stromes, der unter dem 45. und 50. Grad der Breite, bei der Bank Bonnet Flamand, von Südwest nach Nordost gegen die Küsten von Europa gerichtet ist. Diese Abteilung des Stromes wird sehr reißend, wenn der Wind lange aus West geblasen hat. Gleich dem, der an Ferro und Gomera vor- überstreicht, wirft er alle Jahre an die Westküsten von Ir- land und Norwegen Früchte von Bäumen, welche dem heißen Erdstrich Amerikas eigentümlich sind. Am Strande der He- briden findet man Samen von Mimosa scandens, Dolichos urens, Guilandina bonduc, und verschiedener anderer Pflanzen von Jamaika, Cuba und dem benachbarten Festlande. Die Strömung treibt nicht selten wohl erhaltene Fässer mit fran- zösischem Wein an, von Schiffen, die im Meere der Antillen Schiffbruch gelitten. Neben diesen Beispielen von den weiten Wanderungen der Gewächse stehen andere, welche die Ein- bildungskraft beschäftigen. Die Trümmer des englischen Schiffes Tilbury, das bei Jamaika verbrannt war, wurden an der schottischen Küste gefunden. In denselben Strichen kommen zuweilen verschiedene Arten von Schildkröten vor, welche das Meer der Antillen bewohnen. Hat der Westwind lange angehalten, so entsteht in den hohen Breiten eine Strömung, die von den Küsten von Grönland und Labrador bis nord- wärts von Schottland gerade nach Ost-Süd-Ost gerichtet ist. Wie Wallace berichtet, gelangten zweimal, in den Jahren 1682 und 1684, amerikanische Wilde vom Stamme der Es- kimo, die ein Sturm in ihren Kanoen aus Fellen auf die hohe See verschlagen, mittels der Strömung zu den orkadi- schen Inseln. Dieser letztere Fall verdient um so mehr Auf- merksamkeit, als man daraus zugleich ersieht, wie zu einer Zeit, wo die Schiffahrt noch in ihrer Kindheit war, die Be- wegung der Gewässer des Ozeans ein Mittel werden konnte, um die verschiedenen Menschenstämme über die Erde zu ver- breiten.
Das Wenige, was wir bis jetzt über die wahre Lage und die Breite des Golfstromes, sowie über die Fortsetzung desselben gegen die Küsten von Europa und Afrika wissen, ist die Frucht der zufälligen Beobachtung einiger unterrichteter Männer, welche in verschiedenen Richtungen über das Atlan- tische Meer gefahren sind. Da die Kenntnis der Strömungen zu Abkürzung der Seefahrten wesentlich beitragen kann, so wäre es von so großem Belang für die praktische Seemanns- kunst, als wissenschaftlich von Interesse, wenn Schiffe mit
ſtromes, der unter dem 45. und 50. Grad der Breite, bei der Bank Bonnet Flamand, von Südweſt nach Nordoſt gegen die Küſten von Europa gerichtet iſt. Dieſe Abteilung des Stromes wird ſehr reißend, wenn der Wind lange aus Weſt geblaſen hat. Gleich dem, der an Ferro und Gomera vor- überſtreicht, wirft er alle Jahre an die Weſtküſten von Ir- land und Norwegen Früchte von Bäumen, welche dem heißen Erdſtrich Amerikas eigentümlich ſind. Am Strande der He- briden findet man Samen von Mimosa scandens, Dolichos urens, Guilandina bonduc, und verſchiedener anderer Pflanzen von Jamaika, Cuba und dem benachbarten Feſtlande. Die Strömung treibt nicht ſelten wohl erhaltene Fäſſer mit fran- zöſiſchem Wein an, von Schiffen, die im Meere der Antillen Schiffbruch gelitten. Neben dieſen Beiſpielen von den weiten Wanderungen der Gewächſe ſtehen andere, welche die Ein- bildungskraft beſchäftigen. Die Trümmer des engliſchen Schiffes Tilbury, das bei Jamaika verbrannt war, wurden an der ſchottiſchen Küſte gefunden. In denſelben Strichen kommen zuweilen verſchiedene Arten von Schildkröten vor, welche das Meer der Antillen bewohnen. Hat der Weſtwind lange angehalten, ſo entſteht in den hohen Breiten eine Strömung, die von den Küſten von Grönland und Labrador bis nord- wärts von Schottland gerade nach Oſt-Süd-Oſt gerichtet iſt. Wie Wallace berichtet, gelangten zweimal, in den Jahren 1682 und 1684, amerikaniſche Wilde vom Stamme der Es- kimo, die ein Sturm in ihren Kanoen aus Fellen auf die hohe See verſchlagen, mittels der Strömung zu den orkadi- ſchen Inſeln. Dieſer letztere Fall verdient um ſo mehr Auf- merkſamkeit, als man daraus zugleich erſieht, wie zu einer Zeit, wo die Schiffahrt noch in ihrer Kindheit war, die Be- wegung der Gewäſſer des Ozeans ein Mittel werden konnte, um die verſchiedenen Menſchenſtämme über die Erde zu ver- breiten.
Das Wenige, was wir bis jetzt über die wahre Lage und die Breite des Golfſtromes, ſowie über die Fortſetzung desſelben gegen die Küſten von Europa und Afrika wiſſen, iſt die Frucht der zufälligen Beobachtung einiger unterrichteter Männer, welche in verſchiedenen Richtungen über das Atlan- tiſche Meer gefahren ſind. Da die Kenntnis der Strömungen zu Abkürzung der Seefahrten weſentlich beitragen kann, ſo wäre es von ſo großem Belang für die praktiſche Seemanns- kunſt, als wiſſenſchaftlich von Intereſſe, wenn Schiffe mit
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ſtromes, der unter dem 45. und 50. Grad der Breite, bei
der Bank Bonnet Flamand, von Südweſt nach Nordoſt gegen
die Küſten von Europa gerichtet iſt. Dieſe Abteilung des
Stromes wird ſehr reißend, wenn der Wind lange aus Weſt
geblaſen hat. Gleich dem, der an Ferro und Gomera vor-
überſtreicht, wirft er alle Jahre an die Weſtküſten von Ir-
land und Norwegen Früchte von Bäumen, welche dem heißen
Erdſtrich Amerikas eigentümlich ſind. Am Strande der He-
briden findet man Samen von Mimosa scandens, Dolichos
urens, Guilandina bonduc, und verſchiedener anderer Pflanzen
von Jamaika, Cuba und dem benachbarten Feſtlande. Die
Strömung treibt nicht ſelten wohl erhaltene Fäſſer mit fran-
zöſiſchem Wein an, von Schiffen, die im Meere der Antillen
Schiffbruch gelitten. Neben dieſen Beiſpielen von den weiten
Wanderungen der Gewächſe ſtehen andere, welche die Ein-
bildungskraft beſchäftigen. Die Trümmer des engliſchen Schiffes
Tilbury, das bei Jamaika verbrannt war, wurden an der
ſchottiſchen Küſte gefunden. In denſelben Strichen kommen
zuweilen verſchiedene Arten von Schildkröten vor, welche
das Meer der Antillen bewohnen. Hat der Weſtwind lange
angehalten, ſo entſteht in den hohen Breiten eine Strömung,
die von den Küſten von Grönland und Labrador bis nord-
wärts von Schottland gerade nach Oſt-Süd-Oſt gerichtet iſt.
Wie Wallace berichtet, gelangten zweimal, in den Jahren
1682 und 1684, amerikaniſche Wilde vom Stamme der Es-
kimo, die ein Sturm in ihren Kanoen aus Fellen auf die
hohe See verſchlagen, mittels der Strömung zu den orkadi-
ſchen Inſeln. Dieſer letztere Fall verdient um ſo mehr Auf-
merkſamkeit, als man daraus zugleich erſieht, wie zu einer
Zeit, wo die Schiffahrt noch in ihrer Kindheit war, die Be-
wegung der Gewäſſer des Ozeans ein Mittel werden konnte,
um die verſchiedenen Menſchenſtämme über die Erde zu ver-
breiten.
Das Wenige, was wir bis jetzt über die wahre Lage
und die Breite des Golfſtromes, ſowie über die Fortſetzung
desſelben gegen die Küſten von Europa und Afrika wiſſen,
iſt die Frucht der zufälligen Beobachtung einiger unterrichteter
Männer, welche in verſchiedenen Richtungen über das Atlan-
tiſche Meer gefahren ſind. Da die Kenntnis der Strömungen
zu Abkürzung der Seefahrten weſentlich beitragen kann, ſo
wäre es von ſo großem Belang für die praktiſche Seemanns-
kunſt, als wiſſenſchaftlich von Intereſſe, wenn Schiffe mit
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/46>, abgerufen am 29.06.2022.
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