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Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. [Bd. 1]. Leipzig, 1695.

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Verliebte Arien.
Wer ist doch/ der sich selbst entmenschen kan?
Wir wissen uns hier nirgends zu verklären/
Des fleisches kan das fleisch sich nicht erwehren/
Die menschlichkeit kleht menschen stündlich an.
Die engel liessen sich im himmel abwärts treiben/
Wie sollen menschen doch auff erden engel bleiben?
Soll Sylvia von mir verschlossen seyn?
Verbotne frucht ist mehr als doppelt süsse;
Der neben-weg reitzt mehrmahls unsre füsse/
Die wollust wächst auch aus gefahr und pein.
Diß ist die süsse nuß/ so schwer ist auffzubrechen/
Die rose wird geliebt/ ob gleich die dörner stechen.
Ach/ Sylvia! Ich weiß nicht/ wo ich bin!
Es soll kein mensch mein heisses übel kennen/
Ich armer darff nicht meine kranckheit nennen/
Die richt-sucht nimmt uns blüt und früchte hin.
Getreue Sylvia/ hab ich genade funden/
So schau/ ach schaue doch! in meine tieffe wunden.
Du kennest ja die galle dieser welt/
Wie iedermann des andern fehler zehlet/
Und fremden fall zum zeitvertreib erwehlet/
Und dessen fleck vor seine schmincke hält.
Du must nur dichtes garn zu meiner decken spinnen/
Dadurch die falsche welt nicht leicht wird sehen können.
Es soll alsdenn ein amber-reicher kuß/
Der sich genetzt in moschus und rubinen/
Vor julepp uns in dieser hitze dienen.
Wo bleibst du doch! O süsser überfluß?
Ich weiß die liebe wird zu lachen hier beginnen/
Indem zwey zungen nicht vor liebe reden können.


C. H. V. H.
Verliebte Arien.
Wer iſt doch/ der ſich ſelbſt entmenſchen kan?
Wir wiſſen uns hier nirgends zu verklaͤren/
Des fleiſches kan das fleiſch ſich nicht erwehren/
Die menſchlichkeit kleht menſchen ſtuͤndlich an.
Die engel lieſſen ſich im himmel abwaͤrts treiben/
Wie ſollen menſchen doch auff erden engel bleiben?
Soll Sylvia von mir verſchloſſen ſeyn?
Verbotne frucht iſt mehr als doppelt ſuͤſſe;
Der neben-weg reitzt mehrmahls unſre fuͤſſe/
Die wolluſt waͤchſt auch aus gefahr und pein.
Diß iſt die ſuͤſſe nuß/ ſo ſchwer iſt auffzubrechen/
Die roſe wird geliebt/ ob gleich die doͤrner ſtechen.
Ach/ Sylvia! Ich weiß nicht/ wo ich bin!
Es ſoll kein menſch mein heiſſes uͤbel kennen/
Ich armer darff nicht meine kranckheit nennen/
Die richt-ſucht nimmt uns bluͤt und fruͤchte hin.
Getreue Sylvia/ hab ich genade funden/
So ſchau/ ach ſchaue doch! in meine tieffe wunden.
Du kenneſt ja die galle dieſer welt/
Wie iedermann des andern fehler zehlet/
Und fremden fall zum zeitvertreib erwehlet/
Und deſſen fleck vor ſeine ſchmincke haͤlt.
Du muſt nur dichtes garn zu meiner decken ſpinnen/
Dadurch die falſche welt nicht leicht wird ſehen koͤnnen.
Es ſoll alsdenn ein amber-reicher kuß/
Der ſich genetzt in moſchus und rubinen/
Vor julepp uns in dieſer hitze dienen.
Wo bleibſt du doch! O ſuͤſſer uͤberfluß?
Ich weiß die liebe wird zu lachen hier beginnen/
Indem zwey zungen nicht vor liebe reden koͤnnen.


C. H. V. H.
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[366/0410] Verliebte Arien. Wer iſt doch/ der ſich ſelbſt entmenſchen kan? Wir wiſſen uns hier nirgends zu verklaͤren/ Des fleiſches kan das fleiſch ſich nicht erwehren/ Die menſchlichkeit kleht menſchen ſtuͤndlich an. Die engel lieſſen ſich im himmel abwaͤrts treiben/ Wie ſollen menſchen doch auff erden engel bleiben? Soll Sylvia von mir verſchloſſen ſeyn? Verbotne frucht iſt mehr als doppelt ſuͤſſe; Der neben-weg reitzt mehrmahls unſre fuͤſſe/ Die wolluſt waͤchſt auch aus gefahr und pein. Diß iſt die ſuͤſſe nuß/ ſo ſchwer iſt auffzubrechen/ Die roſe wird geliebt/ ob gleich die doͤrner ſtechen. Ach/ Sylvia! Ich weiß nicht/ wo ich bin! Es ſoll kein menſch mein heiſſes uͤbel kennen/ Ich armer darff nicht meine kranckheit nennen/ Die richt-ſucht nimmt uns bluͤt und fruͤchte hin. Getreue Sylvia/ hab ich genade funden/ So ſchau/ ach ſchaue doch! in meine tieffe wunden. Du kenneſt ja die galle dieſer welt/ Wie iedermann des andern fehler zehlet/ Und fremden fall zum zeitvertreib erwehlet/ Und deſſen fleck vor ſeine ſchmincke haͤlt. Du muſt nur dichtes garn zu meiner decken ſpinnen/ Dadurch die falſche welt nicht leicht wird ſehen koͤnnen. Es ſoll alsdenn ein amber-reicher kuß/ Der ſich genetzt in moſchus und rubinen/ Vor julepp uns in dieſer hitze dienen. Wo bleibſt du doch! O ſuͤſſer uͤberfluß? Ich weiß die liebe wird zu lachen hier beginnen/ Indem zwey zungen nicht vor liebe reden koͤnnen. C. H. V. H.

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Zitationshilfe: Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. [Bd. 1]. Leipzig, 1695, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte01_1695/410>, abgerufen am 25.04.2024.