angefuͤllt. Denn wer hat ie vernommen/
Daß von der tauben ſey ein ſtarcker adler kommen?
Kein bock hat noch wohl nicht ein pferd zur welt gebracht/
Kein kaͤfer einen ſtraus. Und aus der finſtern nacht
Entſpringt kein ſonnen-licht. Die meiſten aber ſagen/
Der himmel habe dich in ſeinen ſchooß getragen/

Al[s]
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[230/0274] Vermiſchte Gedichte. Der Tellus gruͤnen rock mit friſchem roſen-ſchnee Und weiſſen liljen aus. Hier waͤchſet fetter klee Auff Heyblens marmor-bruſt; Dort buͤcken die narciſſen Sich zu den tulpen hin/ einander recht zu kuͤſſen. Hier ſchmeltzt das thraͤnen-ſaltz vom rauchen hyacinth/ Wo die cryſtallen-bach aus hellen klippen rinnt/ Voll luſt ſein herbes leid darinnen zu beſpiegeln. Indeſſen feuchtet dort mit den bethauten fluͤgeln Der zucker-ſuͤſſe weſt die wieſe/ die faſt lechſt. Das weiß-beperlte graß/ das in den thaͤlern waͤchſt/ Bekraͤntzt der ſternen-thau. Die waͤlder werden duͤſtern Nun ſich der wurtzeln-ſafft den aͤſten will verſchwiſtern/ Das laute fluͤgel-volck/ das ſtumme waſſer-heer/ Ja ſelbſt der kluge menſch/ und was lufft/ erd’ und meer Beſeeltes in ſich hat/ wird gleichſam jung und rege/ Gereitzet durch den geiſt der Goͤttin/ derer wege Durch alle grentzen gehn/ die die natur geſetzt/ Ich meyne Venus dich: du werdeſt gleich geſchaͤtzt Von andern/ die noch nicht dein feuer recht erkennet/ Die deine krafft nicht ruͤhrt/ noch deine flamme brennet/ So/ wie es ihnen duͤnckt. Verzeihe mir nur hier Du Gnidus-koͤnigin/ daß ich diß ſchlechte dir/ Auff dein bekraͤntzt altar mit ungewaſchner lippe Im glaͤſer-hellen qvell des pferde-beins Enippe Zu opffern mich erkuͤhn. O milde geberin Der viel beredſamkeit/ nimm diß mein deutſchen hin. Gib/ daß ein lauter ſchwan von deinem es mir zeige/ Wie ich dich ſingen ſoll. Laß meine lorbeer-zweige Bey deinen myrthen bluͤhn. Ich ſpanne nun hierauff Die ſeegel in dein lob/ gib/ daß nach guten lauff Die ſeuchte muſchel mag die ſtillen ufer leſen. Bald erſtlich aber faͤllt/ durch wen du ſeyſt geneſen/ Ein eyfer kummer vor. Die meiſten ſind geſinnt/ Du ſeyeſt Jupiters und der Dianen kind. Viel duͤrffen dir wohl gar dein vater ſtreitig machen/ Und ſagen/ daß du nur (wer will des wahns nicht lachen) Cambyſens kinds kind ſeyſt. In warheit/ welcher glaubt Solch aberglaͤubiſch ding/ dem iſt ſein neblicht haupt Von wahnwitz angefuͤllt. Denn wer hat ie vernommen/ Daß von der tauben ſey ein ſtarcker adler kommen? Kein bock hat noch wohl nicht ein pferd zur welt gebracht/ Kein kaͤfer einen ſtraus. Und aus der finſtern nacht Entſpringt kein ſonnen-licht. Die meiſten aber ſagen/ Der himmel habe dich in ſeinen ſchooß getragen/ Als

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Zitationshilfe: Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. [Bd. 1]. Leipzig, 1695, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte01_1695/274>, abgerufen am 25.04.2024.