Unsere Maultiere warteten unser am linken Ufer des Orinoko. Durch die Pflanzensammlungen und die geologischen Suiten, die wir seit Esmeralda und dem Rio Negro mit uns führten, war unser Gepäck bedeutend stärker geworden. Da es mißlich gewesen wäre, uns von unseren Herbarien zu trennen, so mußten wir uns auf eine sehr langsame Reise durch die Lanos gefaßt machen. Durch das Zurückprallen der Sonnenstrahlen vom fast pflanzenlosen Boden war die Hitze ungemein stark. Indessen stand der hundertteilige Ther- mometer bei Tag doch nur auf 30 bis 34, bei Nacht auf 27 bis 28°. Wie fast überall unter den Tropen war es daher nicht sowohl der absolute Hitzegrad als das Andauern der- selben, was widrig auf unsere Organe wirkte. Wir brauchten 13 Tage, um über die Steppen zu kommen, wobei wir uns in den Missionen der Kariben und in der kleinen Stadt Pao etwas aufhielten. Ich habe oben das physische Gemälde dieser unermeßlichen Ebenen entworfen, die zwischen den Wäl- dern von Guyana und der Küstenkette liegen. Der östliche Strich der Llanos, über den wir von Angostura nach Nueva Barcelona kamen, bietet denselben öden Anblick wie der westliche, über den wir von den Thälern von Aragua nach San Fernando am Apure gegangen waren. In der trockenen Jahreszeit, welche hier Sommer heißt, obgleich dann die Sonne in der südlichen Halbkugel ist, weht der Seewind in den Steppen von Cumana weit stärker als in denen von Caracas; denn diese weiten Ebenen bilden, gleich den ange- bauten Fluren der Lombardei, ein nach Ost offenes, nach Nord, Süd und West durch hohe Urgebirgsketten geschlossenes Becken. Leider kam uns dieser erfrischende Wind, von dem die Llaneros (die Steppenbewohner) mit Entzücken sprechen, nicht zu gute. Nordwärts vom Aequator war Regenzeit; in den Llanos selbst regnete es freilich nicht, aber durch den Wechsel in der Ab- weichung der Sonne hatte das Spiel der Polarströmungen längst aufgehört. In diesen Landstrichen am Aequator, wo man sich nach dem Zug der Wolken orientieren kann, und wo die Schwan- kungen des Quecksilbers im Barometer fast wie eine Uhr die Stunde weisen, ist alles einem regelmäßigen, gleichförmigen Typus unterworfen. Das Aufhören der Seewinde, der Ein- tritt der Regenzeit und die Häufigkeit elektrischer Entladungen sind durch unabänderliche Gesetze verknüpfte Erscheinungen.
Beim Einfluß des Apure in den Orinoko, am Berge Sacuima, hatten wir einen französischen Landwirt getroffen,
Unſere Maultiere warteten unſer am linken Ufer des Orinoko. Durch die Pflanzenſammlungen und die geologiſchen Suiten, die wir ſeit Esmeralda und dem Rio Negro mit uns führten, war unſer Gepäck bedeutend ſtärker geworden. Da es mißlich geweſen wäre, uns von unſeren Herbarien zu trennen, ſo mußten wir uns auf eine ſehr langſame Reiſe durch die Lanos gefaßt machen. Durch das Zurückprallen der Sonnenſtrahlen vom faſt pflanzenloſen Boden war die Hitze ungemein ſtark. Indeſſen ſtand der hundertteilige Ther- mometer bei Tag doch nur auf 30 bis 34, bei Nacht auf 27 bis 28°. Wie faſt überall unter den Tropen war es daher nicht ſowohl der abſolute Hitzegrad als das Andauern der- ſelben, was widrig auf unſere Organe wirkte. Wir brauchten 13 Tage, um über die Steppen zu kommen, wobei wir uns in den Miſſionen der Kariben und in der kleinen Stadt Pao etwas aufhielten. Ich habe oben das phyſiſche Gemälde dieſer unermeßlichen Ebenen entworfen, die zwiſchen den Wäl- dern von Guyana und der Küſtenkette liegen. Der öſtliche Strich der Llanos, über den wir von Angoſtura nach Nueva Barcelona kamen, bietet denſelben öden Anblick wie der weſtliche, über den wir von den Thälern von Aragua nach San Fernando am Apure gegangen waren. In der trockenen Jahreszeit, welche hier Sommer heißt, obgleich dann die Sonne in der ſüdlichen Halbkugel iſt, weht der Seewind in den Steppen von Cumana weit ſtärker als in denen von Caracas; denn dieſe weiten Ebenen bilden, gleich den ange- bauten Fluren der Lombardei, ein nach Oſt offenes, nach Nord, Süd und Weſt durch hohe Urgebirgsketten geſchloſſenes Becken. Leider kam uns dieſer erfriſchende Wind, von dem die Llaneros (die Steppenbewohner) mit Entzücken ſprechen, nicht zu gute. Nordwärts vom Aequator war Regenzeit; in den Llanos ſelbſt regnete es freilich nicht, aber durch den Wechſel in der Ab- weichung der Sonne hatte das Spiel der Polarſtrömungen längſt aufgehört. In dieſen Landſtrichen am Aequator, wo man ſich nach dem Zug der Wolken orientieren kann, und wo die Schwan- kungen des Queckſilbers im Barometer faſt wie eine Uhr die Stunde weiſen, iſt alles einem regelmäßigen, gleichförmigen Typus unterworfen. Das Aufhören der Seewinde, der Ein- tritt der Regenzeit und die Häufigkeit elektriſcher Entladungen ſind durch unabänderliche Geſetze verknüpfte Erſcheinungen.
Beim Einfluß des Apure in den Orinoko, am Berge Sacuima, hatten wir einen franzöſiſchen Landwirt getroffen,
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Unſere Maultiere warteten unſer am linken Ufer des
Orinoko. Durch die Pflanzenſammlungen und die geologiſchen
Suiten, die wir ſeit Esmeralda und dem Rio Negro mit uns
führten, war unſer Gepäck bedeutend ſtärker geworden. Da
es mißlich geweſen wäre, uns von unſeren Herbarien zu
trennen, ſo mußten wir uns auf eine ſehr langſame Reiſe
durch die Lanos gefaßt machen. Durch das Zurückprallen
der Sonnenſtrahlen vom faſt pflanzenloſen Boden war die
Hitze ungemein ſtark. Indeſſen ſtand der hundertteilige Ther-
mometer bei Tag doch nur auf 30 bis 34, bei Nacht auf
27 bis 28°. Wie faſt überall unter den Tropen war es daher
nicht ſowohl der abſolute Hitzegrad als das Andauern der-
ſelben, was widrig auf unſere Organe wirkte. Wir brauchten
13 Tage, um über die Steppen zu kommen, wobei wir uns
in den Miſſionen der Kariben und in der kleinen Stadt Pao
etwas aufhielten. Ich habe oben das phyſiſche Gemälde
dieſer unermeßlichen Ebenen entworfen, die zwiſchen den Wäl-
dern von Guyana und der Küſtenkette liegen. Der öſtliche
Strich der Llanos, über den wir von Angoſtura nach Nueva
Barcelona kamen, bietet denſelben öden Anblick wie der
weſtliche, über den wir von den Thälern von Aragua nach
San Fernando am Apure gegangen waren. In der trockenen
Jahreszeit, welche hier Sommer heißt, obgleich dann die
Sonne in der ſüdlichen Halbkugel iſt, weht der Seewind in
den Steppen von Cumana weit ſtärker als in denen von
Caracas; denn dieſe weiten Ebenen bilden, gleich den ange-
bauten Fluren der Lombardei, ein nach Oſt offenes, nach Nord,
Süd und Weſt durch hohe Urgebirgsketten geſchloſſenes Becken.
Leider kam uns dieſer erfriſchende Wind, von dem die Llaneros
(die Steppenbewohner) mit Entzücken ſprechen, nicht zu gute.
Nordwärts vom Aequator war Regenzeit; in den Llanos ſelbſt
regnete es freilich nicht, aber durch den Wechſel in der Ab-
weichung der Sonne hatte das Spiel der Polarſtrömungen längſt
aufgehört. In dieſen Landſtrichen am Aequator, wo man ſich
nach dem Zug der Wolken orientieren kann, und wo die Schwan-
kungen des Queckſilbers im Barometer faſt wie eine Uhr die
Stunde weiſen, iſt alles einem regelmäßigen, gleichförmigen
Typus unterworfen. Das Aufhören der Seewinde, der Ein-
tritt der Regenzeit und die Häufigkeit elektriſcher Entladungen
ſind durch unabänderliche Geſetze verknüpfte Erſcheinungen.
Beim Einfluß des Apure in den Orinoko, am Berge
Sacuima, hatten wir einen franzöſiſchen Landwirt getroffen,
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/236>, abgerufen am 25.04.2024.
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