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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Orinoko, Atabapo, Temi, Tuamini und Rio Negro) 810 km
zurückgelegt. Gingen wir auf dem Cassiquiare in den Orinoko
zurück, so hatten wir von San Carlos bis Angostura wieder
1440 km zu machen. Auf diesem Wege hatten wir zehn
Tage lang mit der Strömung zu kämpfen, im übrigen ging
es immer den Orinoko hinab. Es wäre eine Schande für
uns gewesen, hätte uns der Aerger wegen des trüben Himmels
oder die Furcht vor den Moskiten auf dem Cassiquiare den
Mut benommen. Unser indianischer Steuermann, der erst
kürzlich in Mandavaca gewesen war, stellte uns die Sonne
und "die großen Sterne, welche die Wolken essen", in
Aussicht, sobald wir die schwarzen Wasser des Rio
Negro hinter uns haben würden. So brachten wir denn
unser erstes Vorhaben, über den Cassiquiare nach San Fer-
nando am Atabapo zurückzugehen, in Ausführung, und zum
Glück für unsere Arbeiten ging die Prophezeiung des In-
dianers in Erfüllung. Die weißen Wasser brachten uns
nach und nach wieder heiteren Himmel, Sterne, Moskiten
und Krokodile.

Wir fuhren zwischen den dichtbewachsenen Inseln Zaruma
und Mini oder Mibita durch, und liefen, nachdem wir die
Stromschnellen an der Piedra de Uinumane hinaufgegangen,
15 km weit von der Schanze San Carlos in den Rio
Cassiquiare ein. Jene Piedra, das Granitgestein, das den
kleinen Katarakt bildet, zog durch die vielen Quarzgänge darin
unsere Aufmerksamkeit auf sich. Die Gänge waren mehrere
Zoll breit, und ihren Massen nach waren sie augenscheinlich
nach Alter und Formation untereinander sehr verschieden. Ich
sah deutlich, daß überall an den Kreuzungsstellen die Gänge,
welche Glimmer und schwarzen Schörl führten, die anderen,
welche nur weißen Quarz und Feldspat enthielten, durchsetzten
und verwarfen. Nach Werners Theorie waren also die
schwarzen Gänge von neuerer Formation als die weißen. Als
Zögling der Freiberger Bergschule mußte ich mit einer ge-
wissen Befriedigung beim Fels Uinumane verweilen und in
der Nähe des Aequators Erscheinungen beobachten, die ich in
den heimischen Bergen so oft vor Augen gehabt. Ich gestehe,
die Theorie, nach welcher die Gänge Spalten sind, die mit
verschiedenen Substanzen von oben her ausgefüllt worden,
behagt mir jetzt nicht mehr so ganz wie damals; aber dieses
sich Durchkreuzen und Verwerfen von Gestein- und Metall-
adern verdient darum doch, als eines der allgemeinsten und

Orinoko, Atabapo, Temi, Tuamini und Rio Negro) 810 km
zurückgelegt. Gingen wir auf dem Caſſiquiare in den Orinoko
zurück, ſo hatten wir von San Carlos bis Angoſtura wieder
1440 km zu machen. Auf dieſem Wege hatten wir zehn
Tage lang mit der Strömung zu kämpfen, im übrigen ging
es immer den Orinoko hinab. Es wäre eine Schande für
uns geweſen, hätte uns der Aerger wegen des trüben Himmels
oder die Furcht vor den Moskiten auf dem Caſſiquiare den
Mut benommen. Unſer indianiſcher Steuermann, der erſt
kürzlich in Mandavaca geweſen war, ſtellte uns die Sonne
und „die großen Sterne, welche die Wolken eſſen“, in
Ausſicht, ſobald wir die ſchwarzen Waſſer des Rio
Negro hinter uns haben würden. So brachten wir denn
unſer erſtes Vorhaben, über den Caſſiquiare nach San Fer-
nando am Atabapo zurückzugehen, in Ausführung, und zum
Glück für unſere Arbeiten ging die Prophezeiung des In-
dianers in Erfüllung. Die weißen Waſſer brachten uns
nach und nach wieder heiteren Himmel, Sterne, Moskiten
und Krokodile.

Wir fuhren zwiſchen den dichtbewachſenen Inſeln Zaruma
und Mini oder Mibita durch, und liefen, nachdem wir die
Stromſchnellen an der Piedra de Uinumane hinaufgegangen,
15 km weit von der Schanze San Carlos in den Rio
Caſſiquiare ein. Jene Piedra, das Granitgeſtein, das den
kleinen Katarakt bildet, zog durch die vielen Quarzgänge darin
unſere Aufmerkſamkeit auf ſich. Die Gänge waren mehrere
Zoll breit, und ihren Maſſen nach waren ſie augenſcheinlich
nach Alter und Formation untereinander ſehr verſchieden. Ich
ſah deutlich, daß überall an den Kreuzungsſtellen die Gänge,
welche Glimmer und ſchwarzen Schörl führten, die anderen,
welche nur weißen Quarz und Feldſpat enthielten, durchſetzten
und verwarfen. Nach Werners Theorie waren alſo die
ſchwarzen Gänge von neuerer Formation als die weißen. Als
Zögling der Freiberger Bergſchule mußte ich mit einer ge-
wiſſen Befriedigung beim Fels Uinumane verweilen und in
der Nähe des Aequators Erſcheinungen beobachten, die ich in
den heimiſchen Bergen ſo oft vor Augen gehabt. Ich geſtehe,
die Theorie, nach welcher die Gänge Spalten ſind, die mit
verſchiedenen Subſtanzen von oben her ausgefüllt worden,
behagt mir jetzt nicht mehr ſo ganz wie damals; aber dieſes
ſich Durchkreuzen und Verwerfen von Geſtein- und Metall-
adern verdient darum doch, als eines der allgemeinſten und

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[4/0012] Orinoko, Atabapo, Temi, Tuamini und Rio Negro) 810 km zurückgelegt. Gingen wir auf dem Caſſiquiare in den Orinoko zurück, ſo hatten wir von San Carlos bis Angoſtura wieder 1440 km zu machen. Auf dieſem Wege hatten wir zehn Tage lang mit der Strömung zu kämpfen, im übrigen ging es immer den Orinoko hinab. Es wäre eine Schande für uns geweſen, hätte uns der Aerger wegen des trüben Himmels oder die Furcht vor den Moskiten auf dem Caſſiquiare den Mut benommen. Unſer indianiſcher Steuermann, der erſt kürzlich in Mandavaca geweſen war, ſtellte uns die Sonne und „die großen Sterne, welche die Wolken eſſen“, in Ausſicht, ſobald wir die ſchwarzen Waſſer des Rio Negro hinter uns haben würden. So brachten wir denn unſer erſtes Vorhaben, über den Caſſiquiare nach San Fer- nando am Atabapo zurückzugehen, in Ausführung, und zum Glück für unſere Arbeiten ging die Prophezeiung des In- dianers in Erfüllung. Die weißen Waſſer brachten uns nach und nach wieder heiteren Himmel, Sterne, Moskiten und Krokodile. Wir fuhren zwiſchen den dichtbewachſenen Inſeln Zaruma und Mini oder Mibita durch, und liefen, nachdem wir die Stromſchnellen an der Piedra de Uinumane hinaufgegangen, 15 km weit von der Schanze San Carlos in den Rio Caſſiquiare ein. Jene Piedra, das Granitgeſtein, das den kleinen Katarakt bildet, zog durch die vielen Quarzgänge darin unſere Aufmerkſamkeit auf ſich. Die Gänge waren mehrere Zoll breit, und ihren Maſſen nach waren ſie augenſcheinlich nach Alter und Formation untereinander ſehr verſchieden. Ich ſah deutlich, daß überall an den Kreuzungsſtellen die Gänge, welche Glimmer und ſchwarzen Schörl führten, die anderen, welche nur weißen Quarz und Feldſpat enthielten, durchſetzten und verwarfen. Nach Werners Theorie waren alſo die ſchwarzen Gänge von neuerer Formation als die weißen. Als Zögling der Freiberger Bergſchule mußte ich mit einer ge- wiſſen Befriedigung beim Fels Uinumane verweilen und in der Nähe des Aequators Erſcheinungen beobachten, die ich in den heimiſchen Bergen ſo oft vor Augen gehabt. Ich geſtehe, die Theorie, nach welcher die Gänge Spalten ſind, die mit verſchiedenen Subſtanzen von oben her ausgefüllt worden, behagt mir jetzt nicht mehr ſo ganz wie damals; aber dieſes ſich Durchkreuzen und Verwerfen von Geſtein- und Metall- adern verdient darum doch, als eines der allgemeinſten und

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/12>, abgerufen am 29.03.2024.