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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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europäischen Kultur eroberten Länder. Sie trennen diese
Eroberungen voneinander, wie schwer zu übersetzende Meeres-
arme, und meist hängen benachbarte Staaten nur durch urbar
gemachte Landzungen zusammen. Die Umrisse der Seeküsten
sind leichter aufzufassen als der krause Lauf dieses Binnen-
gestades, auf dem Barbarei und Civilisation, undurchdring-
liche Wälder und bebautes Land aneinander stoßen und ein-
ander begrenzen. Weil sie die Zustände der erst in der
Bildung begriffenen Staaten der Neuen Welt außer acht lassen,
liefern so viele Geographen so sonderbar ungenaue Karten,
indem sie die verschiedenen Teile der spanischen und portu-
giesischen Kolonieen so zeichnen, als ob sie im Inneren durch-
aus zusammenhingen. Die Lokalkenntnis, die ich mir aus
eigener Anschauung von diesen Grenzen verschafft, setzt mich
instand, den Umfang der großen Gebietsabschnitte mit einiger
Bestimmtheit anzugeben, die wüsten und die bewohnten Striche
miteinander zu vergleichen und den mehr oder minder bedeu-
tenden politischen Einfluß, den sie als Regierungs- und Han-
delsmittelpunkte äußern, zu schätzen.

Caracas ist die Hauptstadt eines Landes, das fast zwei-
mal so groß ist als das heutige Peru und an Flächengehalt
dem Königreich Neugranada wenig nachsteht. 1 Dieses Land,
das im spanischen Regierungsstil Capitania general de
Caracas
oder de las Provincias de Venezuela heißt, hat
gegen eine Million Einwohner, worunter 60000 Sklaven,
Es umfaßt längs den Küsten Neuandalusien oder die Pro-
vinz Cumana (mit der Insel Margarita), Barcelona, Vene-
zuela oder Caracas, Coro oder Maracaybo; im Inneren die
Provinzen Varinas und Guyana, erstere längs den Flüssen
San Domingo und Apure, letztere längs dem Orinoko, Cassi-
quiare, Atabapo und Rio Negro. Ueberblickt man die sieben
vereinigten Provinzen von Terra Firma, so sieht man, daß
sie drei gesonderte Zonen bilden, die von Ost nach West laufen.

Zuvorderst liegt das bebaute Land am Meeresufer und
bei der Kette der Küstengebirge; dann kommen Savannen oder
Weiden, und endlich jenseits des Orinoko die dritte, die Wald-

1 Die Capitania general von Caracas hat 972000 qkm Um-
fang, Peru 607000 qkm, Neugranada 1316000 qkm. Es ist dies
das Ergebnis von Oltmanns Berechnung, wobei die Veränderungen
zu Grunde gelegt sind, welche die Karten von Amerika durch meine
astronomischen Bestimmungen erlitten haben.

europäiſchen Kultur eroberten Länder. Sie trennen dieſe
Eroberungen voneinander, wie ſchwer zu überſetzende Meeres-
arme, und meiſt hängen benachbarte Staaten nur durch urbar
gemachte Landzungen zuſammen. Die Umriſſe der Seeküſten
ſind leichter aufzufaſſen als der krauſe Lauf dieſes Binnen-
geſtades, auf dem Barbarei und Civiliſation, undurchdring-
liche Wälder und bebautes Land aneinander ſtoßen und ein-
ander begrenzen. Weil ſie die Zuſtände der erſt in der
Bildung begriffenen Staaten der Neuen Welt außer acht laſſen,
liefern ſo viele Geographen ſo ſonderbar ungenaue Karten,
indem ſie die verſchiedenen Teile der ſpaniſchen und portu-
gieſiſchen Kolonieen ſo zeichnen, als ob ſie im Inneren durch-
aus zuſammenhingen. Die Lokalkenntnis, die ich mir aus
eigener Anſchauung von dieſen Grenzen verſchafft, ſetzt mich
inſtand, den Umfang der großen Gebietsabſchnitte mit einiger
Beſtimmtheit anzugeben, die wüſten und die bewohnten Striche
miteinander zu vergleichen und den mehr oder minder bedeu-
tenden politiſchen Einfluß, den ſie als Regierungs- und Han-
delsmittelpunkte äußern, zu ſchätzen.

Caracas iſt die Hauptſtadt eines Landes, das faſt zwei-
mal ſo groß iſt als das heutige Peru und an Flächengehalt
dem Königreich Neugranada wenig nachſteht. 1 Dieſes Land,
das im ſpaniſchen Regierungsſtil Capitania general de
Caracas
oder de las Provincias de Venezuela heißt, hat
gegen eine Million Einwohner, worunter 60000 Sklaven,
Es umfaßt längs den Küſten Neuandaluſien oder die Pro-
vinz Cumana (mit der Inſel Margarita), Barcelona, Vene-
zuela oder Caracas, Coro oder Maracaybo; im Inneren die
Provinzen Varinas und Guyana, erſtere längs den Flüſſen
San Domingo und Apure, letztere längs dem Orinoko, Caſſi-
quiare, Atabapo und Rio Negro. Ueberblickt man die ſieben
vereinigten Provinzen von Terra Firma, ſo ſieht man, daß
ſie drei geſonderte Zonen bilden, die von Oſt nach Weſt laufen.

Zuvorderſt liegt das bebaute Land am Meeresufer und
bei der Kette der Küſtengebirge; dann kommen Savannen oder
Weiden, und endlich jenſeits des Orinoko die dritte, die Wald-

1 Die Capitania general von Caracas hat 972000 qkm Um-
fang, Peru 607000 qkm, Neugranada 1316000 qkm. Es iſt dies
das Ergebnis von Oltmanns Berechnung, wobei die Veränderungen
zu Grunde gelegt ſind, welche die Karten von Amerika durch meine
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[95/0103] europäiſchen Kultur eroberten Länder. Sie trennen dieſe Eroberungen voneinander, wie ſchwer zu überſetzende Meeres- arme, und meiſt hängen benachbarte Staaten nur durch urbar gemachte Landzungen zuſammen. Die Umriſſe der Seeküſten ſind leichter aufzufaſſen als der krauſe Lauf dieſes Binnen- geſtades, auf dem Barbarei und Civiliſation, undurchdring- liche Wälder und bebautes Land aneinander ſtoßen und ein- ander begrenzen. Weil ſie die Zuſtände der erſt in der Bildung begriffenen Staaten der Neuen Welt außer acht laſſen, liefern ſo viele Geographen ſo ſonderbar ungenaue Karten, indem ſie die verſchiedenen Teile der ſpaniſchen und portu- gieſiſchen Kolonieen ſo zeichnen, als ob ſie im Inneren durch- aus zuſammenhingen. Die Lokalkenntnis, die ich mir aus eigener Anſchauung von dieſen Grenzen verſchafft, ſetzt mich inſtand, den Umfang der großen Gebietsabſchnitte mit einiger Beſtimmtheit anzugeben, die wüſten und die bewohnten Striche miteinander zu vergleichen und den mehr oder minder bedeu- tenden politiſchen Einfluß, den ſie als Regierungs- und Han- delsmittelpunkte äußern, zu ſchätzen. Caracas iſt die Hauptſtadt eines Landes, das faſt zwei- mal ſo groß iſt als das heutige Peru und an Flächengehalt dem Königreich Neugranada wenig nachſteht. 1 Dieſes Land, das im ſpaniſchen Regierungsſtil Capitania general de Caracas oder de las Provincias de Venezuela heißt, hat gegen eine Million Einwohner, worunter 60000 Sklaven, Es umfaßt längs den Küſten Neuandaluſien oder die Pro- vinz Cumana (mit der Inſel Margarita), Barcelona, Vene- zuela oder Caracas, Coro oder Maracaybo; im Inneren die Provinzen Varinas und Guyana, erſtere längs den Flüſſen San Domingo und Apure, letztere längs dem Orinoko, Caſſi- quiare, Atabapo und Rio Negro. Ueberblickt man die ſieben vereinigten Provinzen von Terra Firma, ſo ſieht man, daß ſie drei geſonderte Zonen bilden, die von Oſt nach Weſt laufen. Zuvorderſt liegt das bebaute Land am Meeresufer und bei der Kette der Küſtengebirge; dann kommen Savannen oder Weiden, und endlich jenſeits des Orinoko die dritte, die Wald- 1 Die Capitania general von Caracas hat 972000 qkm Um- fang, Peru 607000 qkm, Neugranada 1316000 qkm. Es iſt dies das Ergebnis von Oltmanns Berechnung, wobei die Veränderungen zu Grunde gelegt ſind, welche die Karten von Amerika durch meine aſtronomiſchen Beſtimmungen erlitten haben.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/103>, abgerufen am 25.04.2024.