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Hug, Gallus Joseph: Die christliche Familie im Kampfe gegen feindliche Mächte. Vorträge über christliche Ehe und Erziehung. Freiburg (Schweiz), 1896.

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Aller gegen Alle ist, so doch besonders der Eltern und Aller,
welche an der Erziehung der Jugend zu arbeiten haben.
Was ist denn Erziehung? Der Kampf wider die Bar-
barei der Leidenschaften, die Entwicklung aller guten
Anlagen; das Vorbild, dem das Kind ähnlich werden
soll, ist das göttliche Kind. Wie die Verhältnisse heute
liegen, ist diese einzig wahre und menschenwürdige Er-
ziehung Hauptaufgabe der Familie geworden. Damit
diese Erziehung gelinge, soll die Liebe der Mittelpunkt
derselben sein. Um diese Wahrheit zu verstehen, betrachten
wir das Kind in seinem ersten Dasein, dann in seinem
Beruf für die Gesellschaft und in seiner geistigen Ent-
wicklung.

Was ist dies zarte Kind? Eine Frucht der Liebe
des Vaters und der Mutter. Wenn die Ehe nicht un-
glücklich ist, so wächst das Kind in der Liebe auf wie der
Baum in der Luft. Denn im Herzen des Kindes treffen
sich die Strahlen der Vater- und Mutterliebe; an der
Wiege des Kindes liebt der Gatte die Gattin und die
Mutter ihren Mann inniger und beide lieben ihr Kind.
Und dies zarte Kind, was lernet es zuerst? Die Liebe,
das werkthätige Wohlwollen. Was bedeutet sein erstes
Lächeln? Die Liebe zum Vater, zur Mutter, zu andern,
deren Wohlwollen es ahnt und fühlt. Wenn es die Zeit
erlaubte, wollte ich hier das Schönste und Lieblichste
aus den Dichtungen der alten Griechen ausführlich er-
zählen, jenen Abschied des Helden Hektor (Ilias VI. 475)
von seiner Gattin Andromache, wie er dabei sein kleines
Söhnchen auf den Händen schaukelt, zu den Göttern für
dessen Heil betet, wie er dann dasselbe auf die Arme
seiner Mutter legt, und diese das Kind an ihre Brust
drückt, lächelnd mit Thränen im Auge. Allein ich muß
eilen; denn ich darf durch die Länge des Vortrages nicht
ermüden, ich darf eilen; denn unsere erste Erinnerung

Aller gegen Alle ist, so doch besonders der Eltern und Aller,
welche an der Erziehung der Jugend zu arbeiten haben.
Was ist denn Erziehung? Der Kampf wider die Bar-
barei der Leidenschaften, die Entwicklung aller guten
Anlagen; das Vorbild, dem das Kind ähnlich werden
soll, ist das göttliche Kind. Wie die Verhältnisse heute
liegen, ist diese einzig wahre und menschenwürdige Er-
ziehung Hauptaufgabe der Familie geworden. Damit
diese Erziehung gelinge, soll die Liebe der Mittelpunkt
derselben sein. Um diese Wahrheit zu verstehen, betrachten
wir das Kind in seinem ersten Dasein, dann in seinem
Beruf für die Gesellschaft und in seiner geistigen Ent-
wicklung.

Was ist dies zarte Kind? Eine Frucht der Liebe
des Vaters und der Mutter. Wenn die Ehe nicht un-
glücklich ist, so wächst das Kind in der Liebe auf wie der
Baum in der Luft. Denn im Herzen des Kindes treffen
sich die Strahlen der Vater- und Mutterliebe; an der
Wiege des Kindes liebt der Gatte die Gattin und die
Mutter ihren Mann inniger und beide lieben ihr Kind.
Und dies zarte Kind, was lernet es zuerst? Die Liebe,
das werkthätige Wohlwollen. Was bedeutet sein erstes
Lächeln? Die Liebe zum Vater, zur Mutter, zu andern,
deren Wohlwollen es ahnt und fühlt. Wenn es die Zeit
erlaubte, wollte ich hier das Schönste und Lieblichste
aus den Dichtungen der alten Griechen ausführlich er-
zählen, jenen Abschied des Helden Hektor (Ilias VI. 475)
von seiner Gattin Andromache, wie er dabei sein kleines
Söhnchen auf den Händen schaukelt, zu den Göttern für
dessen Heil betet, wie er dann dasselbe auf die Arme
seiner Mutter legt, und diese das Kind an ihre Brust
drückt, lächelnd mit Thränen im Auge. Allein ich muß
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[189/0201] Aller gegen Alle ist, so doch besonders der Eltern und Aller, welche an der Erziehung der Jugend zu arbeiten haben. Was ist denn Erziehung? Der Kampf wider die Bar- barei der Leidenschaften, die Entwicklung aller guten Anlagen; das Vorbild, dem das Kind ähnlich werden soll, ist das göttliche Kind. Wie die Verhältnisse heute liegen, ist diese einzig wahre und menschenwürdige Er- ziehung Hauptaufgabe der Familie geworden. Damit diese Erziehung gelinge, soll die Liebe der Mittelpunkt derselben sein. Um diese Wahrheit zu verstehen, betrachten wir das Kind in seinem ersten Dasein, dann in seinem Beruf für die Gesellschaft und in seiner geistigen Ent- wicklung. Was ist dies zarte Kind? Eine Frucht der Liebe des Vaters und der Mutter. Wenn die Ehe nicht un- glücklich ist, so wächst das Kind in der Liebe auf wie der Baum in der Luft. Denn im Herzen des Kindes treffen sich die Strahlen der Vater- und Mutterliebe; an der Wiege des Kindes liebt der Gatte die Gattin und die Mutter ihren Mann inniger und beide lieben ihr Kind. Und dies zarte Kind, was lernet es zuerst? Die Liebe, das werkthätige Wohlwollen. Was bedeutet sein erstes Lächeln? Die Liebe zum Vater, zur Mutter, zu andern, deren Wohlwollen es ahnt und fühlt. Wenn es die Zeit erlaubte, wollte ich hier das Schönste und Lieblichste aus den Dichtungen der alten Griechen ausführlich er- zählen, jenen Abschied des Helden Hektor (Ilias VI. 475) von seiner Gattin Andromache, wie er dabei sein kleines Söhnchen auf den Händen schaukelt, zu den Göttern für dessen Heil betet, wie er dann dasselbe auf die Arme seiner Mutter legt, und diese das Kind an ihre Brust drückt, lächelnd mit Thränen im Auge. Allein ich muß eilen; denn ich darf durch die Länge des Vortrages nicht ermüden, ich darf eilen; denn unsere erste Erinnerung

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Zitationshilfe: Hug, Gallus Joseph: Die christliche Familie im Kampfe gegen feindliche Mächte. Vorträge über christliche Ehe und Erziehung. Freiburg (Schweiz), 1896, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hug_familie_1896/201>, abgerufen am 24.04.2024.