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Holz, Arno; Schlaf, Johannes: Die Familie Selicke. Berlin, 1890.

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baren Worte -- zwischen Idealismus und Realismus, zwischen
Convention und Naturwollen! Und in der That hat denn auch
unser Experiment unsere Hypothese bestätigt ....

Die Mystifikation als solche glückte glänzend. So durch-
aus durchsichtig sie auch gehalten war, und so leicht es
jetzt natürlich auch Manchen geworden sein mag, nachträg-
lich zu behaupten, sie hätten sie gleich durchschaut: man
glaubte an die Existenz Bjarne P. Holmsens sieben volle
Monate lang und kam erst hinter seine Nichtexistenz, nachdem
bereits die Verfasser selber kein Hehl mehr aus ihr machten.

Eine der ersten "Enthüllungen" brachte die erste No-
vembernummer des "Magazins für die Litteratur des
In- und Auslands
" in einem "Kaberlin" unterzeichneten
Artikel. Der Anfang desselben lautete:

"Der Verfasser des Dramas "Vor Sonnenaufgang",
Gerhart Hauptmann, hat auf der ersten Seite seines
Buches einen gewissen Bjarne P. Holmsen freudig
anerkannt. Es war dessen Novellencyklus "Papa Hamlet",
erschienen bei C. Reissner in Leipzig, der, wie es in der
Widmung heisst, die entscheidende Anregung gegeben hatte.
Wieder einmal, so dachte ich -- das Buch in die Hand
nehmend, ist die Befruchtung aus dem Ausland gekommen;
es scheint also, dass der deutsche Realismus zur Selbst-
ständigkeit immer noch nicht reif -- vielmehr noch ge-
zwungen ist, die französische Knechtschaft mit der des
Nordens zu wechseln.

Als ich jedoch die erste der drei Novellen durchgelesen
hatte, erschien mir bereits die Echtheit der norwegischen
Ortsfärbung sehr zweifelhaft. Denn nur zu bald bricht
jenes urwüchsige, warme Element eines Humors durch die
Schilderung, der nur den Germanen der Mittelzonen zu
eigen ist. Und eine Nachforschung bestätigte meinen Ver-
dacht: es stellte sich heraus, dass sich hinter dem Namen
Holmsen ein jungdeutscher Dichter versteckt hält, der als
Pfadfinder in dem bisher noch ziemlich dunkeln Gebiet
des deutschen Realismus schon bekannt ist: Arno Holz,
der Dichter des "Buchs der Zeit".

Zu diesem Absatze veröffentlichte dann die übernächste
Nummer desselben Blattes folgenden Brief. Wir bringen ihn
hier abermals zum Abdruck, um auch in Zukunft etwaigen
ähnlichen Deutungen unseres Zusammenarbeitens ein für alle
Mal aus dem Wege zu gehen.


baren Worte — zwischen Idealismus und Realismus, zwischen
Convention und Naturwollen! Und in der That hat denn auch
unser Experiment unsere Hypothese bestätigt ....

Die Mystifikation als solche glückte glänzend. So durch-
aus durchsichtig sie auch gehalten war, und so leicht es
jetzt natürlich auch Manchen geworden sein mag, nachträg-
lich zu behaupten, sie hätten sie gleich durchschaut: man
glaubte an die Existenz Bjarne P. Holmsens sieben volle
Monate lang und kam erst hinter seine Nichtexistenz, nachdem
bereits die Verfasser selber kein Hehl mehr aus ihr machten.

Eine der ersten „Enthüllungen“ brachte die erste No-
vembernummer des „Magazins für die Litteratur des
In- und Auslands
“ in einem „Kaberlin“ unterzeichneten
Artikel. Der Anfang desselben lautete:

„Der Verfasser des Dramas „Vor Sonnenaufgang“,
Gerhart Hauptmann, hat auf der ersten Seite seines
Buches einen gewissen Bjarne P. Holmsen freudig
anerkannt. Es war dessen Novellencyklus „Papa Hamlet“,
erschienen bei C. Reissner in Leipzig, der, wie es in der
Widmung heisst, die entscheidende Anregung gegeben hatte.
Wieder einmal, so dachte ich — das Buch in die Hand
nehmend, ist die Befruchtung aus dem Ausland gekommen;
es scheint also, dass der deutsche Realismus zur Selbst-
ständigkeit immer noch nicht reif — vielmehr noch ge-
zwungen ist, die französische Knechtschaft mit der des
Nordens zu wechseln.

Als ich jedoch die erste der drei Novellen durchgelesen
hatte, erschien mir bereits die Echtheit der norwegischen
Ortsfärbung sehr zweifelhaft. Denn nur zu bald bricht
jenes urwüchsige, warme Element eines Humors durch die
Schilderung, der nur den Germanen der Mittelzonen zu
eigen ist. Und eine Nachforschung bestätigte meinen Ver-
dacht: es stellte sich heraus, dass sich hinter dem Namen
Holmsen ein jungdeutscher Dichter versteckt hält, der als
Pfadfinder in dem bisher noch ziemlich dunkeln Gebiet
des deutschen Realismus schon bekannt ist: Arno Holz,
der Dichter des „Buchs der Zeit“.

Zu diesem Absatze veröffentlichte dann die übernächste
Nummer desselben Blattes folgenden Brief. Wir bringen ihn
hier abermals zum Abdruck, um auch in Zukunft etwaigen
ähnlichen Deutungen unseres Zusammenarbeitens ein für alle
Mal aus dem Wege zu gehen.


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Zitationshilfe: Holz, Arno; Schlaf, Johannes: Die Familie Selicke. Berlin, 1890, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holz_selicke_1890/12>, abgerufen am 28.03.2024.