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Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709.

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Hochzeit-Getichte.
Doch wenn ein freyers-mann sich eines soll erwehlen,
So pflegt er meistentheils beym schlusse zu verfehlen.
Denn beyde scheinen uns vielfachen lobes werth;
An beyden ist auch was, so unsern geist beschwert.
Die grossen schicken sich, die stuben auszuzieren,
Und in dem bette wird man sie nicht leicht verliehren.
Wenn uns, ich weiß nicht was, zu einem kusse zwingt,
Und der verwehnte mund zu fremden lippen dringt;
So kan ein grosses kind sich gar zu artig schicken:
Man darff sich nicht so sehr, wie bey den kleinen, bücken:
Der puckel wird nicht krumm: das angesetzte knie
Und unser schwacher leib empfindet wenig müh.
Es heißt, man soll das weib zu der gehülfin nehmen;
Wo aber kan sich wohl ein kleines kind bequemen,
Jn nöthen beyzustehn? Sieht doch ein grosses haus
Nicht nur gemeiniglich von aussen prächtig aus;
Es hat auch innerlich die köstlichsten gemächer:
Auf gleiche weise legt die tugend ihre fächer
Bey grossen seelen an. Wer sich durch gold ergetzt,
Und ein halb quentgen schon für seine freude schätzt;
Den wird ein gantzes pfund gewiß noch mehr erfreuen:
Diß muß ich ebenfalls von weibern prophezeyen.
Setzt ein subtiler mund und eine zarte hand
Die armen sterblichen schon in den ärgsten brand;
Was wird denn allbereit zur selben zeit geschehen,
Wo sie was köstliches an starcken gliedern sehen?
Nichts desto weniger bleibt dieses doch mein schluß:
Daß man ein kleines weib am ehsten suchen muß.
Die ist viel artiger: Wir könnens aus den wercken
Der gütigen natur mehr als zu deutlich mercken:
Wenn diese bey der welt was gutes schaffen will,
So achtet sie das maas der grösse nicht gar viel:
Sie läßt aus zinn und bley die grösten klumpen werden;
Doch das beliebte gold, das beste marck der erden
Sieht, wenn es zu uns kommt, gemeiniglich gantz klein:
Der beste diamant verlangt vor seinen schein
Kein
VI. Theil. J
Hochzeit-Getichte.
Doch wenn ein freyers-mann ſich eines ſoll erwehlen,
So pflegt er meiſtentheils beym ſchluſſe zu verfehlen.
Denn beyde ſcheinen uns vielfachen lobes werth;
An beyden iſt auch was, ſo unſern geiſt beſchwert.
Die groſſen ſchicken ſich, die ſtuben auszuzieren,
Und in dem bette wird man ſie nicht leicht verliehren.
Wenn uns, ich weiß nicht was, zu einem kuſſe zwingt,
Und der verwehnte mund zu fremden lippen dringt;
So kan ein groſſes kind ſich gar zu artig ſchicken:
Man darff ſich nicht ſo ſehr, wie bey den kleinen, buͤcken:
Der puckel wird nicht krumm: das angeſetzte knie
Und unſer ſchwacher leib empfindet wenig muͤh.
Es heißt, man ſoll das weib zu der gehuͤlfin nehmen;
Wo aber kan ſich wohl ein kleines kind bequemen,
Jn noͤthen beyzuſtehn? Sieht doch ein groſſes haus
Nicht nur gemeiniglich von auſſen praͤchtig aus;
Es hat auch innerlich die koͤſtlichſten gemaͤcher:
Auf gleiche weiſe legt die tugend ihre faͤcher
Bey groſſen ſeelen an. Wer ſich durch gold ergetzt,
Und ein halb quentgen ſchon fuͤr ſeine freude ſchaͤtzt;
Den wird ein gantzes pfund gewiß noch mehr erfreuen:
Diß muß ich ebenfalls von weibern prophezeyen.
Setzt ein ſubtiler mund und eine zarte hand
Die armen ſterblichen ſchon in den aͤrgſten brand;
Was wird denn allbereit zur ſelben zeit geſchehen,
Wo ſie was koͤſtliches an ſtarcken gliedern ſehen?
Nichts deſto weniger bleibt dieſes doch mein ſchluß:
Daß man ein kleines weib am ehſten ſuchen muß.
Die iſt viel artiger: Wir koͤnnens aus den wercken
Der guͤtigen natur mehr als zu deutlich mercken:
Wenn dieſe bey der welt was gutes ſchaffen will,
So achtet ſie das maas der groͤſſe nicht gar viel:
Sie laͤßt aus zinn und bley die groͤſten klumpen werden;
Doch das beliebte gold, das beſte marck der erden
Sieht, wenn es zu uns kommt, gemeiniglich gantz klein:
Der beſte diamant verlangt vor ſeinen ſchein
Kein
VI. Theil. J
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[129/0153] Hochzeit-Getichte. Doch wenn ein freyers-mann ſich eines ſoll erwehlen, So pflegt er meiſtentheils beym ſchluſſe zu verfehlen. Denn beyde ſcheinen uns vielfachen lobes werth; An beyden iſt auch was, ſo unſern geiſt beſchwert. Die groſſen ſchicken ſich, die ſtuben auszuzieren, Und in dem bette wird man ſie nicht leicht verliehren. Wenn uns, ich weiß nicht was, zu einem kuſſe zwingt, Und der verwehnte mund zu fremden lippen dringt; So kan ein groſſes kind ſich gar zu artig ſchicken: Man darff ſich nicht ſo ſehr, wie bey den kleinen, buͤcken: Der puckel wird nicht krumm: das angeſetzte knie Und unſer ſchwacher leib empfindet wenig muͤh. Es heißt, man ſoll das weib zu der gehuͤlfin nehmen; Wo aber kan ſich wohl ein kleines kind bequemen, Jn noͤthen beyzuſtehn? Sieht doch ein groſſes haus Nicht nur gemeiniglich von auſſen praͤchtig aus; Es hat auch innerlich die koͤſtlichſten gemaͤcher: Auf gleiche weiſe legt die tugend ihre faͤcher Bey groſſen ſeelen an. Wer ſich durch gold ergetzt, Und ein halb quentgen ſchon fuͤr ſeine freude ſchaͤtzt; Den wird ein gantzes pfund gewiß noch mehr erfreuen: Diß muß ich ebenfalls von weibern prophezeyen. Setzt ein ſubtiler mund und eine zarte hand Die armen ſterblichen ſchon in den aͤrgſten brand; Was wird denn allbereit zur ſelben zeit geſchehen, Wo ſie was koͤſtliches an ſtarcken gliedern ſehen? Nichts deſto weniger bleibt dieſes doch mein ſchluß: Daß man ein kleines weib am ehſten ſuchen muß. Die iſt viel artiger: Wir koͤnnens aus den wercken Der guͤtigen natur mehr als zu deutlich mercken: Wenn dieſe bey der welt was gutes ſchaffen will, So achtet ſie das maas der groͤſſe nicht gar viel: Sie laͤßt aus zinn und bley die groͤſten klumpen werden; Doch das beliebte gold, das beſte marck der erden Sieht, wenn es zu uns kommt, gemeiniglich gantz klein: Der beſte diamant verlangt vor ſeinen ſchein Kein VI. Theil. J

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Zitationshilfe: Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709/153>, abgerufen am 19.04.2024.