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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

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Einsamkeit und dem Landleben ergeben, gefühlvoll und darum einfach, aus eigener Quelle schöpften. Elegien31 müssen freilich als Sittenbilder betrachtet werden, in welchen die Landschaft den Hintergrund bildet; aber die Feldweihe und die 6te Elegie des ersten Buches lehren, was von Horazens und Messala's Freund wäre zu erwarten gewesen.

Lucanus, der Enkel des Rhetors M. Annäus Seneca, ist diesem freilich durch rednerischen Schmuck der Diction nur zu sehr verwandt; doch finden wir bei ihm ein vortreffliches und naturwahres Gemälde von der Zerstörung des Druidenwaldes32 an dem jetzt baumlosen Gestade von Marseille. Die gefällten Eichenstämme erhalten sich schwebend an einander gelehnt; entblättert lassen sie den ersten Lichtstrahl in das schauervolle, heilige Dunkel dringen. Wer lange in den Wäldern der Neuen Welt gelebt, fühlt, wie lebendig mit wenigen Zügen der Dichter die Ueppigkeit eines Baumwuchses schildert, dessen riesenmäßige Reste noch in einigen Torfmooren von Frankreich begraben liegen33. In dem didactischen Gedichte Aetna des Lucilius Junior, eines Freundes des L. Annäus Seneca, sind allerdings die Ausbruchserscheinungen eines Vulkans mit Wahrheit geschildert; aber die Auffassung ist ohne Individualität, mit viel minderer, als wir schon oben34 an dem Aetna, dialogus, des jungen Bembo gerühmt haben.

Als endlich die Dichtkunst in ihren großen und edelsten Formen, wie erschöpft, dahinwelkte, seit der zweiten Hälfte des 4ten Jahrhunderts, waren die poetischen Bestrebungen, vom Zauber schöpferischer Phantasie entblößt, auf die nüchternen Realitäten des Wissens und des Beschreibens gerichtet. Eine gewisse rednerische Ausbildung

Einsamkeit und dem Landleben ergeben, gefühlvoll und darum einfach, aus eigener Quelle schöpften. Elegien31 müssen freilich als Sittenbilder betrachtet werden, in welchen die Landschaft den Hintergrund bildet; aber die Feldweihe und die 6te Elegie des ersten Buches lehren, was von Horazens und Messala's Freund wäre zu erwarten gewesen.

Lucanus, der Enkel des Rhetors M. Annäus Seneca, ist diesem freilich durch rednerischen Schmuck der Diction nur zu sehr verwandt; doch finden wir bei ihm ein vortreffliches und naturwahres Gemälde von der Zerstörung des Druidenwaldes32 an dem jetzt baumlosen Gestade von Marseille. Die gefällten Eichenstämme erhalten sich schwebend an einander gelehnt; entblättert lassen sie den ersten Lichtstrahl in das schauervolle, heilige Dunkel dringen. Wer lange in den Wäldern der Neuen Welt gelebt, fühlt, wie lebendig mit wenigen Zügen der Dichter die Ueppigkeit eines Baumwuchses schildert, dessen riesenmäßige Reste noch in einigen Torfmooren von Frankreich begraben liegen33. In dem didactischen Gedichte Aetna des Lucilius Junior, eines Freundes des L. Annäus Seneca, sind allerdings die Ausbruchserscheinungen eines Vulkans mit Wahrheit geschildert; aber die Auffassung ist ohne Individualität, mit viel minderer, als wir schon oben34 an dem Aetna, dialogus, des jungen Bembo gerühmt haben.

Als endlich die Dichtkunst in ihren großen und edelsten Formen, wie erschöpft, dahinwelkte, seit der zweiten Hälfte des 4ten Jahrhunderts, waren die poetischen Bestrebungen, vom Zauber schöpferischer Phantasie entblößt, auf die nüchternen Realitäten des Wissens und des Beschreibens gerichtet. Eine gewisse rednerische Ausbildung

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[21/0026] Einsamkeit und dem Landleben ergeben, gefühlvoll und darum einfach, aus eigener Quelle schöpften. Elegien ³¹ müssen freilich als Sittenbilder betrachtet werden, in welchen die Landschaft den Hintergrund bildet; aber die Feldweihe und die 6te Elegie des ersten Buches lehren, was von Horazens und Messala's Freund wäre zu erwarten gewesen. Lucanus, der Enkel des Rhetors M. Annäus Seneca, ist diesem freilich durch rednerischen Schmuck der Diction nur zu sehr verwandt; doch finden wir bei ihm ein vortreffliches und naturwahres Gemälde von der Zerstörung des Druidenwaldes ³² an dem jetzt baumlosen Gestade von Marseille. Die gefällten Eichenstämme erhalten sich schwebend an einander gelehnt; entblättert lassen sie den ersten Lichtstrahl in das schauervolle, heilige Dunkel dringen. Wer lange in den Wäldern der Neuen Welt gelebt, fühlt, wie lebendig mit wenigen Zügen der Dichter die Ueppigkeit eines Baumwuchses schildert, dessen riesenmäßige Reste noch in einigen Torfmooren von Frankreich begraben liegen ³³ . In dem didactischen Gedichte Aetna des Lucilius Junior, eines Freundes des L. Annäus Seneca, sind allerdings die Ausbruchserscheinungen eines Vulkans mit Wahrheit geschildert; aber die Auffassung ist ohne Individualität, mit viel minderer, als wir schon oben ³⁴ an dem Aetna, dialogus, des jungen Bembo gerühmt haben. Als endlich die Dichtkunst in ihren großen und edelsten Formen, wie erschöpft, dahinwelkte, seit der zweiten Hälfte des 4ten Jahrhunderts, waren die poetischen Bestrebungen, vom Zauber schöpferischer Phantasie entblößt, auf die nüchternen Realitäten des Wissens und des Beschreibens gerichtet. Eine gewisse rednerische Ausbildung

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/26>, abgerufen am 18.04.2024.