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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

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fünftausend Jahre vor unserer Zeitrechnung6; Babylon, Ninive, Kaschmir, Iran, und China seit der ersten Colonie, die vom nordöstlichen Abfall des Kuen-lün her in das untere Flußthal des Hoangho eingewandert war. Diese Centralpunkte erinnern unwillkührlich an die größeren unter den funkelnden Sternen des Firmaments, an die ewigen Sonnen der Himmelsräume, von denen wir wohl die Stärke des Glanzes, nicht aber, einige wenige7 ausgenommen, die relative Entfernung von unserem Planeten kennen.

Eine dem ersten Menschenstamme geoffenbarte Urphysik, eine durch Cultur verdunkelte Naturweisheit wilder Völker gehört einer Sphäre des Wissens oder vielmehr des Glaubens an, welche dem Gegenstande dieses Werkes fremd bleibt. Wir finden einen solchen Glauben indeß schon tief in der ältesten indischen Lehre Krischna's8 gewurzelt. "Die Wahrheit soll ursprünglich in den Menschen gelegt, aber allmälig eingeschläfert und vergessen worden sein; die Erkenntniß kehrt wie eine Erinnerung zurück." Wir lassen es gern unentschieden, ob die Volksstämme, die wir gegenwärtig Wilde nennen, alle im Zustande ursprünglich natürlicher Roheit sind; ob nicht viele unter ihnen, wie der Bau ihrer Sprachen es oft vermuthen läßt, verwilderte Stämme, gleichsam zerstreute Trümmer aus den Schiffbrüchen einer früh untergegangenen Cultur sind. Ein naher Umgang mit diesen sogenannten Naturmenschen lehrt nichts von dem, was die Liebe zum Wunderbaren von einer gewissen Ueberlegenheit roher Völker in der Kenntniß der Erdkräfte gefabelt hat. Allerdings steigt ein dumpfes, schauervolles Gefühl von der Einheit der Naturgewalten in dem Busen des Wilden auf; aber ein solches Gefühl hat

fünftausend Jahre vor unserer Zeitrechnung6; Babylon, Ninive, Kaschmir, Iran, und China seit der ersten Colonie, die vom nordöstlichen Abfall des Kuen-lün her in das untere Flußthal des Hoangho eingewandert war. Diese Centralpunkte erinnern unwillkührlich an die größeren unter den funkelnden Sternen des Firmaments, an die ewigen Sonnen der Himmelsräume, von denen wir wohl die Stärke des Glanzes, nicht aber, einige wenige7 ausgenommen, die relative Entfernung von unserem Planeten kennen.

Eine dem ersten Menschenstamme geoffenbarte Urphysik, eine durch Cultur verdunkelte Naturweisheit wilder Völker gehört einer Sphäre des Wissens oder vielmehr des Glaubens an, welche dem Gegenstande dieses Werkes fremd bleibt. Wir finden einen solchen Glauben indeß schon tief in der ältesten indischen Lehre Krischna's8 gewurzelt. „Die Wahrheit soll ursprünglich in den Menschen gelegt, aber allmälig eingeschläfert und vergessen worden sein; die Erkenntniß kehrt wie eine Erinnerung zurück." Wir lassen es gern unentschieden, ob die Volksstämme, die wir gegenwärtig Wilde nennen, alle im Zustande ursprünglich natürlicher Roheit sind; ob nicht viele unter ihnen, wie der Bau ihrer Sprachen es oft vermuthen läßt, verwilderte Stämme, gleichsam zerstreute Trümmer aus den Schiffbrüchen einer früh untergegangenen Cultur sind. Ein naher Umgang mit diesen sogenannten Naturmenschen lehrt nichts von dem, was die Liebe zum Wunderbaren von einer gewissen Ueberlegenheit roher Völker in der Kenntniß der Erdkräfte gefabelt hat. Allerdings steigt ein dumpfes, schauervolles Gefühl von der Einheit der Naturgewalten in dem Busen des Wilden auf; aber ein solches Gefühl hat

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[147/0152] fünftausend Jahre vor unserer Zeitrechnung ⁶ ; Babylon, Ninive, Kaschmir, Iran, und China seit der ersten Colonie, die vom nordöstlichen Abfall des Kuen-lün her in das untere Flußthal des Hoangho eingewandert war. Diese Centralpunkte erinnern unwillkührlich an die größeren unter den funkelnden Sternen des Firmaments, an die ewigen Sonnen der Himmelsräume, von denen wir wohl die Stärke des Glanzes, nicht aber, einige wenige ⁷ ausgenommen, die relative Entfernung von unserem Planeten kennen. Eine dem ersten Menschenstamme geoffenbarte Urphysik, eine durch Cultur verdunkelte Naturweisheit wilder Völker gehört einer Sphäre des Wissens oder vielmehr des Glaubens an, welche dem Gegenstande dieses Werkes fremd bleibt. Wir finden einen solchen Glauben indeß schon tief in der ältesten indischen Lehre Krischna's ⁸ gewurzelt. „Die Wahrheit soll ursprünglich in den Menschen gelegt, aber allmälig eingeschläfert und vergessen worden sein; die Erkenntniß kehrt wie eine Erinnerung zurück." Wir lassen es gern unentschieden, ob die Volksstämme, die wir gegenwärtig Wilde nennen, alle im Zustande ursprünglich natürlicher Roheit sind; ob nicht viele unter ihnen, wie der Bau ihrer Sprachen es oft vermuthen läßt, verwilderte Stämme, gleichsam zerstreute Trümmer aus den Schiffbrüchen einer früh untergegangenen Cultur sind. Ein naher Umgang mit diesen sogenannten Naturmenschen lehrt nichts von dem, was die Liebe zum Wunderbaren von einer gewissen Ueberlegenheit roher Völker in der Kenntniß der Erdkräfte gefabelt hat. Allerdings steigt ein dumpfes, schauervolles Gefühl von der Einheit der Naturgewalten in dem Busen des Wilden auf; aber ein solches Gefühl hat

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/152>, abgerufen am 25.04.2024.