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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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Pracht für überflüssig bei unsern jetzigen Bedürf-
nissen, wo aller Herzen in manchen Momenten
vereint, mag es in den verschiedensten Formen
seya, Gott danken, vor Gott weinen. Ich war
in Träume vertieft in den Vorhallen gewandert,
ohne in das Schiff der Kirche, welches allein aus-
gebaut ist, allein eine ansehnliche Kirche ausmacht,
zu treten. Jetzt ging ich leise den einen Seiten-
gang hinauf, dem Hauptaltare zu, und der erste
Gegenstand den ich erblickte, war eine mit Blu-
menkränzen geschmückte, mit leichten Muselin
umhangene Kinderbahre, neben der einige Wei-
ber beteten. Die Tracht dieser Frauen erhöhte
das Ueberraschende des Anblicks. Sie tragen ein
großes schwarzseidnes viereckiges Tuch als Schleier
und Mantel zugleich, welches, wenn sie knieen,
den Gewändern der heiligen Weiber aus der deut-
schen alten Schule sehr gleich kommt. Ein Kin-
dersarg! -- Gott erhalte das blühende Leben mei-
ner Molly! dachte ich erschüttert. Es ist als
wenn auf dieser ganzen Reise wo ich verweile der
Tod mir stets zuförderst die Hand bietet. In
* * hielt mich das feierliche Leichenbegängniß ei-
nes Studirenden tief in die Nacht hinein am Fen-
ster. Es ward mit der edlern Theilnahme began-

Pracht fuͤr uͤberfluͤſſig bei unſern jetzigen Beduͤrf-
niſſen, wo aller Herzen in manchen Momenten
vereint, mag es in den verſchiedenſten Formen
ſeya, Gott danken, vor Gott weinen. Ich war
in Traͤume vertieft in den Vorhallen gewandert,
ohne in das Schiff der Kirche, welches allein aus-
gebaut iſt, allein eine anſehnliche Kirche ausmacht,
zu treten. Jetzt ging ich leiſe den einen Seiten-
gang hinauf, dem Hauptaltare zu, und der erſte
Gegenſtand den ich erblickte, war eine mit Blu-
menkraͤnzen geſchmuͤckte, mit leichten Muſelin
umhangene Kinderbahre, neben der einige Wei-
ber beteten. Die Tracht dieſer Frauen erhoͤhte
das Ueberraſchende des Anblicks. Sie tragen ein
großes ſchwarzſeidnes viereckiges Tuch als Schleier
und Mantel zugleich, welches, wenn ſie knieen,
den Gewaͤndern der heiligen Weiber aus der deut-
ſchen alten Schule ſehr gleich kommt. Ein Kin-
derſarg! — Gott erhalte das bluͤhende Leben mei-
ner Molly! dachte ich erſchuͤttert. Es iſt als
wenn auf dieſer ganzen Reiſe wo ich verweile der
Tod mir ſtets zufoͤrderſt die Hand bietet. In
* * hielt mich das feierliche Leichenbegaͤngniß ei-
nes Studirenden tief in die Nacht hinein am Fen-
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[68/0082] Pracht fuͤr uͤberfluͤſſig bei unſern jetzigen Beduͤrf- niſſen, wo aller Herzen in manchen Momenten vereint, mag es in den verſchiedenſten Formen ſeya, Gott danken, vor Gott weinen. Ich war in Traͤume vertieft in den Vorhallen gewandert, ohne in das Schiff der Kirche, welches allein aus- gebaut iſt, allein eine anſehnliche Kirche ausmacht, zu treten. Jetzt ging ich leiſe den einen Seiten- gang hinauf, dem Hauptaltare zu, und der erſte Gegenſtand den ich erblickte, war eine mit Blu- menkraͤnzen geſchmuͤckte, mit leichten Muſelin umhangene Kinderbahre, neben der einige Wei- ber beteten. Die Tracht dieſer Frauen erhoͤhte das Ueberraſchende des Anblicks. Sie tragen ein großes ſchwarzſeidnes viereckiges Tuch als Schleier und Mantel zugleich, welches, wenn ſie knieen, den Gewaͤndern der heiligen Weiber aus der deut- ſchen alten Schule ſehr gleich kommt. Ein Kin- derſarg! — Gott erhalte das bluͤhende Leben mei- ner Molly! dachte ich erſchuͤttert. Es iſt als wenn auf dieſer ganzen Reiſe wo ich verweile der Tod mir ſtets zufoͤrderſt die Hand bietet. In * * hielt mich das feierliche Leichenbegaͤngniß ei- nes Studirenden tief in die Nacht hinein am Fen- ſter. Es ward mit der edlern Theilnahme began-

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/82>, abgerufen am 29.03.2024.