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Huber, Victor Aimé: Sieben Briefe über englisches Revival und deutsche Erweckung. Frankfurt (Main), 1862.

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soll, sondern daß es in allen Stücken und immer gelten und heißen
muß: das Eine thun und das Andere nicht laßen! -- dies Alles
zugegeben, so frägt sich eben, was kann ferner und zwar zunächst
mit den vorhandenen Kräften, Mitteln und Einrichtungen geschehen?
Woran z. B. fehlt es der Predigt, um sich wirksamer gegen die
dringendsten geistlichen und sittlichen Schäden, zumal also gegen den
Tod der Gemeinden zeigen zu können. Eine heikle Frage, die ich
nur mit Gegenfragen beantworten möchte, oder mit Verweisung auf
schon gegebene Antworten von gewichtigern Stimmen. Abgesehen
von Ausnahmen, die sich entschieden über oder unter diesem Niveau
halten, reicht ohne Zweifel der Durchschnitt der vielen Tausende
allsonntäglicher Predigten vollkommen hin, um in Verbindung mit
der Liturgie einem gewißen Durchschnitt andächtiger Zuhörer eine
gewiße Art durchschnittlicher Erbauung zu gewähren, wobei man
wohl es nicht allzugenau nehmen darf, ob es blos eine vorüber-
gehend mäßige Rührung und Erhebung oder eine nachhaltige Stär-
kung des geistlichen Lebens ist. Jedenfalls ist die Gefahr einer
allzuheftigen "Erschütterung", welche ja schriftwidrig wäre,
nicht sehr häufig oder groß! -- Aber ist das Alles genug? Genügt
es auch nur dem wirklichen, wenn auch freilich nicht immer bewußten
Bedürfniß, auch nur der leider meist geringen Minorität der Ge-
meineglieder, welche die Kirche wirklich mehr als nur ausnahms-
weise selten besuchen. Sind darunter nicht gar manche, denen es,
eben weil sie sich dessen nicht bewußt sind, hoch Noth thäte, sie aus
ihrer geistlichen Trägheit, Sicherheit, Selbstgerechtigkeit zu dem
vollen Gefühl ihres Sündenstandes -- zu der Frage: "was soll ich
thun u. s. w." -- zu wecken? Wie viele deren, wenn auch noch so tief
verschüttetes Sündenbewußtsein sie durch Kleinmuth zum Unglauben,
zu einem Verzweifeln an sich selbst und an der Erlösungsgnade und
Wirkung des Heiligen Geistes treibt -- zu einer Stimmung, die
darum nicht weniger gefährlich ist, weil sie nicht zu einer gewaltsam
tragischen Katastrophe, sondern nur zu einer allmählichen Lähmung
aller sittlichen Kräfte führt! -- Wenn aber gar einmal, was denn
doch auch vorkommt, ein wirklich und positiv feindselig Ungläubiger,
der vielleicht auch in seinem Wandel die Früchte des Unglaubens
zeigt, sich in die Kirche verirrt -- wie viele von jenen vielen Tausen-
den von Predigten sind irgend geeignet, solche Herzen zu treffen, zu

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ſoll, ſondern daß es in allen Stücken und immer gelten und heißen
muß: das Eine thun und das Andere nicht laßen! — dies Alles
zugegeben, ſo frägt ſich eben, was kann ferner und zwar zunächſt
mit den vorhandenen Kräften, Mitteln und Einrichtungen geſchehen?
Woran z. B. fehlt es der Predigt, um ſich wirkſamer gegen die
dringendſten geiſtlichen und ſittlichen Schäden, zumal alſo gegen den
Tod der Gemeinden zeigen zu können. Eine heikle Frage, die ich
nur mit Gegenfragen beantworten möchte, oder mit Verweiſung auf
ſchon gegebene Antworten von gewichtigern Stimmen. Abgeſehen
von Ausnahmen, die ſich entſchieden über oder unter dieſem Niveau
halten, reicht ohne Zweifel der Durchſchnitt der vielen Tauſende
allſonntäglicher Predigten vollkommen hin, um in Verbindung mit
der Liturgie einem gewißen Durchſchnitt andächtiger Zuhörer eine
gewiße Art durchſchnittlicher Erbauung zu gewähren, wobei man
wohl es nicht allzugenau nehmen darf, ob es blos eine vorüber-
gehend mäßige Rührung und Erhebung oder eine nachhaltige Stär-
kung des geiſtlichen Lebens iſt. Jedenfalls iſt die Gefahr einer
allzuheftigen „Erſchütterung‟, welche ja ſchriftwidrig wäre,
nicht ſehr häufig oder groß! — Aber iſt das Alles genug? Genügt
es auch nur dem wirklichen, wenn auch freilich nicht immer bewußten
Bedürfniß, auch nur der leider meiſt geringen Minorität der Ge-
meineglieder, welche die Kirche wirklich mehr als nur ausnahms-
weiſe ſelten beſuchen. Sind darunter nicht gar manche, denen es,
eben weil ſie ſich deſſen nicht bewußt ſind, hoch Noth thäte, ſie aus
ihrer geiſtlichen Trägheit, Sicherheit, Selbſtgerechtigkeit zu dem
vollen Gefühl ihres Sündenſtandes — zu der Frage: „was ſoll ich
thun u. ſ. w.‟ — zu wecken? Wie viele deren, wenn auch noch ſo tief
verſchüttetes Sündenbewußtſein ſie durch Kleinmuth zum Unglauben,
zu einem Verzweifeln an ſich ſelbſt und an der Erlöſungsgnade und
Wirkung des Heiligen Geiſtes treibt — zu einer Stimmung, die
darum nicht weniger gefährlich iſt, weil ſie nicht zu einer gewaltſam
tragiſchen Kataſtrophe, ſondern nur zu einer allmählichen Lähmung
aller ſittlichen Kräfte führt! — Wenn aber gar einmal, was denn
doch auch vorkommt, ein wirklich und poſitiv feindſelig Ungläubiger,
der vielleicht auch in ſeinem Wandel die Früchte des Unglaubens
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den von Predigten ſind irgend geeignet, ſolche Herzen zu treffen, zu

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[67/0073] ſoll, ſondern daß es in allen Stücken und immer gelten und heißen muß: das Eine thun und das Andere nicht laßen! — dies Alles zugegeben, ſo frägt ſich eben, was kann ferner und zwar zunächſt mit den vorhandenen Kräften, Mitteln und Einrichtungen geſchehen? Woran z. B. fehlt es der Predigt, um ſich wirkſamer gegen die dringendſten geiſtlichen und ſittlichen Schäden, zumal alſo gegen den Tod der Gemeinden zeigen zu können. Eine heikle Frage, die ich nur mit Gegenfragen beantworten möchte, oder mit Verweiſung auf ſchon gegebene Antworten von gewichtigern Stimmen. Abgeſehen von Ausnahmen, die ſich entſchieden über oder unter dieſem Niveau halten, reicht ohne Zweifel der Durchſchnitt der vielen Tauſende allſonntäglicher Predigten vollkommen hin, um in Verbindung mit der Liturgie einem gewißen Durchſchnitt andächtiger Zuhörer eine gewiße Art durchſchnittlicher Erbauung zu gewähren, wobei man wohl es nicht allzugenau nehmen darf, ob es blos eine vorüber- gehend mäßige Rührung und Erhebung oder eine nachhaltige Stär- kung des geiſtlichen Lebens iſt. Jedenfalls iſt die Gefahr einer allzuheftigen „Erſchütterung‟, welche ja ſchriftwidrig wäre, nicht ſehr häufig oder groß! — Aber iſt das Alles genug? Genügt es auch nur dem wirklichen, wenn auch freilich nicht immer bewußten Bedürfniß, auch nur der leider meiſt geringen Minorität der Ge- meineglieder, welche die Kirche wirklich mehr als nur ausnahms- weiſe ſelten beſuchen. Sind darunter nicht gar manche, denen es, eben weil ſie ſich deſſen nicht bewußt ſind, hoch Noth thäte, ſie aus ihrer geiſtlichen Trägheit, Sicherheit, Selbſtgerechtigkeit zu dem vollen Gefühl ihres Sündenſtandes — zu der Frage: „was ſoll ich thun u. ſ. w.‟ — zu wecken? Wie viele deren, wenn auch noch ſo tief verſchüttetes Sündenbewußtſein ſie durch Kleinmuth zum Unglauben, zu einem Verzweifeln an ſich ſelbſt und an der Erlöſungsgnade und Wirkung des Heiligen Geiſtes treibt — zu einer Stimmung, die darum nicht weniger gefährlich iſt, weil ſie nicht zu einer gewaltſam tragiſchen Kataſtrophe, ſondern nur zu einer allmählichen Lähmung aller ſittlichen Kräfte führt! — Wenn aber gar einmal, was denn doch auch vorkommt, ein wirklich und poſitiv feindſelig Ungläubiger, der vielleicht auch in ſeinem Wandel die Früchte des Unglaubens zeigt, ſich in die Kirche verirrt — wie viele von jenen vielen Tauſen- den von Predigten ſind irgend geeignet, ſolche Herzen zu treffen, zu 5 *

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Zitationshilfe: Huber, Victor Aimé: Sieben Briefe über englisches Revival und deutsche Erweckung. Frankfurt (Main), 1862, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_revival_1862/73>, abgerufen am 19.04.2024.