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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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Wellen den Fuß der Gipfel von Mariara, die Teufels-
mauer
(el Rincon del Diablo) und die Küstenbergkette be-
spülten, waren diese Felshügel Untiefen oder Eilande.

Diese Züge eines reichen Gemäldes, dieser Kontrast zwischen
den beiden Ufern des Sees von Valencia erinnerten mich oft an
das Seegestade des Waadtlandes, wo der überall angebaute,
überall fruchtbare Boden dem Ackerbauer, dem Hirten, dem
Winzer ihre Mühen sicher lohnt, während das savoyische
Ufer gegenüber ein gebirgiges, halb wüstes Land ist. In
jenen fernen Himmelsstrichen, mitten unter den Gebilden einer
fremdartigen Natur, gedachte ich mit Lust der hinreißenden
Beschreibungen, zu denen der Genfer See und die Felsen von
Meillerie einen großen Schriftsteller begeistert haben. Wenn
ich jetzt mitten im civilisierten Europa die Natur in der
Neuen Welt zu schildern versuche, glaube ich durch die Ver-
gleichung unserer heimischen und der tropischen Landschaften
meinen Bildern mehr Schärfe und dem Leser deutlichere Be-
griffe zu geben. Man kann es nicht oft genug sagen: Unter
jedem Himmelsstriche trägt die Natur, sei sie wild oder vom
Menschen gezähmt, lieblich oder großartig, ihren eigenen
Stempel. Die Empfindungen, die sie in uns hervorruft, sind
unendlich mannigfaltig, gerade wie der Eindruck der Geistes-
werke je nach dem Zeitalter, das sie hervorgebracht, und nach
den mancherlei Sprachen, von denen sie ihren Reiz zum Teil
borgen, so sehr verschieden ist. Nur Größe und äußere Form-
verhältnisse können eigentlich vergleichen werden; man kann
den riesigen Gipfel des Montblanc und das Himalayagebirge,
die Wasserfälle der Pyrenäen und die der Kordilleren zu-
sammenhalten; aber durch solche vergleichende Schilderungen,
so sehr sie wissenschaftlich förderlich sein mögen, erfährt man
wenig vom Naturcharakter des gemäßigten und des heißen
Erdstriches. Am Gestade eines Sees, in einem großen Walde,
am Fuße mit ewigem Eis bedeckter Berggipfel ist es nicht die
materielle Größe, was uns mit dem heimlichen Gefühle der
Bewunderung erfüllt. Was zu unserem Gemüte spricht, was
so tiefe und mannigfache Empfindungen in uns wachruft,
entzieht sich der Messung wie den Sprachformen. Wenn man
Naturschönheiten recht lebhaft empfindet, so mag man Land-
schaften von verschiedenem Charakter gar nicht vergleichen;
man würde fürchten, sich selbst im Genuß zu stören.

Die Ufer des Sees von Valencia sind aber nicht allein
wegen ihrer malerischen Reize im Lande berühmt; das Becken

Wellen den Fuß der Gipfel von Mariara, die Teufels-
mauer
(el Rincon del Diablo) und die Küſtenbergkette be-
ſpülten, waren dieſe Felshügel Untiefen oder Eilande.

Dieſe Züge eines reichen Gemäldes, dieſer Kontraſt zwiſchen
den beiden Ufern des Sees von Valencia erinnerten mich oft an
das Seegeſtade des Waadtlandes, wo der überall angebaute,
überall fruchtbare Boden dem Ackerbauer, dem Hirten, dem
Winzer ihre Mühen ſicher lohnt, während das ſavoyiſche
Ufer gegenüber ein gebirgiges, halb wüſtes Land iſt. In
jenen fernen Himmelsſtrichen, mitten unter den Gebilden einer
fremdartigen Natur, gedachte ich mit Luſt der hinreißenden
Beſchreibungen, zu denen der Genfer See und die Felſen von
Meillerie einen großen Schriftſteller begeiſtert haben. Wenn
ich jetzt mitten im civiliſierten Europa die Natur in der
Neuen Welt zu ſchildern verſuche, glaube ich durch die Ver-
gleichung unſerer heimiſchen und der tropiſchen Landſchaften
meinen Bildern mehr Schärfe und dem Leſer deutlichere Be-
griffe zu geben. Man kann es nicht oft genug ſagen: Unter
jedem Himmelsſtriche trägt die Natur, ſei ſie wild oder vom
Menſchen gezähmt, lieblich oder großartig, ihren eigenen
Stempel. Die Empfindungen, die ſie in uns hervorruft, ſind
unendlich mannigfaltig, gerade wie der Eindruck der Geiſtes-
werke je nach dem Zeitalter, das ſie hervorgebracht, und nach
den mancherlei Sprachen, von denen ſie ihren Reiz zum Teil
borgen, ſo ſehr verſchieden iſt. Nur Größe und äußere Form-
verhältniſſe können eigentlich vergleichen werden; man kann
den rieſigen Gipfel des Montblanc und das Himalayagebirge,
die Waſſerfälle der Pyrenäen und die der Kordilleren zu-
ſammenhalten; aber durch ſolche vergleichende Schilderungen,
ſo ſehr ſie wiſſenſchaftlich förderlich ſein mögen, erfährt man
wenig vom Naturcharakter des gemäßigten und des heißen
Erdſtriches. Am Geſtade eines Sees, in einem großen Walde,
am Fuße mit ewigem Eis bedeckter Berggipfel iſt es nicht die
materielle Größe, was uns mit dem heimlichen Gefühle der
Bewunderung erfüllt. Was zu unſerem Gemüte ſpricht, was
ſo tiefe und mannigfache Empfindungen in uns wachruft,
entzieht ſich der Meſſung wie den Sprachformen. Wenn man
Naturſchönheiten recht lebhaft empfindet, ſo mag man Land-
ſchaften von verſchiedenem Charakter gar nicht vergleichen;
man würde fürchten, ſich ſelbſt im Genuß zu ſtören.

Die Ufer des Sees von Valencia ſind aber nicht allein
wegen ihrer maleriſchen Reize im Lande berühmt; das Becken

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[202/0210] Wellen den Fuß der Gipfel von Mariara, die Teufels- mauer (el Rincon del Diablo) und die Küſtenbergkette be- ſpülten, waren dieſe Felshügel Untiefen oder Eilande. Dieſe Züge eines reichen Gemäldes, dieſer Kontraſt zwiſchen den beiden Ufern des Sees von Valencia erinnerten mich oft an das Seegeſtade des Waadtlandes, wo der überall angebaute, überall fruchtbare Boden dem Ackerbauer, dem Hirten, dem Winzer ihre Mühen ſicher lohnt, während das ſavoyiſche Ufer gegenüber ein gebirgiges, halb wüſtes Land iſt. In jenen fernen Himmelsſtrichen, mitten unter den Gebilden einer fremdartigen Natur, gedachte ich mit Luſt der hinreißenden Beſchreibungen, zu denen der Genfer See und die Felſen von Meillerie einen großen Schriftſteller begeiſtert haben. Wenn ich jetzt mitten im civiliſierten Europa die Natur in der Neuen Welt zu ſchildern verſuche, glaube ich durch die Ver- gleichung unſerer heimiſchen und der tropiſchen Landſchaften meinen Bildern mehr Schärfe und dem Leſer deutlichere Be- griffe zu geben. Man kann es nicht oft genug ſagen: Unter jedem Himmelsſtriche trägt die Natur, ſei ſie wild oder vom Menſchen gezähmt, lieblich oder großartig, ihren eigenen Stempel. Die Empfindungen, die ſie in uns hervorruft, ſind unendlich mannigfaltig, gerade wie der Eindruck der Geiſtes- werke je nach dem Zeitalter, das ſie hervorgebracht, und nach den mancherlei Sprachen, von denen ſie ihren Reiz zum Teil borgen, ſo ſehr verſchieden iſt. Nur Größe und äußere Form- verhältniſſe können eigentlich vergleichen werden; man kann den rieſigen Gipfel des Montblanc und das Himalayagebirge, die Waſſerfälle der Pyrenäen und die der Kordilleren zu- ſammenhalten; aber durch ſolche vergleichende Schilderungen, ſo ſehr ſie wiſſenſchaftlich förderlich ſein mögen, erfährt man wenig vom Naturcharakter des gemäßigten und des heißen Erdſtriches. Am Geſtade eines Sees, in einem großen Walde, am Fuße mit ewigem Eis bedeckter Berggipfel iſt es nicht die materielle Größe, was uns mit dem heimlichen Gefühle der Bewunderung erfüllt. Was zu unſerem Gemüte ſpricht, was ſo tiefe und mannigfache Empfindungen in uns wachruft, entzieht ſich der Meſſung wie den Sprachformen. Wenn man Naturſchönheiten recht lebhaft empfindet, ſo mag man Land- ſchaften von verſchiedenem Charakter gar nicht vergleichen; man würde fürchten, ſich ſelbſt im Genuß zu ſtören. Die Ufer des Sees von Valencia ſind aber nicht allein wegen ihrer maleriſchen Reize im Lande berühmt; das Becken

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/210>, abgerufen am 25.04.2024.