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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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wenn nicht das Fehlschlagen meiner ersten Pläne auf die Rich-
tung meiner Reise nach der Rückkehr vom Orinoko bedeuten-
den Einfluß geäußert hätte. Ich gebe daher eine flüchtige
Schilderung dieser Vorgänge, die für die Wissenschaft von
keinem Belang sind, von denen ich aber wünschen muß, daß
sie richtig beurteilt werden. Da nun einmal die Neugier des
Publikums sich häufig mehr an die Person des Reisenden als
an seine Werke heftet, so sind auch die Umstände, unter denen
ich meine ersten Reisepläne entworfen, ganz schief aufgefaßt
worden. 1

Von früher Jugend auf lebte in mir der sehnliche Wunsch,
ferne, von Europäern wenig besuchte Länder bereisen zu dürfen.
Dieser Drang ist bezeichnend für einen Zeitpunkt im Leben,
wo dieses vor uns liegt wie ein schrankenloser Horizont, wo
uns nichts so sehr anzieht als starke Gemütsbewegungen und
Bilder physischer Fährlichkeiten. In einem Lande aufgewachsen,
das in keinem unmittelbaren Verkehr mit den Kolonieen in
beiden Indien steht, später in einem fern von der Meeresküste
gelegenen, durch starken Bergbau berühmten Gebirge lebend,
fühlte ich den Trieb zur See und zu weiten Fahrten immer
mächtiger in mir werden. Dinge, die wir nur aus den leben-
digen Schilderungen der Reisenden kennen, haben ganz besonderen
Reiz für uns; alles in Entlegenheit undeutlich Umrissene be-
sticht unsere Einbildungskraft; Genüsse, die uns nicht erreichbar
sind, scheinen uns weit lockender, als was sich uns im engen
Kreise des bürgerlichen Lebens bietet. Die Lust am Botani-
sieren, das Studium der Geologie, ein Ausflug nach Holland,
England und Frankreich in Gesellschaft eines berühmten Mannes,
Georg Forsters, dem das Glück geworden war, Kapitän Cook
auf seiner zweiten Reise um die Welt zu begleiten, trugen
dazu bei, den Reiseplänen, die ich schon mit achtzehn Jahren

1 Ich muß hier bemerken, daß ich von einem Werke in sechs
Bänden, das unter dem seltsamen Titel: "Reise um die Welt und
in Südamerika, von A. v. Humboldt, erschienen bei Vollmer in
Hamburg," niemals Kenntnis genommen habe. Diese in meinem
Namen verfaßte Reisebeschreibung scheint nach in den Tageblättern
gegebenen Nachrichten und nach einzelnen Abhandlungen, die ich in
der ersten Klasse des französischen Institutes gelesen, zusammen-
geschrieben zu sein. Um das Publikum aufmerksam zu machen,
hielt es der Kompilator für angemessen, einer Reise in einige Länder
des neuen Kontinentes den anziehenderen Titel einer "Reise um
die Welt" zu geben.

wenn nicht das Fehlſchlagen meiner erſten Pläne auf die Rich-
tung meiner Reiſe nach der Rückkehr vom Orinoko bedeuten-
den Einfluß geäußert hätte. Ich gebe daher eine flüchtige
Schilderung dieſer Vorgänge, die für die Wiſſenſchaft von
keinem Belang ſind, von denen ich aber wünſchen muß, daß
ſie richtig beurteilt werden. Da nun einmal die Neugier des
Publikums ſich häufig mehr an die Perſon des Reiſenden als
an ſeine Werke heftet, ſo ſind auch die Umſtände, unter denen
ich meine erſten Reiſepläne entworfen, ganz ſchief aufgefaßt
worden. 1

Von früher Jugend auf lebte in mir der ſehnliche Wunſch,
ferne, von Europäern wenig beſuchte Länder bereiſen zu dürfen.
Dieſer Drang iſt bezeichnend für einen Zeitpunkt im Leben,
wo dieſes vor uns liegt wie ein ſchrankenloſer Horizont, wo
uns nichts ſo ſehr anzieht als ſtarke Gemütsbewegungen und
Bilder phyſiſcher Fährlichkeiten. In einem Lande aufgewachſen,
das in keinem unmittelbaren Verkehr mit den Kolonieen in
beiden Indien ſteht, ſpäter in einem fern von der Meeresküſte
gelegenen, durch ſtarken Bergbau berühmten Gebirge lebend,
fühlte ich den Trieb zur See und zu weiten Fahrten immer
mächtiger in mir werden. Dinge, die wir nur aus den leben-
digen Schilderungen der Reiſenden kennen, haben ganz beſonderen
Reiz für uns; alles in Entlegenheit undeutlich Umriſſene be-
ſticht unſere Einbildungskraft; Genüſſe, die uns nicht erreichbar
ſind, ſcheinen uns weit lockender, als was ſich uns im engen
Kreiſe des bürgerlichen Lebens bietet. Die Luſt am Botani-
ſieren, das Studium der Geologie, ein Ausflug nach Holland,
England und Frankreich in Geſellſchaft eines berühmten Mannes,
Georg Forſters, dem das Glück geworden war, Kapitän Cook
auf ſeiner zweiten Reiſe um die Welt zu begleiten, trugen
dazu bei, den Reiſeplänen, die ich ſchon mit achtzehn Jahren

1 Ich muß hier bemerken, daß ich von einem Werke in ſechs
Bänden, das unter dem ſeltſamen Titel: „Reiſe um die Welt und
in Südamerika, von A. v. Humboldt, erſchienen bei Vollmer in
Hamburg,“ niemals Kenntnis genommen habe. Dieſe in meinem
Namen verfaßte Reiſebeſchreibung ſcheint nach in den Tageblättern
gegebenen Nachrichten und nach einzelnen Abhandlungen, die ich in
der erſten Klaſſe des franzöſiſchen Inſtitutes geleſen, zuſammen-
geſchrieben zu ſein. Um das Publikum aufmerkſam zu machen,
hielt es der Kompilator für angemeſſen, einer Reiſe in einige Länder
des neuen Kontinentes den anziehenderen Titel einer „Reiſe um
die Welt“ zu geben.
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[4/0020] wenn nicht das Fehlſchlagen meiner erſten Pläne auf die Rich- tung meiner Reiſe nach der Rückkehr vom Orinoko bedeuten- den Einfluß geäußert hätte. Ich gebe daher eine flüchtige Schilderung dieſer Vorgänge, die für die Wiſſenſchaft von keinem Belang ſind, von denen ich aber wünſchen muß, daß ſie richtig beurteilt werden. Da nun einmal die Neugier des Publikums ſich häufig mehr an die Perſon des Reiſenden als an ſeine Werke heftet, ſo ſind auch die Umſtände, unter denen ich meine erſten Reiſepläne entworfen, ganz ſchief aufgefaßt worden. 1 Von früher Jugend auf lebte in mir der ſehnliche Wunſch, ferne, von Europäern wenig beſuchte Länder bereiſen zu dürfen. Dieſer Drang iſt bezeichnend für einen Zeitpunkt im Leben, wo dieſes vor uns liegt wie ein ſchrankenloſer Horizont, wo uns nichts ſo ſehr anzieht als ſtarke Gemütsbewegungen und Bilder phyſiſcher Fährlichkeiten. In einem Lande aufgewachſen, das in keinem unmittelbaren Verkehr mit den Kolonieen in beiden Indien ſteht, ſpäter in einem fern von der Meeresküſte gelegenen, durch ſtarken Bergbau berühmten Gebirge lebend, fühlte ich den Trieb zur See und zu weiten Fahrten immer mächtiger in mir werden. Dinge, die wir nur aus den leben- digen Schilderungen der Reiſenden kennen, haben ganz beſonderen Reiz für uns; alles in Entlegenheit undeutlich Umriſſene be- ſticht unſere Einbildungskraft; Genüſſe, die uns nicht erreichbar ſind, ſcheinen uns weit lockender, als was ſich uns im engen Kreiſe des bürgerlichen Lebens bietet. Die Luſt am Botani- ſieren, das Studium der Geologie, ein Ausflug nach Holland, England und Frankreich in Geſellſchaft eines berühmten Mannes, Georg Forſters, dem das Glück geworden war, Kapitän Cook auf ſeiner zweiten Reiſe um die Welt zu begleiten, trugen dazu bei, den Reiſeplänen, die ich ſchon mit achtzehn Jahren 1 Ich muß hier bemerken, daß ich von einem Werke in ſechs Bänden, das unter dem ſeltſamen Titel: „Reiſe um die Welt und in Südamerika, von A. v. Humboldt, erſchienen bei Vollmer in Hamburg,“ niemals Kenntnis genommen habe. Dieſe in meinem Namen verfaßte Reiſebeſchreibung ſcheint nach in den Tageblättern gegebenen Nachrichten und nach einzelnen Abhandlungen, die ich in der erſten Klaſſe des franzöſiſchen Inſtitutes geleſen, zuſammen- geſchrieben zu ſein. Um das Publikum aufmerkſam zu machen, hielt es der Kompilator für angemeſſen, einer Reiſe in einige Länder des neuen Kontinentes den anziehenderen Titel einer „Reiſe um die Welt“ zu geben.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/20>, abgerufen am 19.04.2024.