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Humboldt, Alexander von: Ueber die Rindviehseuche als Nervenfieber behandelt. In: Neues Magazin für Aerzte. Bd. 18, 5. St., 1796, S. 421-425.

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Neues Magazin für Aerzte.
die Rindviehseuche ein bösartiges Nervenfieber ist. Man
sieht Häupter in wenigen Tagen sterben, welche secirt oft
eben so wenig vom gesunden Vieh zu unterscheiden sind, als
man bey einem vom Bliz getroffenen Menschen Spuren der
Verletzung findet. Die Ursach des Todes scheint also hier
in den feinern Stoffen zu liegen, von deren Absonderung
die Thätigkeit des Muskel- und Nervensystems abhängt.
Man verwechselt das Wesen der Krankheit mit den un-
wesentlichen Complicationen, welche sie begleiten. Das
plötzliche Hinschwinden aller Kräfte, die Lähmung der
Muskeln, die Zuckungen, das Schlagen mit dem Halse,
welcher oft rechts und links gerissen wird (mit einer Stärke,
daß es Ketten sprengt) -- alles dieß verkündigt ein bös-
artiges Nervenfieber, so bald der Ansteckungsstoff eingeath-
met und mittelst des, in der Lunge oxygenirten, arteriellen
Bluts verbreitet ist. Je ermüdeter das Thier durch strenge
Arbeit, je schlechter genährt es bei kärglichem Futter ist,
desto empfänglicher wird es für den Krankheitsstoff, eine
desto schleunigere Vernichtung der vitalen Kräfte bringt die-
ser hervor. Daher breitet sich die Viehseuche im Kriege,
wo Ochsen und Kühe fürchterlich angestrengt werden, so
unaufhaltsam aus! Daher wüthet sie in solchen Jahren
am heftigsten, wo die Vegetation gehindert oder wo (wie
dem aufmerksamen Beobachter der Wiesen nicht entgehen
kann) gewisse sehr nahrhafte Gräser und Futterkräuter
in geringer Menge hervorkeimen! Dieselbe Lähmung,
welche das kranke Vieh in den Bewegungsmuskeln der Ex-
tremitäten äußert, trift den wichtigsten Theil des Nerven-
systems, die Abdominalnerven. Die Thätigkeit des Ma-
gens und das Geschäft der Verdauung hört in diesem Ner-
venfieber daher auf. Mit aufhörender Verdauung ist der
Assimilationsproceß gestöhrt. Den Organen wird nicht
ersetzt, was sie bei den convulsivischen Zuckungen, bei den
unwillkührlichen Entladungen in dem Muskel, verlohren
haben. Das Thier stirbt in dem Zustande der höchsten

Schwä-

Neues Magazin fuͤr Aerzte.
die Rindviehſeuche ein boͤsartiges Nervenfieber iſt. Man
ſieht Haͤupter in wenigen Tagen ſterben, welche ſecirt oft
eben ſo wenig vom geſunden Vieh zu unterſcheiden ſind, als
man bey einem vom Bliz getroffenen Menſchen Spuren der
Verletzung findet. Die Urſach des Todes ſcheint alſo hier
in den feinern Stoffen zu liegen, von deren Abſonderung
die Thaͤtigkeit des Muskel- und Nervenſyſtems abhaͤngt.
Man verwechſelt das Weſen der Krankheit mit den un-
weſentlichen Complicationen, welche ſie begleiten. Das
ploͤtzliche Hinſchwinden aller Kraͤfte, die Laͤhmung der
Muskeln, die Zuckungen, das Schlagen mit dem Halſe,
welcher oft rechts und links geriſſen wird (mit einer Staͤrke,
daß es Ketten ſprengt) — alles dieß verkuͤndigt ein boͤs-
artiges Nervenfieber, ſo bald der Anſteckungsſtoff eingeath-
met und mittelſt des, in der Lunge oxygenirten, arteriellen
Bluts verbreitet iſt. Je ermuͤdeter das Thier durch ſtrenge
Arbeit, je ſchlechter genaͤhrt es bei kaͤrglichem Futter iſt,
deſto empfaͤnglicher wird es fuͤr den Krankheitsſtoff, eine
deſto ſchleunigere Vernichtung der vitalen Kraͤfte bringt die-
ſer hervor. Daher breitet ſich die Viehſeuche im Kriege,
wo Ochſen und Kuͤhe fuͤrchterlich angeſtrengt werden, ſo
unaufhaltſam aus! Daher wuͤthet ſie in ſolchen Jahren
am heftigſten, wo die Vegetation gehindert oder wo (wie
dem aufmerkſamen Beobachter der Wieſen nicht entgehen
kann) gewiſſe ſehr nahrhafte Graͤſer und Futterkraͤuter
in geringer Menge hervorkeimen! Dieſelbe Laͤhmung,
welche das kranke Vieh in den Bewegungsmuskeln der Ex-
tremitaͤten aͤußert, trift den wichtigſten Theil des Nerven-
ſyſtems, die Abdominalnerven. Die Thaͤtigkeit des Ma-
gens und das Geſchaͤft der Verdauung hoͤrt in dieſem Ner-
venfieber daher auf. Mit aufhoͤrender Verdauung iſt der
Aſſimilationsproceß geſtoͤhrt. Den Organen wird nicht
erſetzt, was ſie bei den convulſiviſchen Zuckungen, bei den
unwillkuͤhrlichen Entladungen in dem Muskel, verlohren
haben. Das Thier ſtirbt in dem Zuſtande der hoͤchſten

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[422/0003] Neues Magazin fuͤr Aerzte. die Rindviehſeuche ein boͤsartiges Nervenfieber iſt. Man ſieht Haͤupter in wenigen Tagen ſterben, welche ſecirt oft eben ſo wenig vom geſunden Vieh zu unterſcheiden ſind, als man bey einem vom Bliz getroffenen Menſchen Spuren der Verletzung findet. Die Urſach des Todes ſcheint alſo hier in den feinern Stoffen zu liegen, von deren Abſonderung die Thaͤtigkeit des Muskel- und Nervenſyſtems abhaͤngt. Man verwechſelt das Weſen der Krankheit mit den un- weſentlichen Complicationen, welche ſie begleiten. Das ploͤtzliche Hinſchwinden aller Kraͤfte, die Laͤhmung der Muskeln, die Zuckungen, das Schlagen mit dem Halſe, welcher oft rechts und links geriſſen wird (mit einer Staͤrke, daß es Ketten ſprengt) — alles dieß verkuͤndigt ein boͤs- artiges Nervenfieber, ſo bald der Anſteckungsſtoff eingeath- met und mittelſt des, in der Lunge oxygenirten, arteriellen Bluts verbreitet iſt. Je ermuͤdeter das Thier durch ſtrenge Arbeit, je ſchlechter genaͤhrt es bei kaͤrglichem Futter iſt, deſto empfaͤnglicher wird es fuͤr den Krankheitsſtoff, eine deſto ſchleunigere Vernichtung der vitalen Kraͤfte bringt die- ſer hervor. Daher breitet ſich die Viehſeuche im Kriege, wo Ochſen und Kuͤhe fuͤrchterlich angeſtrengt werden, ſo unaufhaltſam aus! Daher wuͤthet ſie in ſolchen Jahren am heftigſten, wo die Vegetation gehindert oder wo (wie dem aufmerkſamen Beobachter der Wieſen nicht entgehen kann) gewiſſe ſehr nahrhafte Graͤſer und Futterkraͤuter in geringer Menge hervorkeimen! Dieſelbe Laͤhmung, welche das kranke Vieh in den Bewegungsmuskeln der Ex- tremitaͤten aͤußert, trift den wichtigſten Theil des Nerven- ſyſtems, die Abdominalnerven. Die Thaͤtigkeit des Ma- gens und das Geſchaͤft der Verdauung hoͤrt in dieſem Ner- venfieber daher auf. Mit aufhoͤrender Verdauung iſt der Aſſimilationsproceß geſtoͤhrt. Den Organen wird nicht erſetzt, was ſie bei den convulſiviſchen Zuckungen, bei den unwillkuͤhrlichen Entladungen in dem Muskel, verlohren haben. Das Thier ſtirbt in dem Zuſtande der hoͤchſten Schwaͤ-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ueber die Rindviehseuche als Nervenfieber behandelt. In: Neues Magazin für Aerzte. Bd. 18, 5. St., 1796, S. 421-425, hier S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_rindviehseuche_1796/3>, abgerufen am 28.03.2024.