Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709.

Bild:
<< vorherige Seite
Vermischte Getichte.
Es sind fünff wochen um, daß ich die kühnheit nahm,
Und aus der Brennen land in diese grentzen kam.
Das erste, was ich sah, und ewig will gedencken,
War, daß du woll und vieh ließt deiner fürstin schencken.
Ach! dacht ich bey mir selbst: Jst hier noch güldne zeit,
Da Mars die halbe welt mit kugelu überstreut?
Da sich ein teutscher mann nicht mehr in Teutschland kennet:
Ein kind den vater nicht in seiner sprache nennet:
Die speise nach Pariß, der wein nach Welschland schmeckt:
Und offt ein gantzer kram in einem kleide steckt?
Weiß Coburg noch allein nicht von den fetten tagen,
Die so viel reiche mehr, als pest und krieg, geschlagen?
Die dir, o Hannibal! den degen stumpff gemacht:
Das aufgeblehte Rom durch Rom zu falle bracht:
Und unser vaterland biß auf das blut aussaugen?
So dacht ich, und belief die gegend mit den augen,
Jch sah bald feld und hof, bald kirch und schulen an;
Doch alles, was ich sah, war klug und wohl gethan.
Denn Albrechts hoher witz erschien in allen ständen,
So artig, daß ich nichts sah ohne noth verschwenden,
Und gleichwohl alles fand, was fürsten zugehört.
Die mauren waren noch durch keinen feind versehrt:
Die bürger wusten mir nichts widrigas zu sagen,
Als was bey theurer zeit die gantze welt muß klagen.
Mit kurtzem: Jch erfuhr, daß glück und frölichkeit
Die rosen nicht allein in feldern ausgestreut:
Und daß man eben so, wie in den kühlen gründen,
Bey hofe schäfer kan und wahre tugend finden.
Und warlich, wo ein land nach wunsche soll gedeyn,
So muß sein ober-herr ein halber schäfer seyn,
Und ja so wohl, als wir, bey angebrochnem morgen,
Nach seinem amte sehn, und für die heerde sorgen.
Wir leben zwar für uns; doch mehr für unser vieh:
Wir essen unser brod zwar freudig; doch mit müh:
Und wachen, wenn wir uns gleich halb zu bette legen:
So muß ein kluger fürst auch noch die flügel regen,
Wenn
Vermiſchte Getichte.
Es ſind fuͤnff wochen um, daß ich die kuͤhnheit nahm,
Und aus der Brennen land in dieſe grentzen kam.
Das erſte, was ich ſah, und ewig will gedencken,
War, daß du woll und vieh ließt deiner fuͤrſtin ſchencken.
Ach! dacht ich bey mir ſelbſt: Jſt hier noch guͤldne zeit,
Da Mars die halbe welt mit kugelu uͤberſtreut?
Da ſich ein teutſcher mann nicht mehr in Teutſchland kennet:
Ein kind den vater nicht in ſeiner ſprache nennet:
Die ſpeiſe nach Pariß, der wein nach Welſchland ſchmeckt:
Und offt ein gantzer kram in einem kleide ſteckt?
Weiß Coburg noch allein nicht von den fetten tagen,
Die ſo viel reiche mehr, als peſt und krieg, geſchlagen?
Die dir, o Hannibal! den degen ſtumpff gemacht:
Das aufgeblehte Rom durch Rom zu falle bracht:
Und unſer vaterland biß auf das blut ausſaugen?
So dacht ich, und belief die gegend mit den augen,
Jch ſah bald feld und hof, bald kirch und ſchulen an;
Doch alles, was ich ſah, war klug und wohl gethan.
Denn Albrechts hoher witz erſchien in allen ſtaͤnden,
So artig, daß ich nichts ſah ohne noth verſchwenden,
Und gleichwohl alles fand, was fuͤrſten zugehoͤrt.
Die mauren waren noch durch keinen feind verſehrt:
Die buͤrger wuſten mir nichts widrigas zu ſagen,
Als was bey theurer zeit die gantze welt muß klagen.
Mit kurtzem: Jch erfuhr, daß gluͤck und froͤlichkeit
Die roſen nicht allein in feldern ausgeſtreut:
Und daß man eben ſo, wie in den kuͤhlen gruͤnden,
Bey hofe ſchaͤfer kan und wahre tugend finden.
Und warlich, wo ein land nach wunſche ſoll gedeyn,
So muß ſein ober-herꝛ ein halber ſchaͤfer ſeyn,
Und ja ſo wohl, als wir, bey angebrochnem morgen,
Nach ſeinem amte ſehn, und fuͤr die heerde ſorgen.
Wir leben zwar fuͤr uns; doch mehr fuͤr unſer vieh:
Wir eſſen unſer brod zwar freudig; doch mit muͤh:
Und wachen, wenn wir uns gleich halb zu bette legen:
So muß ein kluger fuͤrſt auch noch die fluͤgel regen,
Wenn
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0226" n="202"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vermi&#x017F;chte Getichte.</hi> </fw><lb/>
          <l>Es &#x017F;ind fu&#x0364;nff wochen um, daß ich die ku&#x0364;hnheit nahm,</l><lb/>
          <l>Und aus der Brennen land in die&#x017F;e grentzen kam.</l><lb/>
          <l>Das er&#x017F;te, was ich &#x017F;ah, und ewig will gedencken,</l><lb/>
          <l>War, daß du woll und vieh ließt deiner fu&#x0364;r&#x017F;tin &#x017F;chencken.</l><lb/>
          <l>Ach! dacht ich bey mir &#x017F;elb&#x017F;t: J&#x017F;t hier noch gu&#x0364;ldne zeit,</l><lb/>
          <l>Da Mars die halbe welt mit kugelu u&#x0364;ber&#x017F;treut?</l><lb/>
          <l>Da &#x017F;ich ein teut&#x017F;cher mann nicht mehr in Teut&#x017F;chland kennet:</l><lb/>
          <l>Ein kind den vater nicht in &#x017F;einer &#x017F;prache nennet:</l><lb/>
          <l>Die &#x017F;pei&#x017F;e nach Pariß, der wein nach Wel&#x017F;chland &#x017F;chmeckt:</l><lb/>
          <l>Und offt ein gantzer kram in einem kleide &#x017F;teckt?</l><lb/>
          <l>Weiß Coburg noch allein nicht von den fetten tagen,</l><lb/>
          <l>Die &#x017F;o viel reiche mehr, als pe&#x017F;t und krieg, ge&#x017F;chlagen?</l><lb/>
          <l>Die dir, o Hannibal! den degen &#x017F;tumpff gemacht:</l><lb/>
          <l>Das aufgeblehte Rom durch Rom zu falle bracht:</l><lb/>
          <l>Und un&#x017F;er vaterland biß auf das blut aus&#x017F;augen?</l><lb/>
          <l>So dacht ich, und belief die gegend mit den augen,</l><lb/>
          <l>Jch &#x017F;ah bald feld und hof, bald kirch und &#x017F;chulen an;</l><lb/>
          <l>Doch alles, was ich &#x017F;ah, war klug und wohl gethan.</l><lb/>
          <l>Denn Albrechts hoher witz er&#x017F;chien in allen &#x017F;ta&#x0364;nden,</l><lb/>
          <l>So artig, daß ich nichts &#x017F;ah ohne noth ver&#x017F;chwenden,</l><lb/>
          <l>Und gleichwohl alles fand, was fu&#x0364;r&#x017F;ten zugeho&#x0364;rt.</l><lb/>
          <l>Die mauren waren noch durch keinen feind ver&#x017F;ehrt:</l><lb/>
          <l>Die bu&#x0364;rger wu&#x017F;ten mir nichts widrigas zu &#x017F;agen,</l><lb/>
          <l>Als was bey theurer zeit die gantze welt muß klagen.</l><lb/>
          <l>Mit kurtzem: Jch erfuhr, daß glu&#x0364;ck und fro&#x0364;lichkeit</l><lb/>
          <l>Die ro&#x017F;en nicht allein in feldern ausge&#x017F;treut:</l><lb/>
          <l>Und daß man eben &#x017F;o, wie in den ku&#x0364;hlen gru&#x0364;nden,</l><lb/>
          <l>Bey hofe &#x017F;cha&#x0364;fer kan und wahre tugend finden.</l><lb/>
          <l>Und warlich, wo ein land nach wun&#x017F;che &#x017F;oll gedeyn,</l><lb/>
          <l>So muß &#x017F;ein ober-her&#xA75B; ein halber &#x017F;cha&#x0364;fer &#x017F;eyn,</l><lb/>
          <l>Und ja &#x017F;o wohl, als wir, bey angebrochnem morgen,</l><lb/>
          <l>Nach &#x017F;einem amte &#x017F;ehn, und fu&#x0364;r die heerde &#x017F;orgen.</l><lb/>
          <l>Wir leben zwar fu&#x0364;r uns; doch mehr fu&#x0364;r un&#x017F;er vieh:</l><lb/>
          <l>Wir e&#x017F;&#x017F;en un&#x017F;er brod zwar freudig; doch mit mu&#x0364;h:</l><lb/>
          <l>Und wachen, wenn wir uns gleich halb zu bette legen:</l><lb/>
          <l>So muß ein kluger fu&#x0364;r&#x017F;t auch noch die flu&#x0364;gel regen,</l><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Wenn</fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0226] Vermiſchte Getichte. Es ſind fuͤnff wochen um, daß ich die kuͤhnheit nahm, Und aus der Brennen land in dieſe grentzen kam. Das erſte, was ich ſah, und ewig will gedencken, War, daß du woll und vieh ließt deiner fuͤrſtin ſchencken. Ach! dacht ich bey mir ſelbſt: Jſt hier noch guͤldne zeit, Da Mars die halbe welt mit kugelu uͤberſtreut? Da ſich ein teutſcher mann nicht mehr in Teutſchland kennet: Ein kind den vater nicht in ſeiner ſprache nennet: Die ſpeiſe nach Pariß, der wein nach Welſchland ſchmeckt: Und offt ein gantzer kram in einem kleide ſteckt? Weiß Coburg noch allein nicht von den fetten tagen, Die ſo viel reiche mehr, als peſt und krieg, geſchlagen? Die dir, o Hannibal! den degen ſtumpff gemacht: Das aufgeblehte Rom durch Rom zu falle bracht: Und unſer vaterland biß auf das blut ausſaugen? So dacht ich, und belief die gegend mit den augen, Jch ſah bald feld und hof, bald kirch und ſchulen an; Doch alles, was ich ſah, war klug und wohl gethan. Denn Albrechts hoher witz erſchien in allen ſtaͤnden, So artig, daß ich nichts ſah ohne noth verſchwenden, Und gleichwohl alles fand, was fuͤrſten zugehoͤrt. Die mauren waren noch durch keinen feind verſehrt: Die buͤrger wuſten mir nichts widrigas zu ſagen, Als was bey theurer zeit die gantze welt muß klagen. Mit kurtzem: Jch erfuhr, daß gluͤck und froͤlichkeit Die roſen nicht allein in feldern ausgeſtreut: Und daß man eben ſo, wie in den kuͤhlen gruͤnden, Bey hofe ſchaͤfer kan und wahre tugend finden. Und warlich, wo ein land nach wunſche ſoll gedeyn, So muß ſein ober-herꝛ ein halber ſchaͤfer ſeyn, Und ja ſo wohl, als wir, bey angebrochnem morgen, Nach ſeinem amte ſehn, und fuͤr die heerde ſorgen. Wir leben zwar fuͤr uns; doch mehr fuͤr unſer vieh: Wir eſſen unſer brod zwar freudig; doch mit muͤh: Und wachen, wenn wir uns gleich halb zu bette legen: So muß ein kluger fuͤrſt auch noch die fluͤgel regen, Wenn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709/226
Zitationshilfe: Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709/226>, abgerufen am 28.03.2024.