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Huber, Victor Aimé: Sieben Briefe über englisches Revival und deutsche Erweckung. Frankfurt (Main), 1862.

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Jnselwelt hat. Und dennoch wird sich bei näherer Erforschung
auch eine solche auf das Maaß des thatsächlich Möglichen beschränkte
Erwartung nicht ganz getäuscht finden. Soviel wenigstens kann
ich aus eigener Wahrnehmung und glaubwürdigen Zeugnissen ver-
sichern: es ist eine gewiße Beßerung, Hebung, Reinigung und Er-
hellung gerade in den finstersten Cloaken der socialen Zerrüttung
und Verwilderung -- in den bisher schlimmst berufenen Höfen und
Gäßchen London's und anderer großen Städte seit etwa zehn
Jahren nicht zu verkennen. Jndem ich diesen ungefähren Zeitraum
angebe, schließe ich schon die Voraussetzung aus, als wenn diese relativ
beßeren Symptome ausschließlich den Wirkungen des Revivals
im engeren Sinne zuzuschreiben wären. Es haben dazu ohne Zweifel
alle die Arbeiten christlicher Liebe (auch die Philanthropie hat hier
Verdienste, die ich nicht leugnen will) mitgewirkt, welche zum Theil
schon viele Jahre vor dem Revival begonnen, wie z. B. die ver-
schiedenen Zweige der im engern Sinn sogenannten home mission *),
die ragged schools, die Rettungshäuser, Asyle und andere bis in
diese Abgründe der tiefsten mehr als heidnischen Unwißenheit reichende
Erziehungs- und Lehranstalten. Ganz besonders und in mehren der
schlimmsten Fälle notorisch wirkte in diesem Sinne auch die Ver-
breitung der Wohnungsreformen durch Baugesellschaften u. s. w.
Aber nicht nur hat das Revival durch seine unmittelbare Wirkung
in Erweckung und Bekehrung ohne allen Zweifel in den letzten
drei Jahren allen diesen Arbeitern sehr wesentlich in die Hand ge-
arbeitet, sondern, wie ich schon früher bemerkt zu haben glaube, es
steht gegenwärtig das Revival sowohl mit manchen dieser älteren
als mit einigen erst neu hervorgetretenen Zweigen der "innern
Mission" in engster geistiger, organischer und Personalbeziehung.
Manche derselben sind geradezu als Abzweigungen des Revivals zu
betrachten, wie z. B. die sogenannten midnight meetings zur Ret-
tung der Gefallenen des weiblichen Geschlechts. Auch die sogenannten
open air meetings und sermons, obgleich sie auch schon bisher

*) Hierzu gehört namentlich in neuester Zeit die dem Gebiete des weiblichen
Diakonats (im weiteren Sinn) angehörenden Organe, und was man wohl
bildlich unter dem Ausdruck the missig link begreift, z. B. die Bible
women
u. s. w. Die Rettungshäuser für jugendliche Verbrecher sind in
England größtentheils Staatsanstalten (Reformatory schools).

Jnſelwelt hat. Und dennoch wird ſich bei näherer Erforſchung
auch eine ſolche auf das Maaß des thatſächlich Möglichen beſchränkte
Erwartung nicht ganz getäuſcht finden. Soviel wenigſtens kann
ich aus eigener Wahrnehmung und glaubwürdigen Zeugniſſen ver-
ſichern: es iſt eine gewiße Beßerung, Hebung, Reinigung und Er-
hellung gerade in den finſterſten Cloaken der ſocialen Zerrüttung
und Verwilderung — in den bisher ſchlimmſt berufenen Höfen und
Gäßchen London’s und anderer großen Städte ſeit etwa zehn
Jahren nicht zu verkennen. Jndem ich dieſen ungefähren Zeitraum
angebe, ſchließe ich ſchon die Vorausſetzung aus, als wenn dieſe relativ
beßeren Symptome ausſchließlich den Wirkungen des Revivals
im engeren Sinne zuzuſchreiben wären. Es haben dazu ohne Zweifel
alle die Arbeiten chriſtlicher Liebe (auch die Philanthropie hat hier
Verdienſte, die ich nicht leugnen will) mitgewirkt, welche zum Theil
ſchon viele Jahre vor dem Revival begonnen, wie z. B. die ver-
ſchiedenen Zweige der im engern Sinn ſogenannten home mission *),
die ragged schools, die Rettungshäuſer, Aſyle und andere bis in
dieſe Abgründe der tiefſten mehr als heidniſchen Unwißenheit reichende
Erziehungs- und Lehranſtalten. Ganz beſonders und in mehren der
ſchlimmſten Fälle notoriſch wirkte in dieſem Sinne auch die Ver-
breitung der Wohnungsreformen durch Baugeſellſchaften u. ſ. w.
Aber nicht nur hat das Revival durch ſeine unmittelbare Wirkung
in Erweckung und Bekehrung ohne allen Zweifel in den letzten
drei Jahren allen dieſen Arbeitern ſehr weſentlich in die Hand ge-
arbeitet, ſondern, wie ich ſchon früher bemerkt zu haben glaube, es
ſteht gegenwärtig das Revival ſowohl mit manchen dieſer älteren
als mit einigen erſt neu hervorgetretenen Zweigen der „innern
Miſſion‟ in engſter geiſtiger, organiſcher und Perſonalbeziehung.
Manche derſelben ſind geradezu als Abzweigungen des Revivals zu
betrachten, wie z. B. die ſogenannten midnight meetings zur Ret-
tung der Gefallenen des weiblichen Geſchlechts. Auch die ſogenannten
open air meetings und sermons, obgleich ſie auch ſchon bisher

*) Hierzu gehört namentlich in neueſter Zeit die dem Gebiete des weiblichen
Diakonats (im weiteren Sinn) angehörenden Organe, und was man wohl
bildlich unter dem Ausdruck the missig link begreift, z. B. die Bible
women
u. ſ. w. Die Rettungshäuſer für jugendliche Verbrecher ſind in
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[32/0038] Jnſelwelt hat. Und dennoch wird ſich bei näherer Erforſchung auch eine ſolche auf das Maaß des thatſächlich Möglichen beſchränkte Erwartung nicht ganz getäuſcht finden. Soviel wenigſtens kann ich aus eigener Wahrnehmung und glaubwürdigen Zeugniſſen ver- ſichern: es iſt eine gewiße Beßerung, Hebung, Reinigung und Er- hellung gerade in den finſterſten Cloaken der ſocialen Zerrüttung und Verwilderung — in den bisher ſchlimmſt berufenen Höfen und Gäßchen London’s und anderer großen Städte ſeit etwa zehn Jahren nicht zu verkennen. Jndem ich dieſen ungefähren Zeitraum angebe, ſchließe ich ſchon die Vorausſetzung aus, als wenn dieſe relativ beßeren Symptome ausſchließlich den Wirkungen des Revivals im engeren Sinne zuzuſchreiben wären. Es haben dazu ohne Zweifel alle die Arbeiten chriſtlicher Liebe (auch die Philanthropie hat hier Verdienſte, die ich nicht leugnen will) mitgewirkt, welche zum Theil ſchon viele Jahre vor dem Revival begonnen, wie z. B. die ver- ſchiedenen Zweige der im engern Sinn ſogenannten home mission *), die ragged schools, die Rettungshäuſer, Aſyle und andere bis in dieſe Abgründe der tiefſten mehr als heidniſchen Unwißenheit reichende Erziehungs- und Lehranſtalten. Ganz beſonders und in mehren der ſchlimmſten Fälle notoriſch wirkte in dieſem Sinne auch die Ver- breitung der Wohnungsreformen durch Baugeſellſchaften u. ſ. w. Aber nicht nur hat das Revival durch ſeine unmittelbare Wirkung in Erweckung und Bekehrung ohne allen Zweifel in den letzten drei Jahren allen dieſen Arbeitern ſehr weſentlich in die Hand ge- arbeitet, ſondern, wie ich ſchon früher bemerkt zu haben glaube, es ſteht gegenwärtig das Revival ſowohl mit manchen dieſer älteren als mit einigen erſt neu hervorgetretenen Zweigen der „innern Miſſion‟ in engſter geiſtiger, organiſcher und Perſonalbeziehung. Manche derſelben ſind geradezu als Abzweigungen des Revivals zu betrachten, wie z. B. die ſogenannten midnight meetings zur Ret- tung der Gefallenen des weiblichen Geſchlechts. Auch die ſogenannten open air meetings und sermons, obgleich ſie auch ſchon bisher *) Hierzu gehört namentlich in neueſter Zeit die dem Gebiete des weiblichen Diakonats (im weiteren Sinn) angehörenden Organe, und was man wohl bildlich unter dem Ausdruck the missig link begreift, z. B. die Bible women u. ſ. w. Die Rettungshäuſer für jugendliche Verbrecher ſind in England größtentheils Staatsanſtalten (Reformatory schools).

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Zitationshilfe: Huber, Victor Aimé: Sieben Briefe über englisches Revival und deutsche Erweckung. Frankfurt (Main), 1862, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_revival_1862/38>, abgerufen am 18.04.2024.