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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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und Niederschlagendes. Selbst auf dem Ozean und im Sande
Afrikas gewöhnt man sich nur schwer daran, wenn einem auch
da, wo nichts an unsere Felder, unsere Gehölze und Bäche
erinnert, die weite Einöde, durch die man sich bewegt, nicht
so stark auffällt. Hier, in einem fruchtbaren Lande, geschmückt
mit unvergänglichem Grün, sieht man sich umsonst nach einer
Spur von der Wirksamkeit des Menschen um; man glaubt
sich in eine andere Welt versetzt, als die uns geboren. Ein
Soldat, der sein ganzes Leben in den Missionen am oberen
Orinoko zugebracht hatte, war einmal mit uns am Strome
gelagert. Es war ein gescheiter Mensch, und in der ruhigen,
heiteren Nacht richtete er an mich Frage um Frage über die
Größe der Sterne, über die Mondbewohner, über tausend
Dinge, von denen ich so viel wußte als er. Meine Antworten
konnten seiner Neugier nicht genügen, und so sagte er in zu-
versichtlichem Tone: "Was die Menschen anlangt, so glaube
ich, es gibt da oben nicht mehr, als ihr angetroffen hättet,
wenn ihr zu Lande von Javita an den Cassiquiare gegangen
wäret. In den Sternen, meine ich, ist eben wie hier eine
weite Ebene mit hohem Gras und ein Wald (mucho monte),
durch den ein Strom fließt." Mit diesen Worten ist ganz
der Eindruck geschildert, den der eintönige Anblick dieser Ein-
öde hervorbringt. Möchte diese Eintönigkeit nicht auch auf
das Tagebuch unserer Flußfahrt übergehen! Möchten Leser,
die an die Beschreibung der Landschaften und an die geschicht-
lichen Erinnerungen des alten Kontinents gewöhnt sind, es
nicht ermüdend finden!



und Niederſchlagendes. Selbſt auf dem Ozean und im Sande
Afrikas gewöhnt man ſich nur ſchwer daran, wenn einem auch
da, wo nichts an unſere Felder, unſere Gehölze und Bäche
erinnert, die weite Einöde, durch die man ſich bewegt, nicht
ſo ſtark auffällt. Hier, in einem fruchtbaren Lande, geſchmückt
mit unvergänglichem Grün, ſieht man ſich umſonſt nach einer
Spur von der Wirkſamkeit des Menſchen um; man glaubt
ſich in eine andere Welt verſetzt, als die uns geboren. Ein
Soldat, der ſein ganzes Leben in den Miſſionen am oberen
Orinoko zugebracht hatte, war einmal mit uns am Strome
gelagert. Es war ein geſcheiter Menſch, und in der ruhigen,
heiteren Nacht richtete er an mich Frage um Frage über die
Größe der Sterne, über die Mondbewohner, über tauſend
Dinge, von denen ich ſo viel wußte als er. Meine Antworten
konnten ſeiner Neugier nicht genügen, und ſo ſagte er in zu-
verſichtlichem Tone: „Was die Menſchen anlangt, ſo glaube
ich, es gibt da oben nicht mehr, als ihr angetroffen hättet,
wenn ihr zu Lande von Javita an den Caſſiquiare gegangen
wäret. In den Sternen, meine ich, iſt eben wie hier eine
weite Ebene mit hohem Gras und ein Wald (mucho monte),
durch den ein Strom fließt.“ Mit dieſen Worten iſt ganz
der Eindruck geſchildert, den der eintönige Anblick dieſer Ein-
öde hervorbringt. Möchte dieſe Eintönigkeit nicht auch auf
das Tagebuch unſerer Flußfahrt übergehen! Möchten Leſer,
die an die Beſchreibung der Landſchaften und an die geſchicht-
lichen Erinnerungen des alten Kontinents gewöhnt ſind, es
nicht ermüdend finden!



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[245/0253] und Niederſchlagendes. Selbſt auf dem Ozean und im Sande Afrikas gewöhnt man ſich nur ſchwer daran, wenn einem auch da, wo nichts an unſere Felder, unſere Gehölze und Bäche erinnert, die weite Einöde, durch die man ſich bewegt, nicht ſo ſtark auffällt. Hier, in einem fruchtbaren Lande, geſchmückt mit unvergänglichem Grün, ſieht man ſich umſonſt nach einer Spur von der Wirkſamkeit des Menſchen um; man glaubt ſich in eine andere Welt verſetzt, als die uns geboren. Ein Soldat, der ſein ganzes Leben in den Miſſionen am oberen Orinoko zugebracht hatte, war einmal mit uns am Strome gelagert. Es war ein geſcheiter Menſch, und in der ruhigen, heiteren Nacht richtete er an mich Frage um Frage über die Größe der Sterne, über die Mondbewohner, über tauſend Dinge, von denen ich ſo viel wußte als er. Meine Antworten konnten ſeiner Neugier nicht genügen, und ſo ſagte er in zu- verſichtlichem Tone: „Was die Menſchen anlangt, ſo glaube ich, es gibt da oben nicht mehr, als ihr angetroffen hättet, wenn ihr zu Lande von Javita an den Caſſiquiare gegangen wäret. In den Sternen, meine ich, iſt eben wie hier eine weite Ebene mit hohem Gras und ein Wald (mucho monte), durch den ein Strom fließt.“ Mit dieſen Worten iſt ganz der Eindruck geſchildert, den der eintönige Anblick dieſer Ein- öde hervorbringt. Möchte dieſe Eintönigkeit nicht auch auf das Tagebuch unſerer Flußfahrt übergehen! Möchten Leſer, die an die Beſchreibung der Landſchaften und an die geſchicht- lichen Erinnerungen des alten Kontinents gewöhnt ſind, es nicht ermüdend finden!

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/253>, abgerufen am 19.04.2024.