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Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797.

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Nicht weniger schädlich ist die
zweyte Krankheit der Einbildungskraft,
die Empfindeley, die romanhafte Denk-
art, die traurige Schwärmerey. Es ist
ganz einerley, ob man die traurigen Be-
gebenheiten selbst erlebt, oder durch
Romanen und Empfindeley sich so leb-
haft macht, dass man eben das nieder-
schlagende Gefühl davon hat. Ja es ist
in so fern noch nachtheiliger, weil es
dort ein natürlicher Zustand, hier aber
ein erkünstelter und also desto angrei-
fenderer Affect ist. Wir haben gesehen,
wie äusserst schädlich Traurigkeit für
alle Lebenskraft und Bewegung ist.
Man kann also leicht denken, wie de-
struirend eine solche Seelenstimmung
seyn muss, die beständigen Trübsinn
zum Gefährten des Lebens macht, die
sogar die reinsten Freuden mit Thrä-
nen und herzbrechenden Empfindun-
gen geniesst. Welche Tödtung al-
ler Energie, alles frohen Muths! Ge-
wiss, ein Paar Jahre in einem sol-

Nicht weniger ſchädlich iſt die
zweyte Krankheit der Einbildungskraft,
die Empfindeley, die romanhafte Denk-
art, die traurige Schwärmerey. Es iſt
ganz einerley, ob man die traurigen Be-
gebenheiten ſelbſt erlebt, oder durch
Romanen und Empfindeley ſich ſo leb-
haft macht, daſs man eben das nieder-
ſchlagende Gefühl davon hat. Ja es iſt
in ſo fern noch nachtheiliger, weil es
dort ein natürlicher Zuſtand, hier aber
ein erkünſtelter und alſo deſto angrei-
fenderer Affect iſt. Wir haben geſehen,
wie äuſserſt ſchädlich Traurigkeit für
alle Lebenskraft und Bewegung iſt.
Man kann alſo leicht denken, wie de-
ſtruirend eine ſolche Seelenſtimmung
ſeyn muſs, die beſtändigen Trübſinn
zum Gefährten des Lebens macht, die
ſogar die reinſten Freuden mit Thrä-
nen und herzbrechenden Empfindun-
gen genieſst. Welche Tödtung al-
ler Energie, alles frohen Muths! Ge-
wiſs, ein Paar Jahre in einem ſol-

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[412/0440] Nicht weniger ſchädlich iſt die zweyte Krankheit der Einbildungskraft, die Empfindeley, die romanhafte Denk- art, die traurige Schwärmerey. Es iſt ganz einerley, ob man die traurigen Be- gebenheiten ſelbſt erlebt, oder durch Romanen und Empfindeley ſich ſo leb- haft macht, daſs man eben das nieder- ſchlagende Gefühl davon hat. Ja es iſt in ſo fern noch nachtheiliger, weil es dort ein natürlicher Zuſtand, hier aber ein erkünſtelter und alſo deſto angrei- fenderer Affect iſt. Wir haben geſehen, wie äuſserſt ſchädlich Traurigkeit für alle Lebenskraft und Bewegung iſt. Man kann alſo leicht denken, wie de- ſtruirend eine ſolche Seelenſtimmung ſeyn muſs, die beſtändigen Trübſinn zum Gefährten des Lebens macht, die ſogar die reinſten Freuden mit Thrä- nen und herzbrechenden Empfindun- gen genieſst. Welche Tödtung al- ler Energie, alles frohen Muths! Ge- wiſs, ein Paar Jahre in einem ſol-

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Zitationshilfe: Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/440>, abgerufen am 25.04.2024.