Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

Zügen geschildert, so mußten wir jetzt auch an die Jahrtausende erinnern, um welche die menschliche Cultur im Nilthal der von Hellas vorangegangen ist. Ohne diese simultanen Beziehungen von Raum und Zeit können wir, nach der inneren Natur der Gedankenwelt, uns kein klares und befriedigendes Geschichtsbild entwerfen.

Die Cultur im Nilthale, früh durch geistiges Bedürfniß, durch eine sonderbare physische Beschaffenheit des Landes, durch priesterliche und politische Einrichtungen erweckt und unfrei gemodelt, hat, wie überall auf dem Erdboden, zum Contact mit fremden Völkern, zu fernen Heerzügen und Ansiedelungen angeregt. Was aber Geschichte und Denkmäler uns darüber aufbewahrt haben, bezeugt vorübergehende Eroberungen auf dem Landwege und wenig ausgedehnte eigene Schifffahrt. Ein so altes und mächtiges Culturvolk scheint weniger dauernd nach außen gewirkt zu haben als andere vielbewegte kleinere Volksstämme. Die lange Arbeit seiner Nationalbildung, mehr den Massen als den Individuen gedeihlich, ist wie räumlich abgeschieden und deshalb für die Erweiterung kosmischer Ansichten wahrscheinlich unfruchtbarer geblieben. Ramses-Miamen (von 1388 bis 1322 vor Chr., also volle 600 Jahre vor der ersten Olympiade des Koröbus) unternahm weite Heerzüge: nach Herodot "in Aethiopien (wo seine südlichsten Bauwerke Lepsius am Berg Barkal fand), durch das palästinische Syrien, von Kleinasien nach Europa übersetzend, zu den Scythen, Thraciern, endlich nach Kolchis und an den Phasis-Strom, wo von seinen Soldaten des Herumziehens müde Ansiedler zurückblieben. Auch habe Ramses zuerst, sagten die Priester, mit langen Schiffen die Küstenbewohner

Zügen geschildert, so mußten wir jetzt auch an die Jahrtausende erinnern, um welche die menschliche Cultur im Nilthal der von Hellas vorangegangen ist. Ohne diese simultanen Beziehungen von Raum und Zeit können wir, nach der inneren Natur der Gedankenwelt, uns kein klares und befriedigendes Geschichtsbild entwerfen.

Die Cultur im Nilthale, früh durch geistiges Bedürfniß, durch eine sonderbare physische Beschaffenheit des Landes, durch priesterliche und politische Einrichtungen erweckt und unfrei gemodelt, hat, wie überall auf dem Erdboden, zum Contact mit fremden Völkern, zu fernen Heerzügen und Ansiedelungen angeregt. Was aber Geschichte und Denkmäler uns darüber aufbewahrt haben, bezeugt vorübergehende Eroberungen auf dem Landwege und wenig ausgedehnte eigene Schifffahrt. Ein so altes und mächtiges Culturvolk scheint weniger dauernd nach außen gewirkt zu haben als andere vielbewegte kleinere Volksstämme. Die lange Arbeit seiner Nationalbildung, mehr den Massen als den Individuen gedeihlich, ist wie räumlich abgeschieden und deshalb für die Erweiterung kosmischer Ansichten wahrscheinlich unfruchtbarer geblieben. Ramses-Miamen (von 1388 bis 1322 vor Chr., also volle 600 Jahre vor der ersten Olympiade des Koröbus) unternahm weite Heerzüge: nach Herodot „in Aethiopien (wo seine südlichsten Bauwerke Lepsius am Berg Barkal fand), durch das palästinische Syrien, von Kleinasien nach Europa übersetzend, zu den Scythen, Thraciern, endlich nach Kolchis und an den Phasis-Strom, wo von seinen Soldaten des Herumziehens müde Ansiedler zurückblieben. Auch habe Ramses zuerst, sagten die Priester, mit langen Schiffen die Küstenbewohner

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0163" n="158"/>
Zügen geschildert, so mußten wir jetzt auch an die Jahrtausende erinnern, um welche die menschliche Cultur im Nilthal der von Hellas vorangegangen ist. Ohne diese simultanen Beziehungen von <hi rendition="#g">Raum</hi> und <hi rendition="#g">Zeit</hi> können wir, nach der inneren Natur der Gedankenwelt, uns kein klares und befriedigendes Geschichtsbild entwerfen.</p>
              <p>Die Cultur im Nilthale, früh durch geistiges Bedürfniß, durch eine sonderbare physische Beschaffenheit des Landes, durch priesterliche und politische Einrichtungen erweckt und unfrei gemodelt, hat, wie überall auf dem Erdboden, zum Contact mit fremden Völkern, zu fernen Heerzügen und Ansiedelungen angeregt. Was aber Geschichte und Denkmäler uns darüber aufbewahrt haben, bezeugt vorübergehende Eroberungen auf dem Landwege und wenig ausgedehnte <hi rendition="#g">eigene</hi> Schifffahrt. Ein so altes und mächtiges Culturvolk scheint weniger dauernd nach außen gewirkt zu haben als andere vielbewegte kleinere Volksstämme. Die lange Arbeit seiner Nationalbildung, mehr den Massen als den Individuen gedeihlich, ist wie räumlich abgeschieden und deshalb für die Erweiterung kosmischer Ansichten wahrscheinlich unfruchtbarer geblieben. Ramses-Miamen (von 1388 bis 1322 vor Chr., also volle 600 Jahre vor der ersten Olympiade des Koröbus) unternahm weite Heerzüge: nach Herodot &#x201E;in Aethiopien (wo seine südlichsten Bauwerke Lepsius am Berg Barkal fand), durch das palästinische Syrien, von Kleinasien nach Europa übersetzend, zu den Scythen, Thraciern, endlich nach Kolchis und an den Phasis-Strom, wo von seinen Soldaten des Herumziehens müde Ansiedler zurückblieben. Auch habe Ramses zuerst, sagten die Priester, mit langen Schiffen die Küstenbewohner
</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0163] Zügen geschildert, so mußten wir jetzt auch an die Jahrtausende erinnern, um welche die menschliche Cultur im Nilthal der von Hellas vorangegangen ist. Ohne diese simultanen Beziehungen von Raum und Zeit können wir, nach der inneren Natur der Gedankenwelt, uns kein klares und befriedigendes Geschichtsbild entwerfen. Die Cultur im Nilthale, früh durch geistiges Bedürfniß, durch eine sonderbare physische Beschaffenheit des Landes, durch priesterliche und politische Einrichtungen erweckt und unfrei gemodelt, hat, wie überall auf dem Erdboden, zum Contact mit fremden Völkern, zu fernen Heerzügen und Ansiedelungen angeregt. Was aber Geschichte und Denkmäler uns darüber aufbewahrt haben, bezeugt vorübergehende Eroberungen auf dem Landwege und wenig ausgedehnte eigene Schifffahrt. Ein so altes und mächtiges Culturvolk scheint weniger dauernd nach außen gewirkt zu haben als andere vielbewegte kleinere Volksstämme. Die lange Arbeit seiner Nationalbildung, mehr den Massen als den Individuen gedeihlich, ist wie räumlich abgeschieden und deshalb für die Erweiterung kosmischer Ansichten wahrscheinlich unfruchtbarer geblieben. Ramses-Miamen (von 1388 bis 1322 vor Chr., also volle 600 Jahre vor der ersten Olympiade des Koröbus) unternahm weite Heerzüge: nach Herodot „in Aethiopien (wo seine südlichsten Bauwerke Lepsius am Berg Barkal fand), durch das palästinische Syrien, von Kleinasien nach Europa übersetzend, zu den Scythen, Thraciern, endlich nach Kolchis und an den Phasis-Strom, wo von seinen Soldaten des Herumziehens müde Ansiedler zurückblieben. Auch habe Ramses zuerst, sagten die Priester, mit langen Schiffen die Küstenbewohner

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen (2013-04-18T11:04:31Z)



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/163
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/163>, abgerufen am 25.04.2024.