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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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und alles dessen, was zur wirklichen Einrichtung der Regierung
gehört, dann die Bestimmung der Gegenstände, auf welche die
einmal eingerichtete Regierung ihre Thätigkeit zugleich aus-
breiten und einschränken muss. Dies Letztere, welches eigent-
lich in das Privatleben der Bürger eingreift und das Maass
ihrer freien, ungehemmten Wirksamkeit bestimmt, ist in der
That das wahre, letzte Ziel, das Erstere nur ein nothwendiges
Mittel, dies zu erreichen. Wenn indess dennoch der Mensch
dies Erstere mit mehr angestrengter Aufmerksamkeit verfolgt,
so bewährt er dadurch den gewöhnlichen Gang seiner Thätig-
keit. Nach Einem Ziele streben, und dies Ziel mit Aufwand
physischer und moralischer Kraft erringen, darauf beruht das
Glück des rüstigen, kraftvollen Menschen. Der Besitz, welcher
die angestrengte Kraft der Ruhe übergiebt, reizt nur in der
täuschenden Phantasie. Zwar existirt in der Lage des Menschen,
wo die Kraft immer zur Thätigkeit gespannt ist, und die Natur
um ihn her immer zur Thätigkeit reizt, Ruhe und Besitz in
diesem Verstande nur in der Idee. Allein dem einseitigen
Menschen ist Ruhe auch Aufhören Einer Aeusserung, und dem
Ungebildeten giebt Ein Gegenstand nur zu wenigen Aeusse-
rungen Stoff. Was man daher vom Ueberdruss am Besitze,
besonders im Gebiete der feineren Empfindungen, sagt, gilt
ganz und gar nicht von dem Ideale des Menschen, welches die
Phantasie zu bilden vermag, im vollesten Sinne von dem ganz
Ungebildeten, und in immer geringerem Grade, je näher immer
höhere Bildung jenem Ideale führt. Wie folglich, nach dem
Obigen, den Eroberer der Sieg höher freut, als das errungene
Land, wie den Reformator die gefahrvolle Unruhe der Refor-
mation höher, als der ruhige Genuss ihrer Früchte; so ist dem
Menschen überhaupt Herrschaft reizender, als Freiheit, oder
wenigstens Sorge für Erhaltung der Freiheit reizender, als Ge-
nuss derselben. Freiheit ist gleichsam nur die Möglichkeit einer
unbestimmt mannigfaltigen Thätigkeit; Herrschaft, Regierung

und alles dessen, was zur wirklichen Einrichtung der Regierung
gehört, dann die Bestimmung der Gegenstände, auf welche die
einmal eingerichtete Regierung ihre Thätigkeit zugleich aus-
breiten und einschränken muss. Dies Letztere, welches eigent-
lich in das Privatleben der Bürger eingreift und das Maass
ihrer freien, ungehemmten Wirksamkeit bestimmt, ist in der
That das wahre, letzte Ziel, das Erstere nur ein nothwendiges
Mittel, dies zu erreichen. Wenn indess dennoch der Mensch
dies Erstere mit mehr angestrengter Aufmerksamkeit verfolgt,
so bewährt er dadurch den gewöhnlichen Gang seiner Thätig-
keit. Nach Einem Ziele streben, und dies Ziel mit Aufwand
physischer und moralischer Kraft erringen, darauf beruht das
Glück des rüstigen, kraftvollen Menschen. Der Besitz, welcher
die angestrengte Kraft der Ruhe übergiebt, reizt nur in der
täuschenden Phantasie. Zwar existirt in der Lage des Menschen,
wo die Kraft immer zur Thätigkeit gespannt ist, und die Natur
um ihn her immer zur Thätigkeit reizt, Ruhe und Besitz in
diesem Verstande nur in der Idee. Allein dem einseitigen
Menschen ist Ruhe auch Aufhören Einer Aeusserung, und dem
Ungebildeten giebt Ein Gegenstand nur zu wenigen Aeusse-
rungen Stoff. Was man daher vom Ueberdruss am Besitze,
besonders im Gebiete der feineren Empfindungen, sagt, gilt
ganz und gar nicht von dem Ideale des Menschen, welches die
Phantasie zu bilden vermag, im vollesten Sinne von dem ganz
Ungebildeten, und in immer geringerem Grade, je näher immer
höhere Bildung jenem Ideale führt. Wie folglich, nach dem
Obigen, den Eroberer der Sieg höher freut, als das errungene
Land, wie den Reformator die gefahrvolle Unruhe der Refor-
mation höher, als der ruhige Genuss ihrer Früchte; so ist dem
Menschen überhaupt Herrschaft reizender, als Freiheit, oder
wenigstens Sorge für Erhaltung der Freiheit reizender, als Ge-
nuss derselben. Freiheit ist gleichsam nur die Möglichkeit einer
unbestimmt mannigfaltigen Thätigkeit; Herrschaft, Regierung

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[2/0038] und alles dessen, was zur wirklichen Einrichtung der Regierung gehört, dann die Bestimmung der Gegenstände, auf welche die einmal eingerichtete Regierung ihre Thätigkeit zugleich aus- breiten und einschränken muss. Dies Letztere, welches eigent- lich in das Privatleben der Bürger eingreift und das Maass ihrer freien, ungehemmten Wirksamkeit bestimmt, ist in der That das wahre, letzte Ziel, das Erstere nur ein nothwendiges Mittel, dies zu erreichen. Wenn indess dennoch der Mensch dies Erstere mit mehr angestrengter Aufmerksamkeit verfolgt, so bewährt er dadurch den gewöhnlichen Gang seiner Thätig- keit. Nach Einem Ziele streben, und dies Ziel mit Aufwand physischer und moralischer Kraft erringen, darauf beruht das Glück des rüstigen, kraftvollen Menschen. Der Besitz, welcher die angestrengte Kraft der Ruhe übergiebt, reizt nur in der täuschenden Phantasie. Zwar existirt in der Lage des Menschen, wo die Kraft immer zur Thätigkeit gespannt ist, und die Natur um ihn her immer zur Thätigkeit reizt, Ruhe und Besitz in diesem Verstande nur in der Idee. Allein dem einseitigen Menschen ist Ruhe auch Aufhören Einer Aeusserung, und dem Ungebildeten giebt Ein Gegenstand nur zu wenigen Aeusse- rungen Stoff. Was man daher vom Ueberdruss am Besitze, besonders im Gebiete der feineren Empfindungen, sagt, gilt ganz und gar nicht von dem Ideale des Menschen, welches die Phantasie zu bilden vermag, im vollesten Sinne von dem ganz Ungebildeten, und in immer geringerem Grade, je näher immer höhere Bildung jenem Ideale führt. Wie folglich, nach dem Obigen, den Eroberer der Sieg höher freut, als das errungene Land, wie den Reformator die gefahrvolle Unruhe der Refor- mation höher, als der ruhige Genuss ihrer Früchte; so ist dem Menschen überhaupt Herrschaft reizender, als Freiheit, oder wenigstens Sorge für Erhaltung der Freiheit reizender, als Ge- nuss derselben. Freiheit ist gleichsam nur die Möglichkeit einer unbestimmt mannigfaltigen Thätigkeit; Herrschaft, Regierung

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/38>, abgerufen am 16.04.2024.