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Holtei, Karl von: 's Muhme-Leutnant-Saloppel. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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II.

Wer war Herr Tiesel? Zunächst der einzige Sohn von Wawerle's älterem, langst verstorbenem sogenanntem Stiefbruder. Sodann der Gatte von Frau Brigitte (Mutter Grittel geheißen), geborene Kuschel. Drittens der Vater zweier wilder Hummeln, zubenannt Lene und Fritzel, wie eines sanften Jungen, der, dem Vater zu Ehren Gustav getauft, Gustel gerufen ward. Viertens endlich: schlecht besoldeter Schreiber in einer Regierungskanzlei, ohne begründete Aussicht auf Beförderung. Das war Herr Tiesel. Und wir wissen jetzt schon genug von ihm und allen Ansprüchen, welche er sammt den Seinigen ans Leben zu machen hatte.

Bei diesen Leuten brachte sich die verwittwete Muhme Wawerle unter, um sich, wie sie sagte, in ihrer Gesellschaft belagern zu lassen.

Hanepichen wollte man sie nicht anreden aus übrig gebliebener Scheu vor ihrem seligen Tyrannen. Wawerle würde sie am liebsten gehört haben; das fanden die Verwandten "unschicksam". So blieb es bei Muhme-Lieutnanten. Dadurch meinten sie jene Achtung auszudrücken, welche sich an die Zubuße knüpfte, mit der durch Wawerle's freiwillig dargebotene Beiträge die dürftige Wirthschaft unterstützt wurde, was während einer vierwöchentlichen Belagerung, wo der Preis einfacher Lebensmittel aufs Höchste stieg, gewiß nicht zu verschmähen war; um so weniger, je weniger

II.

Wer war Herr Tiesel? Zunächst der einzige Sohn von Wawerle's älterem, langst verstorbenem sogenanntem Stiefbruder. Sodann der Gatte von Frau Brigitte (Mutter Grittel geheißen), geborene Kuschel. Drittens der Vater zweier wilder Hummeln, zubenannt Lene und Fritzel, wie eines sanften Jungen, der, dem Vater zu Ehren Gustav getauft, Gustel gerufen ward. Viertens endlich: schlecht besoldeter Schreiber in einer Regierungskanzlei, ohne begründete Aussicht auf Beförderung. Das war Herr Tiesel. Und wir wissen jetzt schon genug von ihm und allen Ansprüchen, welche er sammt den Seinigen ans Leben zu machen hatte.

Bei diesen Leuten brachte sich die verwittwete Muhme Wawerle unter, um sich, wie sie sagte, in ihrer Gesellschaft belagern zu lassen.

Hanepichen wollte man sie nicht anreden aus übrig gebliebener Scheu vor ihrem seligen Tyrannen. Wawerle würde sie am liebsten gehört haben; das fanden die Verwandten „unschicksam“. So blieb es bei Muhme-Lieutnanten. Dadurch meinten sie jene Achtung auszudrücken, welche sich an die Zubuße knüpfte, mit der durch Wawerle's freiwillig dargebotene Beiträge die dürftige Wirthschaft unterstützt wurde, was während einer vierwöchentlichen Belagerung, wo der Preis einfacher Lebensmittel aufs Höchste stieg, gewiß nicht zu verschmähen war; um so weniger, je weniger

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[0012] II. Wer war Herr Tiesel? Zunächst der einzige Sohn von Wawerle's älterem, langst verstorbenem sogenanntem Stiefbruder. Sodann der Gatte von Frau Brigitte (Mutter Grittel geheißen), geborene Kuschel. Drittens der Vater zweier wilder Hummeln, zubenannt Lene und Fritzel, wie eines sanften Jungen, der, dem Vater zu Ehren Gustav getauft, Gustel gerufen ward. Viertens endlich: schlecht besoldeter Schreiber in einer Regierungskanzlei, ohne begründete Aussicht auf Beförderung. Das war Herr Tiesel. Und wir wissen jetzt schon genug von ihm und allen Ansprüchen, welche er sammt den Seinigen ans Leben zu machen hatte. Bei diesen Leuten brachte sich die verwittwete Muhme Wawerle unter, um sich, wie sie sagte, in ihrer Gesellschaft belagern zu lassen. Hanepichen wollte man sie nicht anreden aus übrig gebliebener Scheu vor ihrem seligen Tyrannen. Wawerle würde sie am liebsten gehört haben; das fanden die Verwandten „unschicksam“. So blieb es bei Muhme-Lieutnanten. Dadurch meinten sie jene Achtung auszudrücken, welche sich an die Zubuße knüpfte, mit der durch Wawerle's freiwillig dargebotene Beiträge die dürftige Wirthschaft unterstützt wurde, was während einer vierwöchentlichen Belagerung, wo der Preis einfacher Lebensmittel aufs Höchste stieg, gewiß nicht zu verschmähen war; um so weniger, je weniger

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: 's Muhme-Leutnant-Saloppel. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_saloppel_1910/12>, abgerufen am 18.04.2024.