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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Wirft man einen Blick auf das Atlantische Meer, oder
das tiefe Thal, das die Westküsten von Europa und Afrika
von den Ostküsten des neuen Kontinents trennt, so bemerkt
man in der Bewegung der Wasser entgegengesetzte Richtungen.
Zwischen den Wendekreisen, namentlich zwischen der afrikani-
schen Küste am Senegal und dem Meere der Antillen geht
die allgemeine, den Seefahrern am längsten bekannte Strö-
mung fortwährend von Morgen nach Abend. Dieselbe wird
mit dem Namen Aequinoktialstrom bezeichnet. Die mittlere
Geschwindigkeit derselben unter verschiedenen Breiten ist sich
im Atlantischen Ozean und in der Südsee ungefähr gleich.
Man kann sie auf 40 bis 45 km in 24 Stunden, somit auf
0,18 bis 0,21 m in der Sekunde schätzen. 1 Die Geschwindig-
keit, mit der die Wasser in diesen Strichen nach Westen
strömen, ist etwa ein Vierteil von der der meisten großen
europäischen Flüsse. Diese der Umdrehung des Erdballes ent-
gegengesetzte Bewegung des Ozeans hängt mit jenem Phä-
nomen wahrscheinlich nur insofern zusammen, als durch die
Umdrehung der Erde die Polarwinde, welche in den unteren
Luftschichten die kalte Luft aus den hohen Breiten dem
Aequator zuführen, in Passatwinde umgewandelt werden. Der
Aequinoktialstrom ist die Folge der allgemeinen Bewegung,
in welche die Meeresfläche durch die Passatwinde versetzt wird,
und lokale Schwankungen im Zustande der Luft bleiben ohne
merkbaren Einfluß auf die Stärke und die Geschwindigkeit
der Strömung.

Im Kanal, den der Atlantische Ozean zwischen Guyana
und Guinea auf 20 bis 23 Längengrade, vom 8. oder 9. bis
zum 2. oder 3. Grad nördlicher Breite gegraben hat, wo die
Passatwinde häufig durch Winde aus Süd oder Süd-Süd-
West unterbrochen werden, ist die Richtung des Aequinoktial-
stromes weniger konstant. Der afrikanischen Küste zu werden
die Schiffe nach Südost fortgetrieben, während der Aller-
heiligenbai und dem Vorgebirge St. Augustin zu, denen die

1 Ich habe die Beobachtungen, die ich in beiden Hemisphären
anzustellen Gelegenheit gehabt, mit denen zusammengestellt, die in
den Werken von Cook, Laperouse, d'Entrecasteaux, Vancouver, Ma-
cartney, Krusenstern und Marchand gegeben sind, und danach
schwankt die Geschwindigkeit der allgemeinen Strömung unter den
Tropen zwischen 22,5 und 81 km in 24 Stunden, somit zwischen
0,096 und 0,384 m in der Sekunde.

Wirft man einen Blick auf das Atlantiſche Meer, oder
das tiefe Thal, das die Weſtküſten von Europa und Afrika
von den Oſtküſten des neuen Kontinents trennt, ſo bemerkt
man in der Bewegung der Waſſer entgegengeſetzte Richtungen.
Zwiſchen den Wendekreiſen, namentlich zwiſchen der afrikani-
ſchen Küſte am Senegal und dem Meere der Antillen geht
die allgemeine, den Seefahrern am längſten bekannte Strö-
mung fortwährend von Morgen nach Abend. Dieſelbe wird
mit dem Namen Aequinoktialſtrom bezeichnet. Die mittlere
Geſchwindigkeit derſelben unter verſchiedenen Breiten iſt ſich
im Atlantiſchen Ozean und in der Südſee ungefähr gleich.
Man kann ſie auf 40 bis 45 km in 24 Stunden, ſomit auf
0,18 bis 0,21 m in der Sekunde ſchätzen. 1 Die Geſchwindig-
keit, mit der die Waſſer in dieſen Strichen nach Weſten
ſtrömen, iſt etwa ein Vierteil von der der meiſten großen
europäiſchen Flüſſe. Dieſe der Umdrehung des Erdballes ent-
gegengeſetzte Bewegung des Ozeans hängt mit jenem Phä-
nomen wahrſcheinlich nur inſofern zuſammen, als durch die
Umdrehung der Erde die Polarwinde, welche in den unteren
Luftſchichten die kalte Luft aus den hohen Breiten dem
Aequator zuführen, in Paſſatwinde umgewandelt werden. Der
Aequinoktialſtrom iſt die Folge der allgemeinen Bewegung,
in welche die Meeresfläche durch die Paſſatwinde verſetzt wird,
und lokale Schwankungen im Zuſtande der Luft bleiben ohne
merkbaren Einfluß auf die Stärke und die Geſchwindigkeit
der Strömung.

Im Kanal, den der Atlantiſche Ozean zwiſchen Guyana
und Guinea auf 20 bis 23 Längengrade, vom 8. oder 9. bis
zum 2. oder 3. Grad nördlicher Breite gegraben hat, wo die
Paſſatwinde häufig durch Winde aus Süd oder Süd-Süd-
Weſt unterbrochen werden, iſt die Richtung des Aequinoktial-
ſtromes weniger konſtant. Der afrikaniſchen Küſte zu werden
die Schiffe nach Südoſt fortgetrieben, während der Aller-
heiligenbai und dem Vorgebirge St. Auguſtin zu, denen die

1 Ich habe die Beobachtungen, die ich in beiden Hemiſphären
anzuſtellen Gelegenheit gehabt, mit denen zuſammengeſtellt, die in
den Werken von Cook, Lapérouſe, d’Entrecaſteaux, Vancouver, Ma-
cartney, Kruſenſtern und Marchand gegeben ſind, und danach
ſchwankt die Geſchwindigkeit der allgemeinen Strömung unter den
Tropen zwiſchen 22,5 und 81 km in 24 Stunden, ſomit zwiſchen
0,096 und 0,384 m in der Sekunde.
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[23/0039] Wirft man einen Blick auf das Atlantiſche Meer, oder das tiefe Thal, das die Weſtküſten von Europa und Afrika von den Oſtküſten des neuen Kontinents trennt, ſo bemerkt man in der Bewegung der Waſſer entgegengeſetzte Richtungen. Zwiſchen den Wendekreiſen, namentlich zwiſchen der afrikani- ſchen Küſte am Senegal und dem Meere der Antillen geht die allgemeine, den Seefahrern am längſten bekannte Strö- mung fortwährend von Morgen nach Abend. Dieſelbe wird mit dem Namen Aequinoktialſtrom bezeichnet. Die mittlere Geſchwindigkeit derſelben unter verſchiedenen Breiten iſt ſich im Atlantiſchen Ozean und in der Südſee ungefähr gleich. Man kann ſie auf 40 bis 45 km in 24 Stunden, ſomit auf 0,18 bis 0,21 m in der Sekunde ſchätzen. 1 Die Geſchwindig- keit, mit der die Waſſer in dieſen Strichen nach Weſten ſtrömen, iſt etwa ein Vierteil von der der meiſten großen europäiſchen Flüſſe. Dieſe der Umdrehung des Erdballes ent- gegengeſetzte Bewegung des Ozeans hängt mit jenem Phä- nomen wahrſcheinlich nur inſofern zuſammen, als durch die Umdrehung der Erde die Polarwinde, welche in den unteren Luftſchichten die kalte Luft aus den hohen Breiten dem Aequator zuführen, in Paſſatwinde umgewandelt werden. Der Aequinoktialſtrom iſt die Folge der allgemeinen Bewegung, in welche die Meeresfläche durch die Paſſatwinde verſetzt wird, und lokale Schwankungen im Zuſtande der Luft bleiben ohne merkbaren Einfluß auf die Stärke und die Geſchwindigkeit der Strömung. Im Kanal, den der Atlantiſche Ozean zwiſchen Guyana und Guinea auf 20 bis 23 Längengrade, vom 8. oder 9. bis zum 2. oder 3. Grad nördlicher Breite gegraben hat, wo die Paſſatwinde häufig durch Winde aus Süd oder Süd-Süd- Weſt unterbrochen werden, iſt die Richtung des Aequinoktial- ſtromes weniger konſtant. Der afrikaniſchen Küſte zu werden die Schiffe nach Südoſt fortgetrieben, während der Aller- heiligenbai und dem Vorgebirge St. Auguſtin zu, denen die 1 Ich habe die Beobachtungen, die ich in beiden Hemiſphären anzuſtellen Gelegenheit gehabt, mit denen zuſammengeſtellt, die in den Werken von Cook, Lapérouſe, d’Entrecaſteaux, Vancouver, Ma- cartney, Kruſenſtern und Marchand gegeben ſind, und danach ſchwankt die Geſchwindigkeit der allgemeinen Strömung unter den Tropen zwiſchen 22,5 und 81 km in 24 Stunden, ſomit zwiſchen 0,096 und 0,384 m in der Sekunde.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/39>, abgerufen am 28.03.2024.