Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

zu Liternum hatte der ältere Scipio festungsartig mit Thürmen umgeben. Der Name eines Freundes des Augustus (Matius) ist uns aufbewahrt, weil er, Zwang und Unnatur liebend, zuerst die Sitte des Beschneidens der Bäume aufbrachte, um sie nach architectonischen und plastischen Vorbildern kunstmäßig umzuformen. Die Briefe des jüngeren Plinius liefern uns anmuthige Beschreibungen zweier38 seiner zahlreichen Villen (Laurentinum und Tuscum). Wenn man auch in beiden der Baulichkeiten, von beschnittenem Buxus umgeben, mehr zusammengedrängt findet, als nach unserm Naturgefühl zu wünschen wäre; so beweisen doch diese Schilderungen, wie die Nachahmung des Thals von Tempe in der tiburtinischen Villa des Hadrian, daß, neben der Liebe zur Kunst, neben der ängstlichsten Sorgfalt für Behaglichkeit durch Stellung der Landhäuser nach Verhältniß zur Sonne und zu vorherrschenden Winden, auch Liebe zu freiem Genuß der Natur den römischen Stadtbewohnern nicht fremd war. Mit Freude setzen wir hinzu, daß dieser Genuß auf den Landgütern des Plinius durch den widrigen Anblick des Sklavenelendes minder gestört war. Der reiche Mann war nicht bloß einer der gelehrtesten seiner Zeit, er hatte auch, was im Alterthum wenigstens selten ausgedrückt ist, rein menschliche Gefühle des Mitleids für die unfreien unteren Volksclassen. Auf den Villen des jüngeren Plinius gab es keine Fesseln, der Sklave als Landbauer vererbte frei, was er sich erworben.39

Von dem ewigen Schnee der Alpen, wenn sie sich am Abend oder am frühen Morgen röthen, von der Schönheit des blauen Gletschereises, von der großartigen Natur der schweizerischen Landschaft ist keine Schilderung aus dem

zu Liternum hatte der ältere Scipio festungsartig mit Thürmen umgeben. Der Name eines Freundes des Augustus (Matius) ist uns aufbewahrt, weil er, Zwang und Unnatur liebend, zuerst die Sitte des Beschneidens der Bäume aufbrachte, um sie nach architectonischen und plastischen Vorbildern kunstmäßig umzuformen. Die Briefe des jüngeren Plinius liefern uns anmuthige Beschreibungen zweier38 seiner zahlreichen Villen (Laurentinum und Tuscum). Wenn man auch in beiden der Baulichkeiten, von beschnittenem Buxus umgeben, mehr zusammengedrängt findet, als nach unserm Naturgefühl zu wünschen wäre; so beweisen doch diese Schilderungen, wie die Nachahmung des Thals von Tempe in der tiburtinischen Villa des Hadrian, daß, neben der Liebe zur Kunst, neben der ängstlichsten Sorgfalt für Behaglichkeit durch Stellung der Landhäuser nach Verhältniß zur Sonne und zu vorherrschenden Winden, auch Liebe zu freiem Genuß der Natur den römischen Stadtbewohnern nicht fremd war. Mit Freude setzen wir hinzu, daß dieser Genuß auf den Landgütern des Plinius durch den widrigen Anblick des Sklavenelendes minder gestört war. Der reiche Mann war nicht bloß einer der gelehrtesten seiner Zeit, er hatte auch, was im Alterthum wenigstens selten ausgedrückt ist, rein menschliche Gefühle des Mitleids für die unfreien unteren Volksclassen. Auf den Villen des jüngeren Plinius gab es keine Fesseln, der Sklave als Landbauer vererbte frei, was er sich erworben.39

Von dem ewigen Schnee der Alpen, wenn sie sich am Abend oder am frühen Morgen röthen, von der Schönheit des blauen Gletschereises, von der großartigen Natur der schweizerischen Landschaft ist keine Schilderung aus dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0029" n="24"/>
zu Liternum hatte der ältere Scipio festungsartig mit Thürmen umgeben. Der Name eines Freundes des Augustus (Matius) ist uns aufbewahrt, weil er, Zwang und Unnatur liebend, zuerst die Sitte des Beschneidens der Bäume aufbrachte, um sie nach architectonischen und plastischen Vorbildern kunstmäßig umzuformen. Die Briefe des jüngeren Plinius liefern uns anmuthige Beschreibungen zweier<note xml:id="ftn37" next="ftn37-text" place="end" n="38"/> seiner zahlreichen Villen (Laurentinum und Tuscum). Wenn man auch in beiden der Baulichkeiten, von beschnittenem Buxus umgeben, mehr zusammengedrängt findet, als nach unserm Naturgefühl zu wünschen wäre; so beweisen doch diese Schilderungen, wie die Nachahmung des Thals von Tempe in der tiburtinischen Villa des Hadrian, daß, neben der Liebe zur Kunst, neben der ängstlichsten Sorgfalt für Behaglichkeit durch Stellung der Landhäuser nach Verhältniß zur Sonne und zu vorherrschenden Winden, auch Liebe zu freiem Genuß der Natur den römischen Stadtbewohnern nicht fremd war. Mit Freude setzen wir hinzu, daß dieser Genuß auf den Landgütern des Plinius durch den widrigen Anblick des Sklavenelendes minder gestört war. Der reiche Mann war nicht bloß einer der gelehrtesten seiner Zeit, er hatte auch, was im Alterthum wenigstens selten ausgedrückt ist, rein menschliche Gefühle des Mitleids für die unfreien unteren Volksclassen. Auf den Villen des jüngeren Plinius gab es keine Fesseln, der Sklave als Landbauer vererbte frei, was er sich erworben.<note xml:id="ftn38" next="ftn38-text" place="end" n="39"/>          </p>
            <p>Von dem ewigen Schnee der Alpen, wenn sie sich am Abend oder am frühen Morgen röthen, von der Schönheit des blauen Gletschereises, von der großartigen Natur der schweizerischen Landschaft ist keine Schilderung aus dem
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0029] zu Liternum hatte der ältere Scipio festungsartig mit Thürmen umgeben. Der Name eines Freundes des Augustus (Matius) ist uns aufbewahrt, weil er, Zwang und Unnatur liebend, zuerst die Sitte des Beschneidens der Bäume aufbrachte, um sie nach architectonischen und plastischen Vorbildern kunstmäßig umzuformen. Die Briefe des jüngeren Plinius liefern uns anmuthige Beschreibungen zweier ³⁸ seiner zahlreichen Villen (Laurentinum und Tuscum). Wenn man auch in beiden der Baulichkeiten, von beschnittenem Buxus umgeben, mehr zusammengedrängt findet, als nach unserm Naturgefühl zu wünschen wäre; so beweisen doch diese Schilderungen, wie die Nachahmung des Thals von Tempe in der tiburtinischen Villa des Hadrian, daß, neben der Liebe zur Kunst, neben der ängstlichsten Sorgfalt für Behaglichkeit durch Stellung der Landhäuser nach Verhältniß zur Sonne und zu vorherrschenden Winden, auch Liebe zu freiem Genuß der Natur den römischen Stadtbewohnern nicht fremd war. Mit Freude setzen wir hinzu, daß dieser Genuß auf den Landgütern des Plinius durch den widrigen Anblick des Sklavenelendes minder gestört war. Der reiche Mann war nicht bloß einer der gelehrtesten seiner Zeit, er hatte auch, was im Alterthum wenigstens selten ausgedrückt ist, rein menschliche Gefühle des Mitleids für die unfreien unteren Volksclassen. Auf den Villen des jüngeren Plinius gab es keine Fesseln, der Sklave als Landbauer vererbte frei, was er sich erworben. ³⁹ Von dem ewigen Schnee der Alpen, wenn sie sich am Abend oder am frühen Morgen röthen, von der Schönheit des blauen Gletschereises, von der großartigen Natur der schweizerischen Landschaft ist keine Schilderung aus dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen (2013-04-18T11:04:31Z)



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/29
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/29>, abgerufen am 25.04.2024.