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Hug, Gallus Joseph: Die christliche Familie im Kampfe gegen feindliche Mächte. Vorträge über christliche Ehe und Erziehung. Freiburg (Schweiz), 1896.

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und nicht etwa bloß hölzernen Unterricht gegeben und den
Gehalt dafür eingezogen hat, kennt die Bedeutung dieser
Erziehung des Herzens. Denn das Kind soll offen, treu-
herzig, durchsichtig werden, daß es kein Geheimniß in
sich verschließt. Wo aber die Erziehung das nicht leistet,
verschließt sich das Kind in sich selbst und das meistens
mit seinen Leidenschaften und Sünden, wird einsam, sucht
die Winkel, flieht die Gesellschaft, wird voll Heuchelei
und Lüge - ist vielleicht mit 10 Jahren schon ein ab-
geriebener Diplomat. Woher diese traurige Erscheinung?
Die Belehrung hat vielleicht den Verstand mit allerlei
Material bereichert, aber die Erziehung hat das Herz
nicht geöffnet.

Wer nun hat den Schlüssel zum Herzen? Die
Liebe allein. Man muß lieben und fühlen, daß man
geliebt wird, dann öffnet sich das Herz von selbst. Da
schaut wieder auf den göttlichen Heiland. Warum stürzt
M. Magdalena, die öffentliche Sünderin, mitten während
des Festmahles vor den Augen der Pharisäer dem Hei-
land zu Füßen? Der Heiland liebt die Sünder und sie
liebt den Heiland. Diese Liebe öffnet die Abgründe
ihres Herzens und vertreibt daraus die sieben Teufel
der Sünde. Wenn nun eine Sünderin in der Vollblüthe
ihres Lebens aber auch in der Tiefe ihrer Verkommenheit
ihr Herz in der Liebe öffnet, wie viel mehr ein Kind,
das noch in keine schwere Sünde gefallen - und wenn
auch - doch an dieselbe noch nicht gewohnt ist?

Darum bitte und beschwöre ich euch alle, die ihr an
der Erziehung der Jugend arbeitet, liebet doch die Kinder
mit jener Liebe, die aus Gott stammt. Denn hievon
hängt nicht bloß ihr zeitliches Glück, sondern oft das
Los der Ewigkeit ab. Ach! wie viele - die nie auf-
richtig geliebt werden! Sie haben vielleicht Vater und
Mutter kaum gekannt und wurden unter fremden Leuten

und nicht etwa bloß hölzernen Unterricht gegeben und den
Gehalt dafür eingezogen hat, kennt die Bedeutung dieser
Erziehung des Herzens. Denn das Kind soll offen, treu-
herzig, durchsichtig werden, daß es kein Geheimniß in
sich verschließt. Wo aber die Erziehung das nicht leistet,
verschließt sich das Kind in sich selbst und das meistens
mit seinen Leidenschaften und Sünden, wird einsam, sucht
die Winkel, flieht die Gesellschaft, wird voll Heuchelei
und Lüge – ist vielleicht mit 10 Jahren schon ein ab-
geriebener Diplomat. Woher diese traurige Erscheinung?
Die Belehrung hat vielleicht den Verstand mit allerlei
Material bereichert, aber die Erziehung hat das Herz
nicht geöffnet.

Wer nun hat den Schlüssel zum Herzen? Die
Liebe allein. Man muß lieben und fühlen, daß man
geliebt wird, dann öffnet sich das Herz von selbst. Da
schaut wieder auf den göttlichen Heiland. Warum stürzt
M. Magdalena, die öffentliche Sünderin, mitten während
des Festmahles vor den Augen der Pharisäer dem Hei-
land zu Füßen? Der Heiland liebt die Sünder und sie
liebt den Heiland. Diese Liebe öffnet die Abgründe
ihres Herzens und vertreibt daraus die sieben Teufel
der Sünde. Wenn nun eine Sünderin in der Vollblüthe
ihres Lebens aber auch in der Tiefe ihrer Verkommenheit
ihr Herz in der Liebe öffnet, wie viel mehr ein Kind,
das noch in keine schwere Sünde gefallen – und wenn
auch – doch an dieselbe noch nicht gewohnt ist?

Darum bitte und beschwöre ich euch alle, die ihr an
der Erziehung der Jugend arbeitet, liebet doch die Kinder
mit jener Liebe, die aus Gott stammt. Denn hievon
hängt nicht bloß ihr zeitliches Glück, sondern oft das
Los der Ewigkeit ab. Ach! wie viele – die nie auf-
richtig geliebt werden! Sie haben vielleicht Vater und
Mutter kaum gekannt und wurden unter fremden Leuten

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[196/0208] und nicht etwa bloß hölzernen Unterricht gegeben und den Gehalt dafür eingezogen hat, kennt die Bedeutung dieser Erziehung des Herzens. Denn das Kind soll offen, treu- herzig, durchsichtig werden, daß es kein Geheimniß in sich verschließt. Wo aber die Erziehung das nicht leistet, verschließt sich das Kind in sich selbst und das meistens mit seinen Leidenschaften und Sünden, wird einsam, sucht die Winkel, flieht die Gesellschaft, wird voll Heuchelei und Lüge – ist vielleicht mit 10 Jahren schon ein ab- geriebener Diplomat. Woher diese traurige Erscheinung? Die Belehrung hat vielleicht den Verstand mit allerlei Material bereichert, aber die Erziehung hat das Herz nicht geöffnet. Wer nun hat den Schlüssel zum Herzen? Die Liebe allein. Man muß lieben und fühlen, daß man geliebt wird, dann öffnet sich das Herz von selbst. Da schaut wieder auf den göttlichen Heiland. Warum stürzt M. Magdalena, die öffentliche Sünderin, mitten während des Festmahles vor den Augen der Pharisäer dem Hei- land zu Füßen? Der Heiland liebt die Sünder und sie liebt den Heiland. Diese Liebe öffnet die Abgründe ihres Herzens und vertreibt daraus die sieben Teufel der Sünde. Wenn nun eine Sünderin in der Vollblüthe ihres Lebens aber auch in der Tiefe ihrer Verkommenheit ihr Herz in der Liebe öffnet, wie viel mehr ein Kind, das noch in keine schwere Sünde gefallen – und wenn auch – doch an dieselbe noch nicht gewohnt ist? Darum bitte und beschwöre ich euch alle, die ihr an der Erziehung der Jugend arbeitet, liebet doch die Kinder mit jener Liebe, die aus Gott stammt. Denn hievon hängt nicht bloß ihr zeitliches Glück, sondern oft das Los der Ewigkeit ab. Ach! wie viele – die nie auf- richtig geliebt werden! Sie haben vielleicht Vater und Mutter kaum gekannt und wurden unter fremden Leuten

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Zitationshilfe: Hug, Gallus Joseph: Die christliche Familie im Kampfe gegen feindliche Mächte. Vorträge über christliche Ehe und Erziehung. Freiburg (Schweiz), 1896, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hug_familie_1896/208>, abgerufen am 20.04.2024.