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Huber, Victor Aimé: Sieben Briefe über englisches Revival und deutsche Erweckung. Frankfurt (Main), 1862.

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darum im Wesentlichen weniger um wirkliche Erweckungen
und Bekehrungen von Tausenden, gewirkt durch den Heiligen Geist,
vermittelt durch Wort und Gebet und, wie wir als Lutheraner jeden-
falls versichert sind, durch die Taufgnade oder das andere Sakra-
ment, wo solche überhaupt vorhanden waren? Sollte wirklich
Jemand im Ernst glauben, diese Wirkungen des Heiligen Geistes
könnten durch dogmatischen Jrrthum oder Confusion des menschlichen
Werkzeuges geschwächt, verhindert, adulterirt werden -- der Christus,
den ein in solcher Weise Erweckter und Geretteter findet, sei nicht
der rechte Christus, so mag das Alles sein, was man will, nur nicht
lutherisch! Ob und wie weit solche Jrrthümer über die Bedeutung
oder dogmatische Formulirung solcher Wirkungen Diesem oder Jenem
zur Sünde werden können -- das ist eine ganz andere Frage, zu
deren Beantwortung ich in der Sache selbst nicht die mindeste
Nöthigung und in mir nicht den mindesten Beruf finde. Jst aber in
dem entgegengesetzten Extrem dogmatischer Kritik keine Gefahr?

Weiter hat es merklichen Anstoß gegeben, daß, wie behauptet
wird, beim Revival eine große Verwirrung sowohl hinsichtlich der
Begriffe oder Ausdrücke: Erweckung, Bekehrung, Wiedergeburt
u. s. w. als der correkten Reihenfolge ihrer Erscheinungen herrscht.
Jch werde mich nun sehr hüten, mich in eine dogmatische Erörte-
rung der Art einzulaßen -- um so weniger, da ich mir in die-
sen Punkten keiner positiven antilutherischen Ketzerei bewußt bin.
Mir däucht aber, man kann die orthodoxen Distinktionen und Stufen-
folgen in der Vollständigkeit einer systematischen abstrakten Ent-
wicklung als Regel vollkommen anerkennen, ohne doch die relative
Berechtigung einer weniger vollständigen und correkten Gestaltung,
als conkrete Ausnahme zu verwerfen. Ja, man kann alle jene Be-
denken hinsichtlich der im Revival gäng und gäben Auffaßung und
Ausdrücke als unbedingt begründet anerkennen, ohne daß dadurch
das, worauf es doch eigentlich im Wesentlichen zuletzt ankommt, im
Geringsten alterirt würde -- nämlich eben wieder die Thatsachen
zunächst der Erweckung bei Tausenden. Werden diese und ihre
Früchte in der Heiligung zugegeben -- wie denn in der That gar
nicht anders möglich ist, wenn man nicht jede Möglichkeit eines
Beweises solcher Dinge läugnen will -- so kommt auf die übrigen
Stücke entweder nichts an, oder sie verstehen sich von selbst. Aber

darum im Weſentlichen weniger um wirkliche Erweckungen
und Bekehrungen von Tauſenden, gewirkt durch den Heiligen Geiſt,
vermittelt durch Wort und Gebet und, wie wir als Lutheraner jeden-
falls verſichert ſind, durch die Taufgnade oder das andere Sakra-
ment, wo ſolche überhaupt vorhanden waren? Sollte wirklich
Jemand im Ernſt glauben, dieſe Wirkungen des Heiligen Geiſtes
könnten durch dogmatiſchen Jrrthum oder Confuſion des menſchlichen
Werkzeuges geſchwächt, verhindert, adulterirt werden — der Chriſtus,
den ein in ſolcher Weiſe Erweckter und Geretteter findet, ſei nicht
der rechte Chriſtus, ſo mag das Alles ſein, was man will, nur nicht
lutheriſch! Ob und wie weit ſolche Jrrthümer über die Bedeutung
oder dogmatiſche Formulirung ſolcher Wirkungen Dieſem oder Jenem
zur Sünde werden können — das iſt eine ganz andere Frage, zu
deren Beantwortung ich in der Sache ſelbſt nicht die mindeſte
Nöthigung und in mir nicht den mindeſten Beruf finde. Jſt aber in
dem entgegengeſetzten Extrem dogmatiſcher Kritik keine Gefahr?

Weiter hat es merklichen Anſtoß gegeben, daß, wie behauptet
wird, beim Revival eine große Verwirrung ſowohl hinſichtlich der
Begriffe oder Ausdrücke: Erweckung, Bekehrung, Wiedergeburt
u. ſ. w. als der correkten Reihenfolge ihrer Erſcheinungen herrſcht.
Jch werde mich nun ſehr hüten, mich in eine dogmatiſche Erörte-
rung der Art einzulaßen — um ſo weniger, da ich mir in die-
ſen Punkten keiner poſitiven antilutheriſchen Ketzerei bewußt bin.
Mir däucht aber, man kann die orthodoxen Diſtinktionen und Stufen-
folgen in der Vollſtändigkeit einer ſyſtematiſchen abſtrakten Ent-
wicklung als Regel vollkommen anerkennen, ohne doch die relative
Berechtigung einer weniger vollſtändigen und correkten Geſtaltung,
als conkrete Ausnahme zu verwerfen. Ja, man kann alle jene Be-
denken hinſichtlich der im Revival gäng und gäben Auffaßung und
Ausdrücke als unbedingt begründet anerkennen, ohne daß dadurch
das, worauf es doch eigentlich im Weſentlichen zuletzt ankommt, im
Geringſten alterirt würde — nämlich eben wieder die Thatſachen
zunächſt der Erweckung bei Tauſenden. Werden dieſe und ihre
Früchte in der Heiligung zugegeben — wie denn in der That gar
nicht anders möglich iſt, wenn man nicht jede Möglichkeit eines
Beweiſes ſolcher Dinge läugnen will — ſo kommt auf die übrigen
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[47/0053] darum im Weſentlichen weniger um wirkliche Erweckungen und Bekehrungen von Tauſenden, gewirkt durch den Heiligen Geiſt, vermittelt durch Wort und Gebet und, wie wir als Lutheraner jeden- falls verſichert ſind, durch die Taufgnade oder das andere Sakra- ment, wo ſolche überhaupt vorhanden waren? Sollte wirklich Jemand im Ernſt glauben, dieſe Wirkungen des Heiligen Geiſtes könnten durch dogmatiſchen Jrrthum oder Confuſion des menſchlichen Werkzeuges geſchwächt, verhindert, adulterirt werden — der Chriſtus, den ein in ſolcher Weiſe Erweckter und Geretteter findet, ſei nicht der rechte Chriſtus, ſo mag das Alles ſein, was man will, nur nicht lutheriſch! Ob und wie weit ſolche Jrrthümer über die Bedeutung oder dogmatiſche Formulirung ſolcher Wirkungen Dieſem oder Jenem zur Sünde werden können — das iſt eine ganz andere Frage, zu deren Beantwortung ich in der Sache ſelbſt nicht die mindeſte Nöthigung und in mir nicht den mindeſten Beruf finde. Jſt aber in dem entgegengeſetzten Extrem dogmatiſcher Kritik keine Gefahr? Weiter hat es merklichen Anſtoß gegeben, daß, wie behauptet wird, beim Revival eine große Verwirrung ſowohl hinſichtlich der Begriffe oder Ausdrücke: Erweckung, Bekehrung, Wiedergeburt u. ſ. w. als der correkten Reihenfolge ihrer Erſcheinungen herrſcht. Jch werde mich nun ſehr hüten, mich in eine dogmatiſche Erörte- rung der Art einzulaßen — um ſo weniger, da ich mir in die- ſen Punkten keiner poſitiven antilutheriſchen Ketzerei bewußt bin. Mir däucht aber, man kann die orthodoxen Diſtinktionen und Stufen- folgen in der Vollſtändigkeit einer ſyſtematiſchen abſtrakten Ent- wicklung als Regel vollkommen anerkennen, ohne doch die relative Berechtigung einer weniger vollſtändigen und correkten Geſtaltung, als conkrete Ausnahme zu verwerfen. Ja, man kann alle jene Be- denken hinſichtlich der im Revival gäng und gäben Auffaßung und Ausdrücke als unbedingt begründet anerkennen, ohne daß dadurch das, worauf es doch eigentlich im Weſentlichen zuletzt ankommt, im Geringſten alterirt würde — nämlich eben wieder die Thatſachen zunächſt der Erweckung bei Tauſenden. Werden dieſe und ihre Früchte in der Heiligung zugegeben — wie denn in der That gar nicht anders möglich iſt, wenn man nicht jede Möglichkeit eines Beweiſes ſolcher Dinge läugnen will — ſo kommt auf die übrigen Stücke entweder nichts an, oder ſie verſtehen ſich von ſelbſt. Aber

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Zitationshilfe: Huber, Victor Aimé: Sieben Briefe über englisches Revival und deutsche Erweckung. Frankfurt (Main), 1862, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_revival_1862/53>, abgerufen am 29.03.2024.