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Humboldt, Alexander von: Die Insel King. In: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 67 (1810), S. 265-267, 270-272.

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[Spaltenumbruch] Geographen unter Segel gehen, und sich schnell von sei-
nem Ankerplatze entfernen; dieses Schiff hatte eben einen
von seinen großen Ankern verloren, dessen Kabeltau durch
die Felsen abgeschnitten worden war.

Jndem wir uns noch mit den englischen Officieren unter-
hielten, sahen wir den Geographen wieder erscheinen;
er warf bald Anker, aber an einer andern Stelle, als vor-
her. Unsre Lebensmittel waren erschöpft; wir warteten
mit großer Ungedult auf andre, als wir ein Fahrzeug ge-
wahr wurden, das von dem Schiffe abstieß, und seinen
Lauf nach unsern Zelten nahm. Wir glaubten Alle, es
bringe uns die Lebensmittel, die wir, wie man am Bord
des Geographen wohl wußte, dringend nöthig hatten:
wir betrogen uns ... Der Kommandant, welcher auf
dem Lande spazieren gehen wollte, hatte die Lebensmittel,
welche der Aufseher über unsern Tisch, Hr. Lharidon,
für uns bestimmt hatte, nicht in sein Boot bringen lassen
wollen: eine solche Gleichgültigkeit kränkte uns um so mehr,
da die Beschaffenheit des Himmels einen heftigen und na-
hen Sturm ankündigte; er brach in der Nacht aus und
der Geograph, nachdem er abermal seine Anker verlo-
ren hatte, war genöthigt, aufs Neue unter Segel zu ge-
hen, um sich, in der Finsterniß, gegen die Meerenge-Baß
zu flüchten. Jndem man so unter Segel ging, hatten wir
das Unglück, unsre Schaluppe zu verlieren, welche in dem
Augenblicke, wo das Kabeltau abgeschnitten wurde, bugsirt
wurde, in Stücke zerbrach, und untersank, ehe es mög-
lich gewesen war, sie wieder an Bord zu nehmen. Zu glei-
cher Zeit wurden der Träger der Ruderpinne, und die
Schülpen des Steuerruders der Corvette von der Gewalt
der Wogen zertrümmert. Der Himmel war schwarz, mit
dicken Wolken behangen; der Regen fiel in Strömen herab,
und die Stoßwinde von West-Süd-West waren so unge-
stüm, daß man alle Segel streichen, und blos mit dem
Vorstagsegel, dem großen Stagsegel und dem Besansegel
beylegen mußte.

Während daß unser Schiff soviel von dem Sturme aus-
zustehen hatte, und unter den Riffen und kleinen Eilanden
der Meerenge umher irrte, wurde unsre eigne Lage mit
jedem Augenblicke bedenklicher. Das Zelt, unter welchem
wir, die Herrn Leschenault, Lesueur und ich, wohn-
ten, war von den Windstößen in Stücke zerrissen und um-
gestürzt, und konnte uns nicht mehr vor den Regengüssen
schützen, welche Tag und Nacht auf uns eindrangen; aber
diese Unannehmlichkeit war Nichts in Vergleichung mit
dem Hunger, der uns drückte. Die Wogen brachen sich
längs des flachen Sandufers so ungestüm, daß es unmög-
lich gewesen wäre, daselbst Schalthiere zu suchen, von wel-
chen wir hätten leben können. Alle Thiere hatten sich in
ihre Lager zurückgezogen, um sich den Regenströmen zu ent-
ziehen, welche vom Himmel fielen, und es fehlte uns an
den nöthigen Mitteln, sie dorthin zu verfolgen. Wir hat-
[Spaltenumbruch] ten gar nichts mehr von Vorrath übrig, und, zu unserer
noch größern Pein, enthielt das Wasser des Baches, neben
welchem unsre Zelten aufgeschlagen waren, Eisen-Oxyd in
einem sehr starken Verhältnisse, und verdoppelte bey uns
allen den quälenden Appetit. ... Da hatten wir den
englischen Fischern unsre Rettung zu verdanken; und ohne
den großmuthigen Beystand, den sie uns leisteten, wären
wir unfehlbar die Opfer der Unvorsichtigkeit oder der Gleich-
gültigkeit unsers Kommandanten geworden.

Diese Fischer hatten ihre Wohnung auf dem Gipfel ei-
nes Hugels, an der nördlichen Spitze der Elephantenbay,
ungefähr sechs Meilen von unsern Zelten, aufgeschlagen;
sie bestand in vier Häuschen oder Hütten, welche aus
Stücken Holz gebaut waren, die man in die Erde einge-
schlagen, und gegen oben im Winkel zusammen gefügt hatte;
die Zwischenräume zwischen den Stücken Holz waren mit
einigen plumpen Rinden verschlossen. Der Anführer dieser
Fischer, der gute Cowper, hatte eines von diesen trau-
rigen Plätzchen inne, samt einer Frau von den Sandwich-
Jnseln; die er von Mowee mitgebracht hatte, und die bey
ihm die Stelle der Frau und der ersten Haushälterinn ver-
trat; in eben dieser Hütte fanden sich auch die vorzüglich-
sten gemeinschaftlichen Vorräthe, besonders an starken Ge-
tränken, beysammen. Zu den andern Häuschen wohnten
die übrigen Fischer. Ein großer Gluthaufen wurde Tag
und Nacht von dicken Baumstämmen unterhalten, und
diente zu gleicher Zeit die Menschen zu wärmen, und ihre
Speisen zu kochen. Ein großer Schoppen in der Nähe ent-
hielt eine ungeheure Menge großer, mit Thran gefüllter,
Fässer, wie auch mehrere tausend getrocknete, und zur Ab-
schickung nach Sina zugerichtete Seehunds-Häute. Zur
Seite sah man eine Art von Fleischerhaken, an welchem
fünf bis sechs Kasuare, eben so viel Känguruhe und zwey
große Wombate hingen. Ein großer Kessel mit Fleisch
von der nämlichen Gattung war eben vom Feuer genommen
worden, und verbreitete einen angenehmen Geruch.

Kaum erschienen wir unter diesen Fischern, so überhäuf-
ten uns diese guten Leute mit Beweisen von Theilnahme
und Wohlwollen; ihr Oberhaupt führte uns in seine be-
reicherte Wohnung, und hier ließ er uns, auf einer Art
von Tischgestelle, eine Mahlzeit auftragen, die wir für vor-
trefflich hielten. Diese Massen von verschiedenem, wirklich
köstlichem, in seinem Safte gekochtem Fleische gewährte
eine schmackhafte Nahrung, obschon man es übrigens ohne
Brot, ohne Zwieback und ohne irgend eine andre ähnliche
Substanz essen mußte. Eine solche Lebensart, so sonderbar
sie Anfangs scheinen mag, ist nichts desto weniger ohne
Zweifel gesund; denn alle Fischer genossen der stärksten Ge-
sundheit, ungeachtet der Beschwerlichkeiten, welche sie aus-
stehen mußten, ungeachtet der feuchten und kalten Tempe-
ratur der Jnsel, die sie bewohnten, und der verdorbenen
Luft, welche sie in ihren Hütten einathmeten.

[Spaltenumbruch] Geographen unter Segel gehen, und ſich ſchnell von ſei-
nem Ankerplatze entfernen; dieſes Schiff hatte eben einen
von ſeinen großen Ankern verloren, deſſen Kabeltau durch
die Felſen abgeſchnitten worden war.

Jndem wir uns noch mit den engliſchen Officieren unter-
hielten, ſahen wir den Geographen wieder erſcheinen;
er warf bald Anker, aber an einer andern Stelle, als vor-
her. Unſre Lebensmittel waren erſchöpft; wir warteten
mit großer Ungedult auf andre, als wir ein Fahrzeug ge-
wahr wurden, das von dem Schiffe abſtieß, und ſeinen
Lauf nach unſern Zelten nahm. Wir glaubten Alle, es
bringe uns die Lebensmittel, die wir, wie man am Bord
des Geographen wohl wußte, dringend nöthig hatten:
wir betrogen uns … Der Kommandant, welcher auf
dem Lande ſpazieren gehen wollte, hatte die Lebensmittel,
welche der Aufſeher über unſern Tiſch, Hr. Lharidon,
für uns beſtimmt hatte, nicht in ſein Boot bringen laſſen
wollen: eine ſolche Gleichgültigkeit kränkte uns um ſo mehr,
da die Beſchaffenheit des Himmels einen heftigen und na-
hen Sturm ankündigte; er brach in der Nacht aus und
der Geograph, nachdem er abermal ſeine Anker verlo-
ren hatte, war genöthigt, aufs Neue unter Segel zu ge-
hen, um ſich, in der Finſterniß, gegen die Meerenge-Baß
zu flüchten. Jndem man ſo unter Segel ging, hatten wir
das Unglück, unſre Schaluppe zu verlieren, welche in dem
Augenblicke, wo das Kabeltau abgeſchnitten wurde, bugſirt
wurde, in Stücke zerbrach, und unterſank, ehe es mög-
lich geweſen war, ſie wieder an Bord zu nehmen. Zu glei-
cher Zeit wurden der Träger der Ruderpinne, und die
Schülpen des Steuerruders der Corvette von der Gewalt
der Wogen zertrümmert. Der Himmel war ſchwarz, mit
dicken Wolken behangen; der Regen fiel in Strömen herab,
und die Stoßwinde von Weſt-Süd-Weſt waren ſo unge-
ſtüm, daß man alle Segel ſtreichen, und blos mit dem
Vorſtagſegel, dem großen Stagſegel und dem Beſanſegel
beylegen mußte.

Während daß unſer Schiff ſoviel von dem Sturme aus-
zuſtehen hatte, und unter den Riffen und kleinen Eilanden
der Meerenge umher irrte, wurde unſre eigne Lage mit
jedem Augenblicke bedenklicher. Das Zelt, unter welchem
wir, die Herrn Leſchenault, Leſueur und ich, wohn-
ten, war von den Windſtößen in Stücke zerriſſen und um-
geſtürzt, und konnte uns nicht mehr vor den Regengüſſen
ſchützen, welche Tag und Nacht auf uns eindrangen; aber
dieſe Unannehmlichkeit war Nichts in Vergleichung mit
dem Hunger, der uns drückte. Die Wogen brachen ſich
längs des flachen Sandufers ſo ungeſtüm, daß es unmög-
lich geweſen wäre, daſelbſt Schalthiere zu ſuchen, von wel-
chen wir hätten leben können. Alle Thiere hatten ſich in
ihre Lager zurückgezogen, um ſich den Regenſtrömen zu ent-
ziehen, welche vom Himmel fielen, und es fehlte uns an
den nöthigen Mitteln, ſie dorthin zu verfolgen. Wir hat-
[Spaltenumbruch] ten gar nichts mehr von Vorrath übrig, und, zu unſerer
noch größern Pein, enthielt das Waſſer des Baches, neben
welchem unſre Zelten aufgeſchlagen waren, Eiſen-Oxyd in
einem ſehr ſtarken Verhältniſſe, und verdoppelte bey uns
allen den quälenden Appetit. Da hatten wir den
engliſchen Fiſchern unſre Rettung zu verdanken; und ohne
den großmuthigen Beyſtand, den ſie uns leiſteten, wären
wir unfehlbar die Opfer der Unvorſichtigkeit oder der Gleich-
gültigkeit unſers Kommandanten geworden.

Dieſe Fiſcher hatten ihre Wohnung auf dem Gipfel ei-
nes Hugels, an der nördlichen Spitze der Elephantenbay,
ungefähr ſechs Meilen von unſern Zelten, aufgeſchlagen;
ſie beſtand in vier Häuschen oder Hütten, welche aus
Stücken Holz gebaut waren, die man in die Erde einge-
ſchlagen, und gegen oben im Winkel zuſammen gefügt hatte;
die Zwiſchenräume zwiſchen den Stücken Holz waren mit
einigen plumpen Rinden verſchloſſen. Der Anführer dieſer
Fiſcher, der gute Cowper, hatte eines von dieſen trau-
rigen Plätzchen inne, ſamt einer Frau von den Sandwich-
Jnſeln; die er von Mowée mitgebracht hatte, und die bey
ihm die Stelle der Frau und der erſten Haushälterinn ver-
trat; in eben dieſer Hütte fanden ſich auch die vorzüglich-
ſten gemeinſchaftlichen Vorräthe, beſonders an ſtarken Ge-
tränken, beyſammen. Zu den andern Häuschen wohnten
die übrigen Fiſcher. Ein großer Gluthaufen wurde Tag
und Nacht von dicken Baumſtämmen unterhalten, und
diente zu gleicher Zeit die Menſchen zu wärmen, und ihre
Speiſen zu kochen. Ein großer Schoppen in der Nähe ent-
hielt eine ungeheure Menge großer, mit Thran gefüllter,
Fäſſer, wie auch mehrere tauſend getrocknete, und zur Ab-
ſchickung nach Sina zugerichtete Seehunds-Häute. Zur
Seite ſah man eine Art von Fleiſcherhaken, an welchem
fünf bis ſechs Kaſuare, eben ſo viel Känguruhe und zwey
große Wombate hingen. Ein großer Keſſel mit Fleiſch
von der nämlichen Gattung war eben vom Feuer genommen
worden, und verbreitete einen angenehmen Geruch.

Kaum erſchienen wir unter dieſen Fiſchern, ſo überhäuf-
ten uns dieſe guten Leute mit Beweiſen von Theilnahme
und Wohlwollen; ihr Oberhaupt führte uns in ſeine be-
reicherte Wohnung, und hier ließ er uns, auf einer Art
von Tiſchgeſtelle, eine Mahlzeit auftragen, die wir für vor-
trefflich hielten. Dieſe Maſſen von verſchiedenem, wirklich
köſtlichem, in ſeinem Safte gekochtem Fleiſche gewährte
eine ſchmackhafte Nahrung, obſchon man es übrigens ohne
Brot, ohne Zwieback und ohne irgend eine andre ähnliche
Subſtanz eſſen mußte. Eine ſolche Lebensart, ſo ſonderbar
ſie Anfangs ſcheinen mag, iſt nichts deſto weniger ohne
Zweifel geſund; denn alle Fiſcher genoſſen der ſtärkſten Ge-
ſundheit, ungeachtet der Beſchwerlichkeiten, welche ſie aus-
ſtehen mußten, ungeachtet der feuchten und kalten Tempe-
ratur der Jnſel, die ſie bewohnten, und der verdorbenen
Luft, welche ſie in ihren Hütten einathmeten.

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Dieſe Fiſcher hatten ihre Wohnung auf dem Gipfel ei- nes Hugels, an der nördlichen Spitze der Elephantenbay, ungefähr ſechs Meilen von unſern Zelten, aufgeſchlagen; ſie beſtand in vier Häuschen oder Hütten, welche aus Stücken Holz gebaut waren, die man in die Erde einge- ſchlagen, und gegen oben im Winkel zuſammen gefügt hatte; die Zwiſchenräume zwiſchen den Stücken Holz waren mit einigen plumpen Rinden verſchloſſen. Der Anführer dieſer Fiſcher, der gute Cowper, hatte eines von dieſen trau- rigen Plätzchen inne, ſamt einer Frau von den Sandwich- Jnſeln; die er von Mowée mitgebracht hatte, und die bey ihm die Stelle der Frau und der erſten Haushälterinn ver- trat; in eben dieſer Hütte fanden ſich auch die vorzüglich- ſten gemeinſchaftlichen Vorräthe, beſonders an ſtarken Ge- tränken, beyſammen. Zu den andern Häuschen wohnten die übrigen Fiſcher. Ein großer Gluthaufen wurde Tag und Nacht von dicken Baumſtämmen unterhalten, und diente zu gleicher Zeit die Menſchen zu wärmen, und ihre Speiſen zu kochen. Ein großer Schoppen in der Nähe ent- hielt eine ungeheure Menge großer, mit Thran gefüllter, Fäſſer, wie auch mehrere tauſend getrocknete, und zur Ab- ſchickung nach Sina zugerichtete Seehunds-Häute. Zur Seite ſah man eine Art von Fleiſcherhaken, an welchem fünf bis ſechs Kaſuare, eben ſo viel Känguruhe und zwey große Wombate hingen. Ein großer Keſſel mit Fleiſch von der nämlichen Gattung war eben vom Feuer genommen worden, und verbreitete einen angenehmen Geruch. Kaum erſchienen wir unter dieſen Fiſchern, ſo überhäuf- ten uns dieſe guten Leute mit Beweiſen von Theilnahme und Wohlwollen; ihr Oberhaupt führte uns in ſeine be- reicherte Wohnung, und hier ließ er uns, auf einer Art von Tiſchgeſtelle, eine Mahlzeit auftragen, die wir für vor- trefflich hielten. Dieſe Maſſen von verſchiedenem, wirklich köſtlichem, in ſeinem Safte gekochtem Fleiſche gewährte eine ſchmackhafte Nahrung, obſchon man es übrigens ohne Brot, ohne Zwieback und ohne irgend eine andre ähnliche Subſtanz eſſen mußte. Eine ſolche Lebensart, ſo ſonderbar ſie Anfangs ſcheinen mag, iſt nichts deſto weniger ohne Zweifel geſund; denn alle Fiſcher genoſſen der ſtärkſten Ge- ſundheit, ungeachtet der Beſchwerlichkeiten, welche ſie aus- ſtehen mußten, ungeachtet der feuchten und kalten Tempe- ratur der Jnſel, die ſie bewohnten, und der verdorbenen Luft, welche ſie in ihren Hütten einathmeten.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Die Insel King. In: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 67 (1810), S. 265-267, 270-272, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_insel_1810/5>, abgerufen am 28.03.2024.