Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

Ahndung und wenigen wirklichen Beobachtungen über isolirte Naturgebiete begonnen hat, so glauben wir auch in der geschichtlichen Darstellung der Weltanschauung von einem eingeschränkten Erdraume ausgehen zu müssen. Wir wählen das Meerbecken, um welches diejenigen Völker sich bewegt haben, auf deren Wissen unsere abendländische Cultur (die einzige fast ununterbrochen fortgeschrittene) zunächst gegründet ist. Man kann die Hauptströme bezeichnen, welche die Elemente der Bildung und der erweiterten Naturansichten dem westlichen Europa zugeführt haben; aber bei der Vielfachheit dieser Ströme ist nicht ein einiger Urquell zu nennen. Tiefe Einsicht in die Kräfte der Natur, Erkenntniß der Natureinheit gehört nicht einem sogenannten Urvolke an, für welches, nach dem Wechsel historischer Ansichten, bald ein semitischer Stamm im nord-chaldäischen Arpaxad4 (Arrapachitis des Ptolemäus), bald der Stamm der Inder und Iranier im alten Zenblande5 am Quellgebiet des Oxus und Jaxartes ausgegeben wurden. Die Geschichte, so weit sie durch menschliche Zeugnisse begründet ist, kennt kein Urvolk, keinen einigen ersten Sitz der Cultur, keine Urphysik, oder Naturweisheit, deren Glanz durch die sündige Barbarei späterer Jahrhunderte verdunkelt worden wäre. Der Geschichtsforscher durchbricht die vielen über einander gelagerten Nebelschichten symbolisirender Mythen, um auf den festen Boden zu gelangen, wo sich die ersten Keime menschlicher Gesittung nach natürlichen Gesetzen entwickelt haben. Im grauen Alterthume, gleichsam am äußersten Horizont des wahrhaft historischen Wissens, erblicken wir schon gleichzeitig mehrere leuchtende Punkte, Centra der Cultur, die gegen einander strahlen: so Aegypten, auf das wenigste

Ahndung und wenigen wirklichen Beobachtungen über isolirte Naturgebiete begonnen hat, so glauben wir auch in der geschichtlichen Darstellung der Weltanschauung von einem eingeschränkten Erdraume ausgehen zu müssen. Wir wählen das Meerbecken, um welches diejenigen Völker sich bewegt haben, auf deren Wissen unsere abendländische Cultur (die einzige fast ununterbrochen fortgeschrittene) zunächst gegründet ist. Man kann die Hauptströme bezeichnen, welche die Elemente der Bildung und der erweiterten Naturansichten dem westlichen Europa zugeführt haben; aber bei der Vielfachheit dieser Ströme ist nicht ein einiger Urquell zu nennen. Tiefe Einsicht in die Kräfte der Natur, Erkenntniß der Natureinheit gehört nicht einem sogenannten Urvolke an, für welches, nach dem Wechsel historischer Ansichten, bald ein semitischer Stamm im nord-chaldäischen Arpaxad4 (Arrapachitis des Ptolemäus), bald der Stamm der Inder und Iranier im alten Zenblande5 am Quellgebiet des Oxus und Jaxartes ausgegeben wurden. Die Geschichte, so weit sie durch menschliche Zeugnisse begründet ist, kennt kein Urvolk, keinen einigen ersten Sitz der Cultur, keine Urphysik, oder Naturweisheit, deren Glanz durch die sündige Barbarei späterer Jahrhunderte verdunkelt worden wäre. Der Geschichtsforscher durchbricht die vielen über einander gelagerten Nebelschichten symbolisirender Mythen, um auf den festen Boden zu gelangen, wo sich die ersten Keime menschlicher Gesittung nach natürlichen Gesetzen entwickelt haben. Im grauen Alterthume, gleichsam am äußersten Horizont des wahrhaft historischen Wissens, erblicken wir schon gleichzeitig mehrere leuchtende Punkte, Centra der Cultur, die gegen einander strahlen: so Aegypten, auf das wenigste

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0151" n="146"/>
Ahndung und wenigen wirklichen Beobachtungen über isolirte Naturgebiete begonnen hat, so glauben wir auch in der geschichtlichen Darstellung der Weltanschauung von einem eingeschränkten Erdraume ausgehen zu müssen. Wir wählen das Meerbecken, um welches diejenigen Völker sich bewegt haben, auf deren Wissen unsere abendländische Cultur (die einzige fast ununterbrochen fortgeschrittene) zunächst gegründet ist. Man kann die Hauptströme bezeichnen, welche die Elemente der Bildung und der erweiterten Naturansichten dem westlichen Europa zugeführt haben; aber bei der Vielfachheit dieser Ströme ist nicht ein einiger Urquell zu nennen. Tiefe Einsicht in die Kräfte der Natur, Erkenntniß der Natureinheit gehört nicht einem sogenannten <hi rendition="#g">Urvolke</hi> an, für welches, nach dem Wechsel historischer Ansichten, bald ein semitischer Stamm im nord-chaldäischen Arpaxad<note xml:id="ftn143" next="ftn143-text" place="end" n="4"/> (Arrapachitis des Ptolemäus), bald der Stamm der Inder und Iranier im alten Zenblande<note xml:id="ftn144" next="ftn144-text" place="end" n="5"/> am Quellgebiet des Oxus und Jaxartes ausgegeben wurden. Die Geschichte, so weit sie durch menschliche Zeugnisse begründet ist, kennt kein <hi rendition="#g">Urvolk,</hi> keinen einigen ersten Sitz der Cultur, keine <hi rendition="#g">Urphysik,</hi> oder Naturweisheit, deren Glanz durch die sündige Barbarei späterer Jahrhunderte verdunkelt worden wäre. Der Geschichtsforscher durchbricht die vielen über einander gelagerten Nebelschichten symbolisirender Mythen, um auf den festen Boden zu gelangen, wo sich die ersten Keime menschlicher Gesittung nach natürlichen Gesetzen entwickelt haben. Im grauen Alterthume, gleichsam am äußersten Horizont des wahrhaft historischen Wissens, erblicken wir schon gleichzeitig mehrere leuchtende Punkte, Centra der Cultur, die gegen einander strahlen: so Aegypten, auf das wenigste
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0151] Ahndung und wenigen wirklichen Beobachtungen über isolirte Naturgebiete begonnen hat, so glauben wir auch in der geschichtlichen Darstellung der Weltanschauung von einem eingeschränkten Erdraume ausgehen zu müssen. Wir wählen das Meerbecken, um welches diejenigen Völker sich bewegt haben, auf deren Wissen unsere abendländische Cultur (die einzige fast ununterbrochen fortgeschrittene) zunächst gegründet ist. Man kann die Hauptströme bezeichnen, welche die Elemente der Bildung und der erweiterten Naturansichten dem westlichen Europa zugeführt haben; aber bei der Vielfachheit dieser Ströme ist nicht ein einiger Urquell zu nennen. Tiefe Einsicht in die Kräfte der Natur, Erkenntniß der Natureinheit gehört nicht einem sogenannten Urvolke an, für welches, nach dem Wechsel historischer Ansichten, bald ein semitischer Stamm im nord-chaldäischen Arpaxad ⁴ (Arrapachitis des Ptolemäus), bald der Stamm der Inder und Iranier im alten Zenblande ⁵ am Quellgebiet des Oxus und Jaxartes ausgegeben wurden. Die Geschichte, so weit sie durch menschliche Zeugnisse begründet ist, kennt kein Urvolk, keinen einigen ersten Sitz der Cultur, keine Urphysik, oder Naturweisheit, deren Glanz durch die sündige Barbarei späterer Jahrhunderte verdunkelt worden wäre. Der Geschichtsforscher durchbricht die vielen über einander gelagerten Nebelschichten symbolisirender Mythen, um auf den festen Boden zu gelangen, wo sich die ersten Keime menschlicher Gesittung nach natürlichen Gesetzen entwickelt haben. Im grauen Alterthume, gleichsam am äußersten Horizont des wahrhaft historischen Wissens, erblicken wir schon gleichzeitig mehrere leuchtende Punkte, Centra der Cultur, die gegen einander strahlen: so Aegypten, auf das wenigste

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen (2013-04-18T11:04:31Z)



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/151
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/151>, abgerufen am 16.04.2024.