Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

nach wiederkehrenden oder leise abweichenden Typen, dar. Allverbreitet ist das furchtbare Reich der Naturmächte, welche den uralten Zwist der Elemente in der wolkenschweren Himmelsdecke wie in dem zarten Gewebe der belebten Stoffe zu bindender Eintracht lösen. Darum können alle Theile des weiten Schöpfungskreises, vom Aequator bis zur kalten Zone, überall wo der Frühling eine Knospe entfaltet, sich einer begeisternden Kraft auf das Gemüth erfreuen. Zu einem solchen Glauben ist unser deutsches Vaterland vor allem berechtigt. Wo ist das südlichere Volk, welches uns nicht den großen Meister der Dichtung beneiden sollte, dessen Werke alle ein tiefes Gefühl der Natur durchdringt: in den Leiden des jungen Werthers wie in den Erinnerungen an Italien, in der Metamorphose der Gewächse wie in seinen vermischten Gedichten? Wer hat beredter seine Zeitgenossen angeregt "des Weltalls heilige Räthsel zu lösen", das Bündniß zu erneuern, welches im Jugendalter der Menschheit Philosophie, Physik und Dichtung mit Einem Bande umschlang? wer hat mächtiger hingezogen in das ihm geistig heimische Land, wo

Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?



nach wiederkehrenden oder leise abweichenden Typen, dar. Allverbreitet ist das furchtbare Reich der Naturmächte, welche den uralten Zwist der Elemente in der wolkenschweren Himmelsdecke wie in dem zarten Gewebe der belebten Stoffe zu bindender Eintracht lösen. Darum können alle Theile des weiten Schöpfungskreises, vom Aequator bis zur kalten Zone, überall wo der Frühling eine Knospe entfaltet, sich einer begeisternden Kraft auf das Gemüth erfreuen. Zu einem solchen Glauben ist unser deutsches Vaterland vor allem berechtigt. Wo ist das südlichere Volk, welches uns nicht den großen Meister der Dichtung beneiden sollte, dessen Werke alle ein tiefes Gefühl der Natur durchdringt: in den Leiden des jungen Werthers wie in den Erinnerungen an Italien, in der Metamorphose der Gewächse wie in seinen vermischten Gedichten? Wer hat beredter seine Zeitgenossen angeregt „des Weltalls heilige Räthsel zu lösen", das Bündniß zu erneuern, welches im Jugendalter der Menschheit Philosophie, Physik und Dichtung mit Einem Bande umschlang? wer hat mächtiger hingezogen in das ihm geistig heimische Land, wo

Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0080" n="75"/>
nach wiederkehrenden oder leise abweichenden Typen, dar. Allverbreitet ist das furchtbare Reich der Naturmächte, welche den uralten Zwist der Elemente in der wolkenschweren Himmelsdecke wie in dem zarten Gewebe der belebten Stoffe zu bindender Eintracht lösen. Darum können alle Theile des weiten Schöpfungskreises, vom Aequator bis zur kalten Zone, überall wo der Frühling eine Knospe entfaltet, sich einer begeisternden Kraft auf das Gemüth erfreuen. Zu einem solchen Glauben ist unser deutsches Vaterland vor allem berechtigt. Wo ist das südlichere Volk, welches uns nicht den großen Meister der Dichtung beneiden sollte, dessen Werke alle ein tiefes Gefühl der Natur durchdringt: in den <hi rendition="#g">Leiden des jungen Werthers</hi> wie in den <hi rendition="#g">Erinnerungen an Italien,</hi> in der <hi rendition="#g">Metamorphose der Gewächse</hi> wie in seinen <hi rendition="#g">vermischten Gedichten?</hi> Wer hat beredter seine Zeitgenossen angeregt &#x201E;des Weltalls heilige Räthsel zu lösen", das Bündniß zu erneuern, welches im Jugendalter der Menschheit Philosophie, Physik und Dichtung mit Einem Bande umschlang? wer hat mächtiger hingezogen in das ihm geistig heimische Land, wo<lb/><lg type="poem"><l rendition="#et">Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,</l><lb/><l rendition="#et">Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?</l><lb/></lg></p>
          </div>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0080] nach wiederkehrenden oder leise abweichenden Typen, dar. Allverbreitet ist das furchtbare Reich der Naturmächte, welche den uralten Zwist der Elemente in der wolkenschweren Himmelsdecke wie in dem zarten Gewebe der belebten Stoffe zu bindender Eintracht lösen. Darum können alle Theile des weiten Schöpfungskreises, vom Aequator bis zur kalten Zone, überall wo der Frühling eine Knospe entfaltet, sich einer begeisternden Kraft auf das Gemüth erfreuen. Zu einem solchen Glauben ist unser deutsches Vaterland vor allem berechtigt. Wo ist das südlichere Volk, welches uns nicht den großen Meister der Dichtung beneiden sollte, dessen Werke alle ein tiefes Gefühl der Natur durchdringt: in den Leiden des jungen Werthers wie in den Erinnerungen an Italien, in der Metamorphose der Gewächse wie in seinen vermischten Gedichten? Wer hat beredter seine Zeitgenossen angeregt „des Weltalls heilige Räthsel zu lösen", das Bündniß zu erneuern, welches im Jugendalter der Menschheit Philosophie, Physik und Dichtung mit Einem Bande umschlang? wer hat mächtiger hingezogen in das ihm geistig heimische Land, wo Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen (2013-04-18T11:04:31Z)



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/80
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/80>, abgerufen am 23.04.2024.