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Humboldt, Alexander von: Geognostische und physikalische Beobachtungen über die Vulkane des Hochlandes von Quito. Dritte Abhandlung. In: Bericht über die zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen der Königl. Preuss. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Aus dem Jahre 1839. Berlin, 1839, S. 245-253.

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niemand beschrieben worden, der den Schauplatz jener Verheerungen und Umwandlungen selbst besuchen konnte. Der sonst so genaue Botaniker Cavanilles hat allein in den Icones plantarum rariorum eine eben so kurze als ungenaue Notiz des Erdbebens von Riobamba gegeben. Der Name des brennbaren Schlammes (Moya) wird sogar, in dieser Notiz, als der Name eines Berges aufgeführt.

Die Darstellung des Zusammenhanges vulkanischer Erscheinungen erheischt das sorgfältigste Aufsuchen einzelner Thatsachen, sie mögen die Gestaltung der Oberfläche, die wechselnde Richtung der vulkanischen Thätigkeit, die Erweiterung oder temporäre Unterbrechung der Erschütterungskreise, die Erhebung oder das Hervortreten endogener Gebirgsmassen betreffen. "Wie in der organischen Welt jedes tiefere Eindringen in den Entwickelungsgang und den Bau der einzelnen Organe neues Licht über das Ganze der Lebenserscheinungen (gleichsam der Lebensprozesse) verbreitet, so spiegelt sich auch das gesammte Erdenleben in dem treu entworfenen Bilde einzelner Feuerschlünde und oft erschütterter Länderstriche." Was in den einzelnen Thatsachen noch in scheinbarem Widerspruche mit früheren Abstractionen steht, muss darum nicht immer als ein Beweis der Unsicherheit von diesen betrachtet werden. Der Widerspruch hat oft nur seinen Grund in der Unvollständigkeit der Beobachtung selbst. Wenn man schon viele Jahre lang, wie am Ufer stehend, auf den Strom wechselnder Meinungen und bestrittener Thatsachen herabblickt, so bleibt man von dem Gefühle durchdrungen, dass die Fortschritte der Naturwissenschaften weniger durch gewagte Abstractionen als durch unvollständig beobachtete Thatsachen gehindert worden sind, ja dass man sich jener leichter, als dieser entledigen kann. Die Geognosie hat sich aber, seit den letzten Jahrzehenden, vorzugsweise eines Zustandes zu erfreuen, in dem aus den entferntesten Weltgegenden die chronometrische Reihung von Flöz- und Tertiär-Gebirgsarten, die Aufzählung der organischen Reste, welche dieselben enthalten, die Schilderung der Trennung der Sedimentschichten durch körnige endogene (plutonische und vulkanische) Gebilde, des Einflusses dieser Eruptions-Gebilde auf die Lage und das Gewebe der durchbrochenen Massen, des Zusammenhanges der vulkanischen Erscheinungen (als Erhebungs-Cra-

niemand beschrieben worden, der den Schauplatz jener Verheerungen und Umwandlungen selbst besuchen konnte. Der sonst so genaue Botaniker Cavanilles hat allein in den Icones plantarum rariorum eine eben so kurze als ungenaue Notiz des Erdbebens von Riobamba gegeben. Der Name des brennbaren Schlammes (Moya) wird sogar, in dieser Notiz, als der Name eines Berges aufgeführt.

Die Darstellung des Zusammenhanges vulkanischer Erscheinungen erheischt das sorgfältigste Aufsuchen einzelner Thatsachen, sie mögen die Gestaltung der Oberfläche, die wechselnde Richtung der vulkanischen Thätigkeit, die Erweiterung oder temporäre Unterbrechung der Erschütterungskreise, die Erhebung oder das Hervortreten endogener Gebirgsmassen betreffen. „Wie in der organischen Welt jedes tiefere Eindringen in den Entwickelungsgang und den Bau der einzelnen Organe neues Licht über das Ganze der Lebenserscheinungen (gleichsam der Lebensprozesse) verbreitet, so spiegelt sich auch das gesammte Erdenleben in dem treu entworfenen Bilde einzelner Feuerschlünde und oft erschütterter Länderstriche.“ Was in den einzelnen Thatsachen noch in scheinbarem Widerspruche mit früheren Abstractionen steht, muſs darum nicht immer als ein Beweis der Unsicherheit von diesen betrachtet werden. Der Widerspruch hat oft nur seinen Grund in der Unvollständigkeit der Beobachtung selbst. Wenn man schon viele Jahre lang, wie am Ufer stehend, auf den Strom wechselnder Meinungen und bestrittener Thatsachen herabblickt, so bleibt man von dem Gefühle durchdrungen, daſs die Fortschritte der Naturwissenschaften weniger durch gewagte Abstractionen als durch unvollständig beobachtete Thatsachen gehindert worden sind, ja daſs man sich jener leichter, als dieser entledigen kann. Die Geognosie hat sich aber, seit den letzten Jahrzehenden, vorzugsweise eines Zustandes zu erfreuen, in dem aus den entferntesten Weltgegenden die chronometrische Reihung von Flöz- und Tertiär-Gebirgsarten, die Aufzählung der organischen Reste, welche dieselben enthalten, die Schilderung der Trennung der Sedimentschichten durch körnige endogene (plutonische und vulkanische) Gebilde, des Einflusses dieser Eruptions-Gebilde auf die Lage und das Gewebe der durchbrochenen Massen, des Zusammenhanges der vulkanischen Erscheinungen (als Erhebungs-Cra-

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[246/0003] niemand beschrieben worden, der den Schauplatz jener Verheerungen und Umwandlungen selbst besuchen konnte. Der sonst so genaue Botaniker Cavanilles hat allein in den Icones plantarum rariorum eine eben so kurze als ungenaue Notiz des Erdbebens von Riobamba gegeben. Der Name des brennbaren Schlammes (Moya) wird sogar, in dieser Notiz, als der Name eines Berges aufgeführt. Die Darstellung des Zusammenhanges vulkanischer Erscheinungen erheischt das sorgfältigste Aufsuchen einzelner Thatsachen, sie mögen die Gestaltung der Oberfläche, die wechselnde Richtung der vulkanischen Thätigkeit, die Erweiterung oder temporäre Unterbrechung der Erschütterungskreise, die Erhebung oder das Hervortreten endogener Gebirgsmassen betreffen. „Wie in der organischen Welt jedes tiefere Eindringen in den Entwickelungsgang und den Bau der einzelnen Organe neues Licht über das Ganze der Lebenserscheinungen (gleichsam der Lebensprozesse) verbreitet, so spiegelt sich auch das gesammte Erdenleben in dem treu entworfenen Bilde einzelner Feuerschlünde und oft erschütterter Länderstriche.“ Was in den einzelnen Thatsachen noch in scheinbarem Widerspruche mit früheren Abstractionen steht, muſs darum nicht immer als ein Beweis der Unsicherheit von diesen betrachtet werden. Der Widerspruch hat oft nur seinen Grund in der Unvollständigkeit der Beobachtung selbst. Wenn man schon viele Jahre lang, wie am Ufer stehend, auf den Strom wechselnder Meinungen und bestrittener Thatsachen herabblickt, so bleibt man von dem Gefühle durchdrungen, daſs die Fortschritte der Naturwissenschaften weniger durch gewagte Abstractionen als durch unvollständig beobachtete Thatsachen gehindert worden sind, ja daſs man sich jener leichter, als dieser entledigen kann. Die Geognosie hat sich aber, seit den letzten Jahrzehenden, vorzugsweise eines Zustandes zu erfreuen, in dem aus den entferntesten Weltgegenden die chronometrische Reihung von Flöz- und Tertiär-Gebirgsarten, die Aufzählung der organischen Reste, welche dieselben enthalten, die Schilderung der Trennung der Sedimentschichten durch körnige endogene (plutonische und vulkanische) Gebilde, des Einflusses dieser Eruptions-Gebilde auf die Lage und das Gewebe der durchbrochenen Massen, des Zusammenhanges der vulkanischen Erscheinungen (als Erhebungs-Cra-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Geognostische und physikalische Beobachtungen über die Vulkane des Hochlandes von Quito. Dritte Abhandlung. In: Bericht über die zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen der Königl. Preuss. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Aus dem Jahre 1839. Berlin, 1839, S. 245-253, hier S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_geognostisch_1839/3>, abgerufen am 25.04.2024.