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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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so wäre er wahrscheinlich rings um den ganzen Atlantischen
Ozean geführt worden und mittels des allgemeinen tropischen
Stromes wieder in sein Heimatland gelangt. Diese Ver-
mutung wird durch einen älteren Fall unterstützt, dessen Abbe
Viera in seiner allgemeinen Geschichte der Kanarien erwähnt.
Im Jahre 1770 wurde ein mit Getreide beladenes Fahrzeug,
das von der Insel Lancerota nach Santa Cruz auf Tenerifa
gehen sollte, auf die hohe See getrieben, als sich niemand von
der Mannschaft an Bord befand. Der Zug der Gewässer
von Morgen nach Abend führte es nach Amerika, wo es an
der Küste von Guyana bei Caracas strandete.

Zu einer Zeit, wo die Schiffahrtskunst noch wenig ent-
wickelt war, bot der Golfstrom dem Geiste eines Christoph
Kolumbus sichere Anzeichen vom Dasein westwärts gelegener
Länder. Zwei Leichname, die nach ihrer Körperlichkeit einem
unbekannten Menschenstamme angehörten, wurden gegen Ende
des 15. Jahrhunderts bei den Azorischen Inseln ans Land
geworfen. Ungefähr um dieselbe Zeit fand Kolumbus' Schwa-
ger, Peter Borrea, Statthalter von Porto Santo, am Strande
dieser Insel mächtige Stücke Bamburohr, die von der Strö-
mung und den Westwinden angeschwemmt worden waren.
Diese Leichname und diese Rohre machten den genuesischen
Seemann aufmerksam; er erriet, daß beide von einem gegen
West gelegenen Festlande herrühren mußten. Wir wissen jetzt,
daß in der heißen Zone die Passatwinde und der tropische
Strom sich jeder Wellenbewegung in der Richtung der Um-
drehung der Erde widersetzen. Erzeugnisse der Neuen Welt
können in die Alte Welt nur in hohen Breiten und in der
Richtung des Stromes von Florida gelangen. Häufig werden
Früchte verschiedener Bäume der Antillen an den Küsten der
Inseln Ferro und Gomera angetrieben. Vor der Entdeckung
von Amerika glaubten die Kanarier, diese Früchte kommen
von der bezauberten Insel St. Borondon, die nach den See-
mannsmärchen und nach gewissen Sagen westwärts in einem
Striche des Ozeans liegen sollte, der beständig in Nebel ge-
hüllt sei.

Mit dieser Uebersicht der Strömungen im Atlantischen
Meere wollte ich hauptsächlich darthun, daß der Zug der Ge-
wässer gegen Südost, von Kap St. Vincent zu den Kanari-
schen Inseln eine Wirkung der allgemeinen Bewegung ist, in
der sich die Oberfläche des Ozeans an seinem Westende be-
findet. Wir erwähnen daher nur kurz des Armes des Golf-

ſo wäre er wahrſcheinlich rings um den ganzen Atlantiſchen
Ozean geführt worden und mittels des allgemeinen tropiſchen
Stromes wieder in ſein Heimatland gelangt. Dieſe Ver-
mutung wird durch einen älteren Fall unterſtützt, deſſen Abbé
Viera in ſeiner allgemeinen Geſchichte der Kanarien erwähnt.
Im Jahre 1770 wurde ein mit Getreide beladenes Fahrzeug,
das von der Inſel Lancerota nach Santa Cruz auf Tenerifa
gehen ſollte, auf die hohe See getrieben, als ſich niemand von
der Mannſchaft an Bord befand. Der Zug der Gewäſſer
von Morgen nach Abend führte es nach Amerika, wo es an
der Küſte von Guyana bei Caracas ſtrandete.

Zu einer Zeit, wo die Schiffahrtskunſt noch wenig ent-
wickelt war, bot der Golfſtrom dem Geiſte eines Chriſtoph
Kolumbus ſichere Anzeichen vom Daſein weſtwärts gelegener
Länder. Zwei Leichname, die nach ihrer Körperlichkeit einem
unbekannten Menſchenſtamme angehörten, wurden gegen Ende
des 15. Jahrhunderts bei den Azoriſchen Inſeln ans Land
geworfen. Ungefähr um dieſelbe Zeit fand Kolumbus’ Schwa-
ger, Peter Borrea, Statthalter von Porto Santo, am Strande
dieſer Inſel mächtige Stücke Bamburohr, die von der Strö-
mung und den Weſtwinden angeſchwemmt worden waren.
Dieſe Leichname und dieſe Rohre machten den genueſiſchen
Seemann aufmerkſam; er erriet, daß beide von einem gegen
Weſt gelegenen Feſtlande herrühren mußten. Wir wiſſen jetzt,
daß in der heißen Zone die Paſſatwinde und der tropiſche
Strom ſich jeder Wellenbewegung in der Richtung der Um-
drehung der Erde widerſetzen. Erzeugniſſe der Neuen Welt
können in die Alte Welt nur in hohen Breiten und in der
Richtung des Stromes von Florida gelangen. Häufig werden
Früchte verſchiedener Bäume der Antillen an den Küſten der
Inſeln Ferro und Gomera angetrieben. Vor der Entdeckung
von Amerika glaubten die Kanarier, dieſe Früchte kommen
von der bezauberten Inſel St. Borondon, die nach den See-
mannsmärchen und nach gewiſſen Sagen weſtwärts in einem
Striche des Ozeans liegen ſollte, der beſtändig in Nebel ge-
hüllt ſei.

Mit dieſer Ueberſicht der Strömungen im Atlantiſchen
Meere wollte ich hauptſächlich darthun, daß der Zug der Ge-
wäſſer gegen Südoſt, von Kap St. Vincent zu den Kanari-
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[29/0045] ſo wäre er wahrſcheinlich rings um den ganzen Atlantiſchen Ozean geführt worden und mittels des allgemeinen tropiſchen Stromes wieder in ſein Heimatland gelangt. Dieſe Ver- mutung wird durch einen älteren Fall unterſtützt, deſſen Abbé Viera in ſeiner allgemeinen Geſchichte der Kanarien erwähnt. Im Jahre 1770 wurde ein mit Getreide beladenes Fahrzeug, das von der Inſel Lancerota nach Santa Cruz auf Tenerifa gehen ſollte, auf die hohe See getrieben, als ſich niemand von der Mannſchaft an Bord befand. Der Zug der Gewäſſer von Morgen nach Abend führte es nach Amerika, wo es an der Küſte von Guyana bei Caracas ſtrandete. Zu einer Zeit, wo die Schiffahrtskunſt noch wenig ent- wickelt war, bot der Golfſtrom dem Geiſte eines Chriſtoph Kolumbus ſichere Anzeichen vom Daſein weſtwärts gelegener Länder. Zwei Leichname, die nach ihrer Körperlichkeit einem unbekannten Menſchenſtamme angehörten, wurden gegen Ende des 15. Jahrhunderts bei den Azoriſchen Inſeln ans Land geworfen. Ungefähr um dieſelbe Zeit fand Kolumbus’ Schwa- ger, Peter Borrea, Statthalter von Porto Santo, am Strande dieſer Inſel mächtige Stücke Bamburohr, die von der Strö- mung und den Weſtwinden angeſchwemmt worden waren. Dieſe Leichname und dieſe Rohre machten den genueſiſchen Seemann aufmerkſam; er erriet, daß beide von einem gegen Weſt gelegenen Feſtlande herrühren mußten. Wir wiſſen jetzt, daß in der heißen Zone die Paſſatwinde und der tropiſche Strom ſich jeder Wellenbewegung in der Richtung der Um- drehung der Erde widerſetzen. Erzeugniſſe der Neuen Welt können in die Alte Welt nur in hohen Breiten und in der Richtung des Stromes von Florida gelangen. Häufig werden Früchte verſchiedener Bäume der Antillen an den Küſten der Inſeln Ferro und Gomera angetrieben. Vor der Entdeckung von Amerika glaubten die Kanarier, dieſe Früchte kommen von der bezauberten Inſel St. Borondon, die nach den See- mannsmärchen und nach gewiſſen Sagen weſtwärts in einem Striche des Ozeans liegen ſollte, der beſtändig in Nebel ge- hüllt ſei. Mit dieſer Ueberſicht der Strömungen im Atlantiſchen Meere wollte ich hauptſächlich darthun, daß der Zug der Ge- wäſſer gegen Südoſt, von Kap St. Vincent zu den Kanari- ſchen Inſeln eine Wirkung der allgemeinen Bewegung iſt, in der ſich die Oberfläche des Ozeans an ſeinem Weſtende be- findet. Wir erwähnen daher nur kurz des Armes des Golf-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/45>, abgerufen am 18.04.2024.