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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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moralisches Wohl, und die blos negative Erhaltung der Sicher-
heit kann bei denselben nicht hinreichen. Allein diese Sorgfalt
ist -- um bei den Kindern, als der grössesten und wichtigsten
Klasse dieser Personen anzufangen -- schon vermöge der Grund-
sätze des Rechts ein Eigenthum bestimmter Personen, der
Eltern. Ihre Pflicht ist es, die Kinder, welche sie erzeugt haben,
bis zur vollkommenen Reife zu erziehen, und aus dieser Pflicht
allein entspringen alle Rechte derselben, als nothwendige Be-
dingungen der Ausübung von jener. Die Kinder behalten daher
alle ihre ursprünglichen Rechte, auf ihr Leben, ihre Gesundheit,
ihr Vermögen, wenn sie schon dergleichen besitzen, und selbst
ihre Freiheit darf nicht weiter beschränkt werden, als die Eltern
dies theils zu ihrer eignen Bildung, theils zur Erhaltung des
nun neu entstehenden Familienverhältnisses für nothwendig
erachten, und als sich diese Einschränkung nur auf die Zeit
bezieht, welche zu ihrer Ausbildung erfordert wird. Zwang zu
Handlungen, welche über diese Zeit hinaus, und vielleicht aufs
ganze Leben hin ihre unmittelbaren Folgen erstrecken, dürfen
sich daher Kinder niemals gefallen lassen. Daher niemals z. B.
Zwang zu Heirathen, oder zu Erwählung einer bestimmten
Lebensart. Mit der Zeit der Reife muss die elterliche Gewalt
natürlich ganz und gar aufhören. Allgemein bestehen daher
die Pflichten der Eltern darin die Kinder, theils durch persön-
liche Sorgfalt für ihr physisches und moralisches Wohl, theils
durch Versorgung mit den nothwendigen Mitteln in den Stand
zu setzen, eine eigne Lebensweise, nach ihrer, jedoch durch ihre
individuelle Lage beschränkten Wahl anzufangen; und die
Pflichten der Kinder dagegen darin, alles dasjenige zu thun,
was nothwendig ist, damit die Eltern jener Pflicht ein Genüge
zu leisten vermögen. Alles nähere Detail, die Aufzählung des-
sen, was diese Pflichten nun bestimmt in sich enthalten können
und müssen, übergehe ich hier gänzlich. Es gehört in eine
eigentliche Theorie der Gesetzgebung, und würde auch nicht

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moralisches Wohl, und die blos negative Erhaltung der Sicher-
heit kann bei denselben nicht hinreichen. Allein diese Sorgfalt
ist — um bei den Kindern, als der grössesten und wichtigsten
Klasse dieser Personen anzufangen — schon vermöge der Grund-
sätze des Rechts ein Eigenthum bestimmter Personen, der
Eltern. Ihre Pflicht ist es, die Kinder, welche sie erzeugt haben,
bis zur vollkommenen Reife zu erziehen, und aus dieser Pflicht
allein entspringen alle Rechte derselben, als nothwendige Be-
dingungen der Ausübung von jener. Die Kinder behalten daher
alle ihre ursprünglichen Rechte, auf ihr Leben, ihre Gesundheit,
ihr Vermögen, wenn sie schon dergleichen besitzen, und selbst
ihre Freiheit darf nicht weiter beschränkt werden, als die Eltern
dies theils zu ihrer eignen Bildung, theils zur Erhaltung des
nun neu entstehenden Familienverhältnisses für nothwendig
erachten, und als sich diese Einschränkung nur auf die Zeit
bezieht, welche zu ihrer Ausbildung erfordert wird. Zwang zu
Handlungen, welche über diese Zeit hinaus, und vielleicht aufs
ganze Leben hin ihre unmittelbaren Folgen erstrecken, dürfen
sich daher Kinder niemals gefallen lassen. Daher niemals z. B.
Zwang zu Heirathen, oder zu Erwählung einer bestimmten
Lebensart. Mit der Zeit der Reife muss die elterliche Gewalt
natürlich ganz und gar aufhören. Allgemein bestehen daher
die Pflichten der Eltern darin die Kinder, theils durch persön-
liche Sorgfalt für ihr physisches und moralisches Wohl, theils
durch Versorgung mit den nothwendigen Mitteln in den Stand
zu setzen, eine eigne Lebensweise, nach ihrer, jedoch durch ihre
individuelle Lage beschränkten Wahl anzufangen; und die
Pflichten der Kinder dagegen darin, alles dasjenige zu thun,
was nothwendig ist, damit die Eltern jener Pflicht ein Genüge
zu leisten vermögen. Alles nähere Detail, die Aufzählung des-
sen, was diese Pflichten nun bestimmt in sich enthalten können
und müssen, übergehe ich hier gänzlich. Es gehört in eine
eigentliche Theorie der Gesetzgebung, und würde auch nicht

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[163/0199] moralisches Wohl, und die blos negative Erhaltung der Sicher- heit kann bei denselben nicht hinreichen. Allein diese Sorgfalt ist — um bei den Kindern, als der grössesten und wichtigsten Klasse dieser Personen anzufangen — schon vermöge der Grund- sätze des Rechts ein Eigenthum bestimmter Personen, der Eltern. Ihre Pflicht ist es, die Kinder, welche sie erzeugt haben, bis zur vollkommenen Reife zu erziehen, und aus dieser Pflicht allein entspringen alle Rechte derselben, als nothwendige Be- dingungen der Ausübung von jener. Die Kinder behalten daher alle ihre ursprünglichen Rechte, auf ihr Leben, ihre Gesundheit, ihr Vermögen, wenn sie schon dergleichen besitzen, und selbst ihre Freiheit darf nicht weiter beschränkt werden, als die Eltern dies theils zu ihrer eignen Bildung, theils zur Erhaltung des nun neu entstehenden Familienverhältnisses für nothwendig erachten, und als sich diese Einschränkung nur auf die Zeit bezieht, welche zu ihrer Ausbildung erfordert wird. Zwang zu Handlungen, welche über diese Zeit hinaus, und vielleicht aufs ganze Leben hin ihre unmittelbaren Folgen erstrecken, dürfen sich daher Kinder niemals gefallen lassen. Daher niemals z. B. Zwang zu Heirathen, oder zu Erwählung einer bestimmten Lebensart. Mit der Zeit der Reife muss die elterliche Gewalt natürlich ganz und gar aufhören. Allgemein bestehen daher die Pflichten der Eltern darin die Kinder, theils durch persön- liche Sorgfalt für ihr physisches und moralisches Wohl, theils durch Versorgung mit den nothwendigen Mitteln in den Stand zu setzen, eine eigne Lebensweise, nach ihrer, jedoch durch ihre individuelle Lage beschränkten Wahl anzufangen; und die Pflichten der Kinder dagegen darin, alles dasjenige zu thun, was nothwendig ist, damit die Eltern jener Pflicht ein Genüge zu leisten vermögen. Alles nähere Detail, die Aufzählung des- sen, was diese Pflichten nun bestimmt in sich enthalten können und müssen, übergehe ich hier gänzlich. Es gehört in eine eigentliche Theorie der Gesetzgebung, und würde auch nicht 11*

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/199>, abgerufen am 28.03.2024.