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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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dass sie die Energie der Individuen möglichst steigern, ihre
Selbstthätigkeit auf recht vielfältige Weise herausfordern. In
dieser Forderung liegt eigentlich die Summe des positiven Ge-
halts der ganzen Untersuchung, und von dieser Seite ange-
sehn enthält sie eine grosse Lehre, die unter unsern heutigen
Verhältnissen mehr an ihrem Platze ist, als sie es je früher
gewesen wäre, und die von den segensreichsten Wirkungen sein
könnte, wenn die Gegenwart in demselben Maasse für dieselbe
empfänglich wäre, in dem sie ihrer bedürftig ist. Das Grund-
übel in den Wirren der letzten Jahre lag doch am Ende darin,
dass die Bestrebungen, von denen die Massen in Bewegung
gesetzt waren, das vollkommne Widerspiel des Humboldt'schen
Freiheitsideales waren. Alles lief in ihnen auf Steigerung der
Genüsse hinaus. Ein Jeder will es so bequem haben, wie
möglich. Je weiter sich die Forderungen der politischen
Schwärmer von heute und gestern von der Wirklichkeit ent-
fernen, desto bestimmter tritt dies als ihr Grundzug hervor,
und in letzter Instanz steigert sich diese Richtung zu dem
Ideale eines gesellschaftlichen Zustandes, welcher der freien
Bewegung der Individuen gar keinen Spielraum mehr lässt,
in welchem Alles von dem Allgemeinen absorbirt, die Freiheit
vollkommen der Wohlfahrt zum Opfer gebracht wird. Gegen
den entnervenden Einfluss solcher Doctrinen, denen der Begriff
der Individualität vollkommen verloren gegangen ist, möchten wir
die gegenwärtige Schrift recht dringend als das heilsamste Gegen-
gift empfehlen. Sie eignet sich für einen solchen Gebrauch eben
darum so trefflich, weilihr Verfasser mit gleich radicaler Einseitig-
keit in dem entgegengesetzten Extreme befangen ist. -- Möch-
ten von diesem edlen Geiste recht Viele lernen, die Freiheit nicht
um der Genüsse willen zu lieben, die sie verspricht, sondern um
der sittlichen Kraft willen, die sie zugleich fordert und schafft.

Breslau, 18. August 1850.

Dr. Eduard Cauer.

dass sie die Energie der Individuen möglichst steigern, ihre
Selbstthätigkeit auf recht vielfältige Weise herausfordern. In
dieser Forderung liegt eigentlich die Summe des positiven Ge-
halts der ganzen Untersuchung, und von dieser Seite ange-
sehn enthält sie eine grosse Lehre, die unter unsern heutigen
Verhältnissen mehr an ihrem Platze ist, als sie es je früher
gewesen wäre, und die von den segensreichsten Wirkungen sein
könnte, wenn die Gegenwart in demselben Maasse für dieselbe
empfänglich wäre, in dem sie ihrer bedürftig ist. Das Grund-
übel in den Wirren der letzten Jahre lag doch am Ende darin,
dass die Bestrebungen, von denen die Massen in Bewegung
gesetzt waren, das vollkommne Widerspiel des Humboldt’schen
Freiheitsideales waren. Alles lief in ihnen auf Steigerung der
Genüsse hinaus. Ein Jeder will es so bequem haben, wie
möglich. Je weiter sich die Forderungen der politischen
Schwärmer von heute und gestern von der Wirklichkeit ent-
fernen, desto bestimmter tritt dies als ihr Grundzug hervor,
und in letzter Instanz steigert sich diese Richtung zu dem
Ideale eines gesellschaftlichen Zustandes, welcher der freien
Bewegung der Individuen gar keinen Spielraum mehr lässt,
in welchem Alles von dem Allgemeinen absorbirt, die Freiheit
vollkommen der Wohlfahrt zum Opfer gebracht wird. Gegen
den entnervenden Einfluss solcher Doctrinen, denen der Begriff
der Individualität vollkommen verloren gegangen ist, möchten wir
die gegenwärtige Schrift recht dringend als das heilsamste Gegen-
gift empfehlen. Sie eignet sich für einen solchen Gebrauch eben
darum so trefflich, weilihr Verfasser mit gleich radicaler Einseitig-
keit in dem entgegengesetzten Extreme befangen ist. — Möch-
ten von diesem edlen Geiste recht Viele lernen, die Freiheit nicht
um der Genüsse willen zu lieben, die sie verspricht, sondern um
der sittlichen Kraft willen, die sie zugleich fordert und schafft.

Breslau, 18. August 1850.

Dr. Eduard Cauer.

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[XXVII/0035] dass sie die Energie der Individuen möglichst steigern, ihre Selbstthätigkeit auf recht vielfältige Weise herausfordern. In dieser Forderung liegt eigentlich die Summe des positiven Ge- halts der ganzen Untersuchung, und von dieser Seite ange- sehn enthält sie eine grosse Lehre, die unter unsern heutigen Verhältnissen mehr an ihrem Platze ist, als sie es je früher gewesen wäre, und die von den segensreichsten Wirkungen sein könnte, wenn die Gegenwart in demselben Maasse für dieselbe empfänglich wäre, in dem sie ihrer bedürftig ist. Das Grund- übel in den Wirren der letzten Jahre lag doch am Ende darin, dass die Bestrebungen, von denen die Massen in Bewegung gesetzt waren, das vollkommne Widerspiel des Humboldt’schen Freiheitsideales waren. Alles lief in ihnen auf Steigerung der Genüsse hinaus. Ein Jeder will es so bequem haben, wie möglich. Je weiter sich die Forderungen der politischen Schwärmer von heute und gestern von der Wirklichkeit ent- fernen, desto bestimmter tritt dies als ihr Grundzug hervor, und in letzter Instanz steigert sich diese Richtung zu dem Ideale eines gesellschaftlichen Zustandes, welcher der freien Bewegung der Individuen gar keinen Spielraum mehr lässt, in welchem Alles von dem Allgemeinen absorbirt, die Freiheit vollkommen der Wohlfahrt zum Opfer gebracht wird. Gegen den entnervenden Einfluss solcher Doctrinen, denen der Begriff der Individualität vollkommen verloren gegangen ist, möchten wir die gegenwärtige Schrift recht dringend als das heilsamste Gegen- gift empfehlen. Sie eignet sich für einen solchen Gebrauch eben darum so trefflich, weilihr Verfasser mit gleich radicaler Einseitig- keit in dem entgegengesetzten Extreme befangen ist. — Möch- ten von diesem edlen Geiste recht Viele lernen, die Freiheit nicht um der Genüsse willen zu lieben, die sie verspricht, sondern um der sittlichen Kraft willen, die sie zugleich fordert und schafft. Breslau, 18. August 1850. Dr. Eduard Cauer.

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. XXVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/35>, abgerufen am 19.04.2024.